Das ist nett. Habe gerade entdeckt, dass in Nature gerade ein Artikel veröffentlicht wurde, der den Einfluss einer Verletzung des Gehirns auf moralische Entscheidungen untersucht hat (Koenigs et al., Damage to the prefrontal cortex increases utilitarian moral judgements. Nature advance online publication 21 March 2007). Dazu gibt es auch einen Artikel in der NYTimes (Brain Injury Said to Affect Moral Choices). Thematisch passt das hervorragend zu dem Artikel über Grundlagen von Moral bei Primaten, den ich kürzlich diskutiert habe.
Die Autoren haben sechs Patienten mit Verletzungen eines bestimmten Bereichs (ventromedial) des Präfrontalen Cortex [Bild-Quelle] befragt, wie sie in verschiedenen Situationen handeln würden. Unter anderem wurden verschiedene Szenarien entworfen, in dem die Rettung einer größeren Anzahl von Menschen nur dadurch erreicht werden kann, wenn man selbst einen anderen Menschen tötet.
Als Beispiel:
Interessant fände ich persönlich, ob die Menschen, die mit "Nein" geantwortet haben, jemand anderen moralisch "verurteilen" würden, der einen tödlich Verletzten über Bord geworfen hat, um alle anderen zu retten (also eine "Ich könnte das nicht, aber ich bin froh, dass jemand anderes es getan hat"-Moralität).*
5 von 6 Patienten mit Verletzung des PK (83 %) antworteten mit "Ja", aber nur 20 % der Kontrollgruppe.
Eine andere Fragestellung war, ob man ein schreiendes Kind ersticken würde, wenn das die einzige Möglichkeit wäre, um zu verhindern, dass in einer Kriegssituation Soldaten auf das Versteck der gesamten Familie und aller Freunde aufmerksam werden und alle töten.**
Bei anderen Szenarien gab es keine Unterschiede. Gefragt, ob sie einen Schalter umlegen würden, wenn sie dadurch ein außer Kontrolle geratenes Schienenfahrzeug von einer Gruppe von 5 Arbeitern weglenken könnten, auch wenn es dann einen anderen Mann rammen und töten würde, antworteten alle untersuchten Gruppen gleichermaßen häufig mit "Ja". Die Unterschiede bestanden also nur, wo tatsächlich eine aktive, direkte Tötung eines Menschen "von Angesicht zu Angesicht" involviert war.
Finde ich schon spannend, dass man sagt, natürlich lege ich den Schalter um, um 5 zu retten, auch wenn dann ein anderer stirbt. Ich habe mit dieser Vorstellung jedenfalls sehr viel weniger Probleme als mit der Vorstellung, einen Mann vor das außer Kontrolle geratenes Schienenfahrzeug zu schubsen, um es zu bremsen, bevor es in die Gruppe von Arbeitern rast, obwohl das Ergebnis genau das Gleiche wäre wie beim Schalter umlegen.
Von daher spricht dieses Ergebnis meiner Meinung nach gegen die Ansicht, dass Moral nur aus Vernunft entspringt und bestätigt die Ansicht De Waals, des Forschers, der Moral bei Primaten untersucht:
MfG,
JLT
Die Autoren haben sechs Patienten mit Verletzungen eines bestimmten Bereichs (ventromedial) des Präfrontalen Cortex [Bild-Quelle] befragt, wie sie in verschiedenen Situationen handeln würden. Unter anderem wurden verschiedene Szenarien entworfen, in dem die Rettung einer größeren Anzahl von Menschen nur dadurch erreicht werden kann, wenn man selbst einen anderen Menschen tötet.
Als Beispiel:
You have abandoned a sinking cruise ship and are in a crowded lifeboat that is dangerously low in the water. If nothing is done it will sink before the rescue boats arrive and everyone will die. However, there is an injured person who will ot survive in any case. If you throw that person overboard, the boat will stay afloat and the remainig passengers will be saved. Would you throw this person overboard in order to save the lives of the remaining passengers?Soooo, wie würde man in einer solche Situation handeln? Den tödlich Verletzten über Bord zu werfen erscheint als die objektiv "bessere" Lösung, aber ist sie auch moralisch zu rechtfertigen? Entweder ist die Tötung eines Menschens moralisch falsch, oder sie ist es nicht - oder sind Kosten-Nutzen-Rechnungen "erlaubt"?
Interessant fände ich persönlich, ob die Menschen, die mit "Nein" geantwortet haben, jemand anderen moralisch "verurteilen" würden, der einen tödlich Verletzten über Bord geworfen hat, um alle anderen zu retten (also eine "Ich könnte das nicht, aber ich bin froh, dass jemand anderes es getan hat"-Moralität).*
5 von 6 Patienten mit Verletzung des PK (83 %) antworteten mit "Ja", aber nur 20 % der Kontrollgruppe.
Eine andere Fragestellung war, ob man ein schreiendes Kind ersticken würde, wenn das die einzige Möglichkeit wäre, um zu verhindern, dass in einer Kriegssituation Soldaten auf das Versteck der gesamten Familie und aller Freunde aufmerksam werden und alle töten.**
Bei anderen Szenarien gab es keine Unterschiede. Gefragt, ob sie einen Schalter umlegen würden, wenn sie dadurch ein außer Kontrolle geratenes Schienenfahrzeug von einer Gruppe von 5 Arbeitern weglenken könnten, auch wenn es dann einen anderen Mann rammen und töten würde, antworteten alle untersuchten Gruppen gleichermaßen häufig mit "Ja". Die Unterschiede bestanden also nur, wo tatsächlich eine aktive, direkte Tötung eines Menschen "von Angesicht zu Angesicht" involviert war.
Finde ich schon spannend, dass man sagt, natürlich lege ich den Schalter um, um 5 zu retten, auch wenn dann ein anderer stirbt. Ich habe mit dieser Vorstellung jedenfalls sehr viel weniger Probleme als mit der Vorstellung, einen Mann vor das außer Kontrolle geratenes Schienenfahrzeug zu schubsen, um es zu bremsen, bevor es in die Gruppe von Arbeitern rast, obwohl das Ergebnis genau das Gleiche wäre wie beim Schalter umlegen.
Von daher spricht dieses Ergebnis meiner Meinung nach gegen die Ansicht, dass Moral nur aus Vernunft entspringt und bestätigt die Ansicht De Waals, des Forschers, der Moral bei Primaten untersucht:
But biologists like Dr. de Waal believe reason is generally brought to bear only after a moral decision has been reached. They argue that morality evolved at a time when people lived in small foraging societies and often had to make instant life-or-death decisions, with no time for conscious evaluation of moral choices. The reasoning came afterward as a post hoc justification. “Human behavior derives above all from fast, automated, emotional judgments, and only secondarily from slower conscious processes,” Dr. de Waal writes.Wie erklärt man sich also, dass eine Verletzung des ventromedialen Bereichs des Präfrontalen Cortex zu einer anderen Bewertung von Situationen führt, die eine aktive Tötung eines Menschens "zum allgemeinen Nutzen" beinhaltet?
However much we may celebrate rationality, emotions are our compass, probably because they have been shaped by evolution, in Dr. de Waal’s view. For example, he says: “People object to moral solutions that involve hands-on harm to one another. This may be because hands-on violence has been subject to natural selection whereas utilitarian deliberations have not.”
The ventromedial area is a primitive part of the cortex that appears to have evolved to help humans navigate social interactions. The area has connections to deeper, unconscious regions like the brain stem, which transmit physical sensations of attraction or discomfort; and the amygdala, a gumdrop of neural tissue that registers threats, social and otherwise. The ventromedial area integrates those signals with others from the cortex, including emotional memories, to help generate familiar social reactions.Spannendes Thema.
[...]
The area probably adapted to help the brain make snap moral decisions in small kin groups — to spare a valuable group member’s life after a fight, for instance. As human communities became increasingly complex, so did the cortical structures involved in parsing ethical dilemmas. But the more primitive ventromedial area continued to anchor it with emotional insistence on an ancient principle: respect for the life of another human being.
MfG,
JLT
* Wenn ich mich auf diesem Boot und in dieser Situation befände, würde ich definitiv *hoffen* , dass jemand den Verletzten über Bord würfe. Es tatsächlich selbst zu tun, kann ich mir jetzt, vor meinem PC sitzend, nicht vorstellen. Deswegen hätte ich die Frage wohl mit "Nein" beantwortet. Aber wie ich handeln würde, wäre ich auf dem Boot - Hohe Wellen, immer mehr Wasser schwappt ins Boot, einige Schreien, Weinen, darunter möglicherweise auch Kinder, Panik, und ein Schwerverletzter, möglicherweise nicht mehr bei Bewusstsein - kann ich nicht sagen. Die moralisch richtige Entscheidung wäre wahrscheinlich, selbst über Bord zu springen. Denn wenn nur eine Person weniger das Sinken des Boots verhindern würde, wäre für jeden Einzelnen auf dem Boot die Entscheidung letztlich Der Verletzte oder Ich. Denn alle anderen kann man auch retten, wenn man sich selbst opfert. Aber das heißt natürlich nicht, dass ich auch springen würde. So ein guter Mensch bin ich wahrscheinlich nicht.
** Diese Fragestellung ist einerseits "gelungener" als die Boot-Frage, da eine Selbstopferung als "Ideal-Lösung" nicht funktioniert. Andererseits denke ich bei dieser Frage zuerst, es gibt doch wohl andere Möglichkeiten, meinetwegen auch rabiate, ein Kind zum Schweigen zu bringen, ohne es gleich umzubringen.
Wie würdet ihr antworten und warum?
** Diese Fragestellung ist einerseits "gelungener" als die Boot-Frage, da eine Selbstopferung als "Ideal-Lösung" nicht funktioniert. Andererseits denke ich bei dieser Frage zuerst, es gibt doch wohl andere Möglichkeiten, meinetwegen auch rabiate, ein Kind zum Schweigen zu bringen, ohne es gleich umzubringen.
Wie würdet ihr antworten und warum?
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