31 March 2007

Es deutet einiges darauf hin, dass dies von Interesse sein könnte.

Immer mal wieder erscheint ein wissenschaftlicher Artikel, der allgemeines Interesse erregt und der es auch in die "normalen" Nachrichten schafft. Dies war gerade wieder der Fall. Der Artikel, 'The delayed rise of present-day mammals' (Bininda-Emonds et al., Nature 446, 507-512 (29 March 2007); Volltext nicht frei erhältlich; Abstract frei), erschien in der aktuellen Ausgabe von Nature. Dazu gibt es Artikel in News@Nature, ScienceNOW, aber auch z. B. in der Süddeutschen, Der Welt, Stern, Focus und der FAZ.

So, worum geht es in dem Artikel überhaupt?

Die bisherige Schulmeinung war (und ist), dass Säugetiere zwar zeitgleich mit Dinoauriern lebten, aber sich nicht weit ausbreiten konnten, da viele ökologische Nischen schon von Dinosaurier-Arten besetzt waren. Erst mit dem Aussterben der Dinosaurier am Übergang von der Kreidezeit zum Tertiär (K-T boundary, ~65 Mio. J.) wurden viele dieser Nischen frei und konnten von sich neu entwickelnden Säugetierarten besetzt werden. Oder, wie es The Questionable Authority formuliert:
The traditional view of the origin of mammals - the one you might have seen in a museum display or learned about in basic biology - basically said that mammals were the downtrodden proletariat of the Cretaceous, oppressed by the dinosaurean bourgeois and forced out of all of the good ecological niches. After the asteroid lined the dinosaurs up against the wall, the mammals were able to break the chains of their working class bondage and burst forth to fulfill their full ecological potential.
Dieser Artikel wirft ein neues Licht auf die Dinge. Die Autoren haben einen "Superstammbaum" (anzuschauen hier, leider in rel. schlechter Auflösung) der Säugetiere entwickelt*, in dem 4510 der 4554 (bekannten) heute lebenden Säugetierarten zusammengefasst sind, mit den angenommenen Aufsplittungszeiten der verschiedenen Arten. Und diese widersprechen der vorherrschenden Meinung.

Einerseits haben sich danach die großen Gruppen der Säugetiere schon vor dem Aussterben der Dinosaurier aufgetrennt, beispielsweise entwickelten sich die Monotremata (eierlegende Säugetiere, deren einzige heute noch lebender Vertreter die Schnabeltiere sind; Bild-Quelle: News@Nature) entsprechend ihrer Analyse vor etwa 166 Mio. J. und die Marsupialia (Beutetiere) trennten sich schon vor 147 Mio. J. von den Plazentatieren ab, also weit vor der K-T-Grenze vor 65 Mio. J..

Andererseits fand die Aufsplittung der Plazentatiere, die die heute vorherrschende Gruppe der Säugetiere bilden, erst etwa 15 Mio. J. danach statt, also zu spät, um wirklich durch das Aussterben der Dinosaurier beeinflusst worden zu sein. Möglicherweise muss man also nochmal genauer hinschauen, was die Entwicklungsgeschichte der Säugetiere angeht und eventuell auch nach anderen Auslösern für ihre weite Verbreitung schauen.

Eine sehr gute, etwas ausführlichere Zusammenfassung des Artikels zusammen mit einigen Erklärungen findet sich bei The Questionable Authority.

Was mir aufgefallen ist, als ich zum einen die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu dem Thema und zum anderen die "normalen" Artikel dazu gelesen habe, ist, wie unterschiedlich dieses Ergebnis bewertet wird. Während die einhellige Meinung in den wissenschaftlichen Artikeln die ist, dass da zwar ein hervorragendes Stück Arbeit geleistet worden ist, die Anlass zu neuer Forschung geben wird, aber die Erkenntnisse längst nicht gesichert sind, wird in manchen der normalen Zeitungsartikeln so geredet, als wäre die Geschichte damit erledigt. Gut sind die z. B. die Artikel aus der Süddeutschen und Der Welt. Richtig schlecht sind dahingegen die Stern- und Fokus-Artikel.

Ich denke, beim Umgang mit Forschungsergebnissen in den Medien besteht ein generelles Problem. Forschungsergebnisse, so sensationell sie auch sein mögen, werden von Wissenschaftlern mit Vorsicht behandelt, was sich in der Sprache niederschlägt (es sieht so aus, das deutet darauf hin, es scheint...). Es spiegelt die Tatsache wieder, dass nicht ein einziger Artikel die gesamte vorangegangene Forschung aufheben kann. In diesem Fall sprechen die Fossilfunde teilweise eine andere Sprache (schließlich gibt es einen Grund dafür, dass man annimmt, die Säugetiere hätten sich zeitnah nach dem Aussterben der Dinosaurier ausgebreitet). Dazu z. B. aus dem ScienceNOW-Artikel, der, obwohl er sehr kurz ist, mit diesem Abschnitt endet:
That might not be the only uncertainty, however. Evolutionary biologist Lawrence Heaney of The Field Museum in Chicago, Illinois, says the diversification chronology suggested by the research requires that many lineages originated at times "vastly older" than the current fossil record can support--incomplete as it may be. The differences should raise questions about how precisely the molecular clock predicts the actual dates of origin of the mammal groups, Heaney says.
Dagegen aus dem Stern-Artikel:
Olaf Bininda-Emonds von der Technischen Universität München und seine Kollegen widerlegen damit eine verbreitete Annahme, wonach sich die höheren Säugetiere als unmittelbare Folge des Massensterbens der Dinosaurier verbreiten und neue Arten bilden konnten.
Das weitere Forschung erforderlich ist, oder eine gewisse Unsicherheit besteht, wird nicht im mindesten ersichtlich.

Der Original-Artikel ist wichtig, auch und vor allem deshalb, weil er neue Ansätze für weitergehende Forschung bietet. Weitere Analysen werden folgen, in dem noch mehr Daten einbezogen werden, noch mehr Fossilfunde etc.. Er ist der Startpunkt für neue Erkenntnisse, nicht der Weisheit letzter Schluss. Berichte, die dies ins Gegenteil verkehren, leisten weder der Öffentlichkeit noch der Wissenschaft einen guten Dienst. Missverständnisse sind da vorprogrammiert.

Ich würde mir wirklich wünschen, dass Journalisten ein wenig sensibler mit solchen Veröffentlichungen umgingen, auch wenn mir klar ist, dass dadurch die Berichte etwas weniger sensationell klingen würden.

MfG,
JLT

[edit] Habe gerade noch ein Post bei Sandwalk gefunden, in dem die Abbildung des Stammbaums in einer guten Qualität zu finden ist. Auch bei Pharyngula gibt's was dazu. [/edit]

Bininda-Emonds et al.; Nature. 2007 Mar 29;446(7135):507-12

* Wie haben sie das gemacht?

Die Autoren dieses Artikels haben zum einen GenBank (eine öffentliche Datenbank, die ALLE jemals sequenzierten und veröffentlichten Gensequenzen enthält, von welcher Tier- oder Pflanzenart, welchem Bakterium, Virus, Bakteriophagen, Pilz, etc. auch immer; momentan sind das mehr als 130 Milliarden Sequenzen) nach Säugetier-Sequenzen durchsucht und die ausgewählt, die jeweils von mindestens 50 verschiedenen Arten vorlagen.
The final data set consisted of 51,089 base pairs from 66 genes (32 nuclear DNA, 19 transfer RNA and 15 other mitochondrial DNA), distributed across a total of 2,182 mammalian species.
Über lange Zeiträume ist die Häufigkeit, in der neue Mutationen sich in einer Art durchsetzen (d. h. das jedes Mitglied dieser Art diese neue Genvariante hat), ziemlich regelmäßig. Deshalb kann man aufgrund von Sequenzvergleichen relative Ähnlichkeiten feststellen und darüber hinaus eine sogenannte molecular clock erstellen, die eine Bestimmung der vergangenen Zeit seit der Aufsplittung zweier Arten erlaubt. Um diese molecular clock zu "eichen", werden jeweils die ältesten bekannten Fossilien einer Art genommen, d. h. die Entstehung dieser Art muss natürlich vorher stattgefunden haben.

Zum anderen haben die Forscher schon veröffentlichte Stammbaumanalysen mit in ihre Arbeit einbezogen und aus allen diesen Daten den nun veröffentlichten, zu 99 % vollständigen Säugetier-Stammbaum erstellt. Ihre zusammenfassende Berwertung ist die folgende:

Our analysis of a near-complete, species-level phylogeny of extant mammals sheds new light on how one of the best-known mass extinctions in Earth history affected their macroevolutionary dynamics. In particular, we challenge the widely accepted importance of the K/T extinction event for the origin and diversification of extant mammalian lineages. The pulse of mammalian diversification immediately after the K/T event was mainly or wholly in groups that declined subsequently or died out, without contributing markedly to those lineages with extant descendants, for which the diversification rate remained flat across the boundary. Only selected marsupial orders agree with the explosive model to any extent, and then only in their times of origin. Instead, the pivotal macroevolutionary events for extant mammalian lineages occur either well before the boundary (significant decrease in diversification rate at approximately 85 Myr ago, after establishment and initial radiations of the placental superorders and major orders at approximately 93 Myr ago) or well afterwards, from the Early Eocene onwards (when net diversification began to accelerate).

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