Warum glauben so viele Menschen an einen Gott? Gibt es ein "Gott-Gen", oder anders gefragt, ist die Fähigkeit des Menschen, an ein(e) unsichtbare(s) Bewusstsein/Intelligenz zu glauben, in unseren Gehirnen verankert? Und wenn ja, wie hat sich das entwickelt? Ist es nur ein Beiprodukt unserer großen Gehirne, sozusagen als zufällige Eigenschaft mit entstanden (so wie Hämoglobin, das den Sauerstofftransport im Blut ermöglicht, ihm gleichzeitig eine rote Farbe verleiht), oder bietet der Glaube an einen Gott/Religiosität irgendeinen evolutionären Vorteil, der zu einer Verbreitung der zugrunde liegenden Strukturen (welche auch immer da sein mögen) geführt hat?
In der New York Times vom letzten Wochenende gibt es einen Artikel ("Darwin's God"), der sich lose um Scott Atran dreht, ein Anthropologe, der sich mit Fragen wie diesen beschäftigt hat. Der Artikel liefert einige Thesen, warum unsere Gehirne überhaupt den Glauben an ein "höheres Wesen" ermöglichen.
In der New York Times vom letzten Wochenende gibt es einen Artikel ("Darwin's God"), der sich lose um Scott Atran dreht, ein Anthropologe, der sich mit Fragen wie diesen beschäftigt hat. Der Artikel liefert einige Thesen, warum unsere Gehirne überhaupt den Glauben an ein "höheres Wesen" ermöglichen.
Hardships of early human life favored the evolution of certain cognitive tools, among them the ability to infer the presence of organisms that might do harm, to come up with causal narratives for natural events and to recognize that other people have minds of their own with their own beliefs, desires and intentions. Psychologists call these tools, respectively, agent detection, causal reasoning and theory of mind.
Agent detection evolved because assuming the presence of an agent — which is jargon for any creature with volitional, independent behavior — is more adaptive than assuming its absence. If you are a caveman on the savannah, you are better off presuming that the motion you detect out of the corner of your eye is an agent and something to run from, even if you are wrong. If it turns out to have been just the rustling of leaves, you are still alive; if what you took to be leaves rustling was really a hyena about to pounce, you are dead.
[...]
So if there is motion just out of our line of sight, we presume it is caused by an agent, an animal or person with the ability to move independently. This usually operates in one direction only; lots of people mistake a rock for a bear, but almost no one mistakes a bear for a rock.
Also in Kurzform: Lieber neunmal unnötigerweise vor einem Schatten davonlaufen und beim zehnten Mal einen kleinen Vorsprung vor der dann realen Bedrohung haben, als völlig relaxed durch's Leben zu gehen, bis es beim zehnten Mal abrupt endet.
Causal reasoning ist ja fast selbst erklärend. Die Fähigkeit, Ursache und Wirkung zu erkennen, hat es Menschen beispielsweise ermöglicht, Ackerbau zu "erfinden". Die Erkenntnis, dass da, wo man im letzten Jahr ein paar Samen hat fallen lassen, in diesem wieder neue Pflanzen stehen, war die Voraussetzung dafür.
The human brain has evolved the capacity to impose a narrative, complete with chronology and cause-and-effect logic, on whatever it encounters, no matter how apparently random. “We automatically, and often unconsciously, look for an explanation of why things happen to us,” Barrett wrote, “and ‘stuff just happens’ is no explanation. Gods, by virtue of their strange physical properties and their mysterious superpowers, make fine candidates for causes of many of these unusual events.” The ancient Greeks believed thunder was the sound of Zeus’s thunderbolt. Similarly, a contemporary woman whose cancer treatment works despite 10-to-1 odds might look for a story to explain her survival. It fits better with her causal-reasoning tool for her recovery to be a miracle, or a reward for prayer, than for it to be just a lucky roll of the dice.
Theory of mind (oder "Folkpsychology") bezeichnet in etwa die Fähigkeit von Menschen, von sich auf andere zu schließen, die Entwicklung eines Ich-Bewußtseins und die Annahme, das auch andere ein Ich-Bewußtsein haben. 'Ich selbst denke und fühle, bin eine Persönlichkeit, also ist der Mensch mir gegenüber auch eine Persönlichkeit, die denkt und fühlt, und das möglicherweise in einer anderen Art und Weise als ich.' Sich in andere Menschen hineinversetzen zu können, ist eine für ein soziales Zusammenleben sehr wichtige Eigenschaft.
Diese mentale Fähigkeit erlaubt uns aber auch, Dingen ein Bewusstsein zu zuschreiben, die gar kein Bewusstsein haben, oder gar ein völlig körperloses Bewusstsein anzunehmen. Letztendlich gibt es keine Möglichkeit, die Richtigkeit oder Falschheit einer solchen Annahme zu beweisen.
The process begins with positing the existence of minds, our own and others’, that we cannot see or feel. This leaves us open, almost instinctively, to belief in the separation of the body (the visible) and the mind (the invisible). If you can posit minds in other people that you cannot verify empirically, suggests Paul Bloom, a psychologist and the author of “Descartes’ Baby,” published in 2004, it is a short step to positing minds that do not have to be anchored to a body. And from there, he said, it is another short step to positing an immaterial soul and a transcendent God.So weit, so gut. Das menschliche Bewusstsein hat also die inhärente Eigenschaft, Dinge zu sehen, die nicht da sind und grundsätzlich für alles eine Ursache anzunehmen, auch wenn es kein (direkte) gibt.
Die Suche nach unbekannten Ursachen ist die Triebfeder von Wissenschaft und laut diesem Artikel auch die von Religiosität – na, jeder wie er mag...
Ab hier etwa fängt der Artikel an, mich zu ärgern. Ein paar Ausschnitte:
Fear of death is an undercurrent of belief. The spirits of dead ancestors, ghosts, immortal deities, heaven and hell, the everlasting soul: the notion of spiritual existence after death is at the heart of almost every religion. According to some adaptationists, this is part of religion’s role, to help humans deal with the grim certainty of death. Believing in God and the afterlife, they say, is how we make sense of the brevity of our time on earth, how we give meaning to this brutish and short existence. Religion can offer solace to the bereaved and comfort to the frightened.
So trying to explain the adaptiveness of religion means looking for how it might have helped early humans survive and reproduce. As some adaptationists see it, this could have worked on two levels, individual and group. Religion made people feel better, less tormented by thoughts about death, more focused on the future, more willing to take care of themselves. As William James put it, religion filled people with “a new zest which adds itself like a gift to life . . . an assurance of safety and a temper of peace and, in relation to others, a preponderance of loving affections.” Such sentiments, some adaptationists say, made the faithful better at finding and storing food, for instance, and helped them attract better mates because of their reputations for morality, obedience and sober living. The advantage might have worked at the group level too, with religious groups outlasting others because they were more cohesive, more likely to contain individuals willing to make sacrifices for the group and more adept at sharing resources and preparing for warfare.
Dies alles ist meiner Meinung nach zu sehr auf heutige (jedenfalls in evolutionsrelevanten Zeiträumen) Religionen zugeschnitten und das auch noch mit einer sehr positiven Sichtweise. Anhänger besonders strenger Glaubensformen mögen sich, in Abgrenzungen an "Normal-" oder "Un-Gläubige", eines besonderen Zusammengehörigkeitsgefühls erfreuen und sich gegenseitig mehr vertrauen als anderen oder diese Anderen unter sich. Aber wer weiß schon, wie vor 10.000 Jahren Religion/Glaube ausgesehen hat und ob es tatsächlich bei Menschen, die in soundso eher nur in kleinen Gruppen und Familienverbänden zusammengelebt haben, einen Unterschied gemacht hat, ob sie an einen Gott glaubten oder nicht. Woher will jemand wissen, in Abwesenheit schriftlicher Überlieferungen (die wohl höchstens 5000 – max. 7000 Jahre zurückreichen), welche Handlungsanweisungen – wenn überhaupt – aus einem Glauben an die Existenz eines übernatürlichen Wesens/von übernatürlichen Wesen abgeleitet wurden?
Und auch die Vorstellung, dass ein Verwandter oder man selbst nach dem Tod nicht wirklich tot ist, mag ja beruhigend wirken, aber einen Überlebensvorteil sehe ich darin nicht gerade.
Vor allem, da ja auch evolutionäre "Kosten" einer religiösen Lebensweise vorstellbar sind.
Vor allem, da ja auch evolutionäre "Kosten" einer religiösen Lebensweise vorstellbar sind.
Dazu der Artikel:
There are costs to any individual of being religious: the time and resources spent on rituals, the psychic energy devoted to following certain injunctions, the pain of some initiation rites. But in terms of intergroup struggle, according to Wilson, the costs can be outweighed by the benefits of being in a cohesive group that out-competes the others.Was aber nicht klar wird, ist, warum die Vorteile, einer "nicht-religiösen" Gruppierung (immer bezogen auf Menschen vor 10.000 Jahren) anzugehören, dann nicht noch größer waren, immerhin waren die evolutionären Kosten eher geringer, wenn man beispielsweise an Opferrituale alter Religionen denkt, bei denen Lebensmittel verbrannt wurden, die sonst der Gruppe zugute gekommen wären.
Ganz und gar nicht einverstanden bin ich mit dem vorletzten Absatz des Artikels, in dem nämlich die Spekulationen über einen möglichen Vorteil religiöser Gruppen über nicht-religiöse plötzlich zu der einzigen Möglichkeit umgewandelt wird, in der Religiosität evolutionär entstanden sein kann – obwohl der Artikel am Anfang noch Religiosität als "Beiprodukt" der Hirnentwicklung und Religiosität als adaptive Anpassung als Möglichkeiten nebeneinander gestellt hat. Mal ganz abgesehen davon, dass die Hypothese über eine adaptive Anpassung auch Gruppen-Selektion voraussetzt, die gegenwärtig noch kontrovers gesehen wird.
What can be made of atheists, then? If the evolutionary view of religion is true, they have to work hard at being atheists, to resist slipping into intrinsic habits of mind that make it easier to believe than not to believe. Atran says he faces an emotional and intellectual struggle to live without God in a nonatheist world, and he suspects that is where his little superstitions come from, his passing thought about crossing his fingers during turbulence or knocking on wood just in case. It is like an atavistic theism erupting when his guard is down. The comforts and consolations of belief are alluring even to him, he says, and probably will become more so as he gets closer to the end of his life. He fights it because he is a scientist and holds the values of rationalism higher than the values of spiritualism.
Hier wird überdies die persönliche Erfahrung eines Einzelnen als Bestätigung einer wissenschaftlichen Theorie angesehen. Das ist doch genau das, was ein Wissenschaftler nicht akzeptieren *kann*. Persönliche Erfahrung ist nicht objektivierbar, darum kann sie nicht als Beleg gelten.
Darum gilt natürlich auch meine persönliche Erfahrung nicht als Beleg für irgendwas, aber zur Information: Ich habe mich ja auch mal mit Bibel und Glauben etc. beschäftigt. Dann habe ich festgestellt, dass das alles unglaublich statisch war. Es steht so in der Bibel, Du sollst es glauben, und fertig. Langweilig. Ich musste nicht kämpfen, um einen mir inhärenten Glauben los zu werden. Ich kreuze nicht meine Finger im Flugzeug. Wenn es tatsächlich den Menschen angeboren ist, nach einer Ursache zu suchen, dann war und ist es mir zu einfach, Goddidit zu sagen. Möglicherweise bin ich darum Wissenschaftlerin geworden. Vielleicht war Biologie aber auch nur das einzige, was mich in der Schule wirklich interessiert hat und ich habe es aus Ermangelung anderer Ideen studiert.
MfG,
JLT
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