24 March 2007

Ich seh Rot und Mäuse neuerdings auch.

Carl Zimmer von The Loom hat ein ausgezeichnetes Post zur Evolution des Farbensehens bei Säugetieren. Unbedingt lesen!

Das Wichtigste in Kürze (naja, ich bemühe mich jedenfalls):

Die meisten Säugetiere haben nur Rezeptoren für Licht zweier verschiedener Wellenlänge, d. h. sie können nur zwei Farben unterscheiden ("bichromatisch") . Menschen und auch Primaten dagegen haben noch einen zusätzlichen Rezeptor für eine dritte Wellenlänge, sehen also trichromatisch (Rot, Grün, Blau).
The most plausible explanation for this difference is that at some point in our history, our ancestors parted ways with other mammals, and acquired a third pigment gene. And many pieces of evidence suggest that what happened was this: the red and green genes are the product of an accidental duplication of an ancestral gene. For one thing, they are very similar to one another, differing by just three amino acids. For another, they sit close to one another on the X chromosome. They even appear to be controlled by the same "on-off switch," which turns on red pigments in some photoreceptors and green in others.
Einen dritten Beleg für diese Hypothese ist die Situation bei Neuweltaffen (Plathyrrhini, auch hier; z. B. Kapuzineraffen). Neuweltaffen sind die "Schwestergruppe" zu den Catharrhini, zu denen Menschen, Menschenaffen und Altweltaffen gehören.

Diese Affen haben das Gen für das blaue Pigment und ein weiteres Pigment-Gen auf dem X-Chromosom (wo beim Menschen die Gene für das rote und grüne Pigment liegen). Von diesem zweiten Pigment-Gen gibt es aber verschiedene Varianten. Das heißt zunächst mal, dass alle männlichen Tiere zweifarbig sehen, aber nicht unbedingt die selben zwei Farben. Und es kann dreifarbig-sehende Weibchen geben. Da das Gen auf dem X-Chromosom liegt, von dem weibliche Tiere zwei haben, können sie zwei unterschiedliche Pigment-Gene erben (zusätzlich zu dem blauen, das alle Tiere haben).
The evidence from the genes of primates suggests one way in which Old World monkeys and apes got their third pigment gene. Like New World monkeys, a population of ancestral primates had a few different versions of pigment genes on the X chromosome. A mutation in a female caused the gene on one X chromosome to be pasted alongside the gene on the other X chromosome. Her descendants now inherited two genes on the same chromosome. Subsequent mutations changed the sensitivity of each pigment, to create the blue-green-red vision we now have.
Nun ist das ja schon mal gut und schön; aber nur, weil nun ein zusätzlicher Rezeptortyp vorhanden ist, der aufgrund des neuen Pigments von Licht einer dritten Wellenlänge "angeregt" wird, muss das Gehirn noch lange nicht in der Lage sein, die Signale auch "richtig" zu interpretieren. Müsste nicht gleichzeitig auch eine zusätzliche "Verkabelung" entstehen, die dem Gehirn" sagt, dass es nun auch noch eine dritte Farbe dazumischen soll?

Wäre es tatsächlich so, müssten sich Evolutionsbiologen schon ziemlich anstrengen, das irgendwie schlüssig zu erklären, ohne auf "and then a miracle occurs" zurückgreifen zu müssen. Schließlich wirkt natürliche Selektion nur auf den Ist-Zustand und nicht auf den Kann-Zustand, oder, etwas weniger esoterisch ausgedrückt: Der Affe mit drei Rezeptoren hat überhaupt keinen Selektionsvorteil gegenüber dem mit zweien, wenn sein Gehirn keinen Unterschied "sieht". Und wenn das noch nicht einleuchtend genug war: Bei einem Schwarz-Weiß-Fernseher ist es egal, ob das Programm in Farbe ausgestrahlt wird oder nicht.

Nun haben Forscher bei Mäusen, die nur zwei Pigmente besitzen (für Grün und ultraviolett (UV)), eins dieser Pimente (Grün) durch das menschliche Gen für das rote Pigment ersetzt. Dann haben sie diese Mäuse mit normalen gekreuzt, wodurch sie Mäuse erhielten, die entweder die normalen "Wildtyp" Pigment-Gene hatten (für Grün und UV), oder die Rot + UV-Variante, oder, und hier wird's interessant, alle drei Pigmente hatten, also theoretisch die Voraussetzungen zum Dreifarbensehen.

Schon 2003 hat die gleiche Forschergruppe (um Nathans) zeigen können, dass Mäuse mit dem humanen Rot-Pigment-Gen tatsächlich den entsprechenden Rezeptor bilden und dieser auch voll funktionsfähig ist, auch in den trichromatischen Mäusen mit allen drei Photopigmenten. Aber es war noch nicht klar, ob das Mäuse-Gehirn mit den zusätzlichen Signalen überhaupt irgendetwas anfangen konnte.

Jetzt ist in Science der Artikel erschienen, in denen sie diese Frage beantworten:
Today in the journal Science the researchers report that the answer is yes. They carried out behavioral tests on the mice, showing them three colored panels. In some cases one of the panels was a different color, and in others they were the same. They gave the mice a reward of soy milk if they could correctly recognize when the colors were different. Not surprisingly, ordinary mice only got the right answer a third of the time, even after thousands of trials. In other words, they could only guess. But female mice with all three pigments got the right answer four times out of five.

[...] Mice and other mammals lack midget cells [Anm.: ein besonderer Typ Nervenzellen, der bei Menschen und anderen Primaten die Unterscheidung zwischen Rot und Grün unterstützt]. And yet it's obvious that they didn't need a special set of neurons to take in this extra dimension of color. Their brains simply organized themselves in such a way that they could perceive it.
Das ist tatsächlich ein Punkt, den man leicht vergisst. Gene werden nicht entweder exprimiert oder nicht, die meisten Gene unterliegen einer Regulation. Die Umgebung einer Zelle (wie sieht die Nachbarzelle aus, wie sauerstoffreich ist das Blut, Hormone, Botenstoffe, Temperatur usw. etc.) hat einen enormen Einfluss darauf, welche Gene wie stark abgelesen werden, was selbst wiederum einen großen Einfluss auf die Funktion und andere Eigenschaften dieser Zelle (ihren Phänotyp) haben kann - und der Phänotyp dieser Zelle bildet natürlich wieder einen Teil der Umgebung einer anderen Zelle...
Dies ist besonders bedeutsam während der Embryonalentwicklung, wo durch diese "nachbarschaftliche Zusammenarbeit" sichergestellt wird, dass die Nase tatsächlich mitten im Gesicht sitzt und auch sonst alles am richtigen Platz landet.
Es ist also durchaus denkbar, dass durch die Gegenwart des zusätzlichen Pigmentgens minimal, aber bemerkbar andere "Signale" ausgesendet werden, so dass auch die "Verkabelung" minimal anders ist und die verschiedenen Signaltypen (Rot, Grün, UV) so auseinander gehalten werden können, ohne dass eine völlig neue Verkabelung "erfunden" werden muss.

MfG,
JLT


Jacobs et al., Emergence of Novel Color Vision in Mice Engineered to Express a Human Cone Photopigment, Science(2007)Vol. 315, no. 5819, pp. 1723 - 1725

Smallwood
et al., Genetically engineered mice with an additional class of cone photoreceptors: Implications for the evolution of color vision, PNAS (2003)Vol. 100, no. 20, pp. 11706 - 11711

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