Nach meinem 'Spaß mit Statistik'-Post über die Zustimmung zu/Ablehnung von Evolution und Kreationismus in Amerika habe ich mich gefragt, ob es neuere, vergleichbare Umfragen auch für Deutschland gibt. Mit meiner Suche bin ich nicht weit gekommen, da ich gleich bei Statista hängen geblieben bin, einer Seite, die die Ergebnisse aus vielen verschiedenen Umfragen veröffentlicht. Leider habe ich keine Umfrage gefunden, die sich auf das Verhältnis der Deutschen zur Evolution bezieht, aber dafür gab es eine Reihe von Umfragen, die mit Religion und Glaube zu tun haben.
Fast die erste Umfrage, auf die ich gestoßen bin, stellte die Frage: "Sind sie ein religiöser und gläubiger Mensch?" Diese Umfrage kann man nach verschiedenen Parametern darstellen lassen, beispielsweise nach Einkommen, nach Geschlecht oder nach Familienstand. Hier habe ich es mal für das Alter getan:
[Quelle: Statista; Institut für Demoskopie Allensbach]
Ich kann nicht verhehlen, dass mich das Ergebnis überrascht (und erfreut) hat. Weniger als 20 % der Altersgruppen unter 50 bezeichnen sich selbst als religiös und gläubig? Das hätte ich nicht gedacht. Nahezu identisch sieht das Ergebnis aus, wenn die Frage lautet:"Halten Sie Religion und feste Glaubensüberzeugungen für ganz besonders wichtig?"
Dazu passt, dass zwar 46 % aller Befragten angeben, sie hielten es für "wichtig", dass "Kinder religiös erzogen werden", aber immerhin 38 % sagen "Es macht keinen Unterschied" und 4 % gar "Hat einen schlechten Einfluss" (12 % sind "Unentschieden") [Link zur Grafik]. Wenn man bedenkt, dass Viele wahrscheinlich bei "religiöser Erziehung" weniger den Glauben an Gott, sondern die vorgeblich "christlichen Tugenden" wie Bescheidenheit, Höflichkeit und Ehrlichkeit vor Augen haben, finde ich auch dieses Ergebnis erstaunlich.
Dann bin ich auch eine Umfrage gestoßen, in der gefragt wurde, woran die Befragten persönlich glauben (ihnen wurde eine Liste vorgelesen, und sie mussten jeweils sagen, ob sie daran glauben oder nicht).
Danach glauben 61 % an Gott, obwohl nach der ersten hier von mir zitierten Umfrage ein Großteil der Befragten (79 %) sich trotzdem nicht als "religösen und gläubigen Menschen" bezeichnen würde. Zeigt wohl mal wieder, dass die Art der Fragestellung einen großen Einfluss auf's Ergebnis hat. Was zeichnet denn sonst einen religiösen und gläubigen Menschen aus, wenn nicht Glaube an Seele, Gott, Sünde und ein Leben nach dem Tod (immerhin noch 40 % der Befragten)?
Anscheinend verstehe ich den ganzen Religion/Glaube-Komplex genauso wenig, wie Kissler die Atheisten....
Ich dachte bisher immer, wahrscheinlich sehr naiv von mir, wenn man nicht glaubt, dass es einen Gott gibt, dann ist man Atheist und wenn man an einen glaubt (plus das ganze Brimborium, das damit verbunden ist), dann ist man religiös und gläubig. Scheint so, als würden ein signifikanter Anteil der Deutschen das irgendwie anders sehen.
[Quelle: Statista; Institut für Demoskopie Allensbach]
Interessant finde ich dagegen, dass nur 12 % an die Hölle glauben, aber 34 % an den Himmel. Was denken die 22 %, die nur an den Himmel glauben? Jeder kommt in den Himmel? Oder entweder Himmel und sonst Nirwana? Und was passiert mit der Seele, die offenbar fast drei Viertel aller Deutschen für tatsächlich existent halten? Aber Gott bewahre, das ich mich jetzt auch noch in die Dualismus/Freier Wille-Diskussion einlasse... Das kann Kamenin besser als ich.
Wo wir gerade bei komischen (jedenfalls für mich) Überzeugungen sind, immerhin 43 % aller Deutschen glauben daran, dass sie einen persönlichen Schutzengel haben (24 % "Vielleicht", 28 % "Nein") und immerhin 29 % glauben an Wunder. Gut, Wunder müssen nicht immer gleich physikalische Gesetze aufheben, um als Wunder bezeichnet zu werden - was normalerweise so als Wunder bezeichnet wird, ist häufig eine Geschichte, in der viele Menschen sterben und einer schwerverletzt überlebt. Über ein anderes wunderschönes Beispiel eines "Wunders", das gar als "Gottesbeweis" bezeichnet wurde (allerdings nicht von dem Betroffenen, soviel ich weiß...), habe ich hier berichtet: 'Erics Gottesbeweis'.
Ich finde es aber schon bedenklich, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Deutschen es für plausibel hält, von einer unsichtbaren Entität beschützt zu werden, die nur für sie persönlich da ist und wenigstens ab und an ein paar physikalische Gesetze außer Kraft gesetzt werden.
Um aber dem (für mich) Widerspruche der in den genannten Umfragen ein bisschen weiter auf den Grund zu gehen, habe ich mir dann noch zwei weitere Statistiken angeschaut. Zunächst diese: "Welcher Religionsgemeinschaft gehören Sie an?"
[Quelle: Statista; Umfrage durchgeführt von Infratest]
Danach gehören 26 % aller Deutschen keiner Religionsgemeinschaft an. Das ist natürlich nicht mit Atheismus gleichzusetzen. Allerdings würde ich es aber auch nicht mit "mindestens einmal im Monat zur Kirche gehen" gleichsetzen. Aber die andere Statistik, die ich mir noch angeschaut habe, zeigt die Antworten auf die Frage, "Wie oft gehen Sie im Allgemeinen in die Kirche?" (kann man sich auch noch nach Altersgruppen etc. aufschlüsseln lassen). Danach gehen 83 % der Deutschen mindestens einmal im Monat in die Kirche. D. h. 9 % aller regelmäßigen Kirchgänger zahlen keine Kirchensteuer! SKANDAL!
Oder wie soll ich das verstehen?
[Quelle: Statista; Infratest]
Ich werde jetzt hier etwas gestehen, das mich wahrscheinlich die Hälfte meiner Leser (geschätzt) kosten wird*: Ich bin nie aus der Kirche ausgetreten. Das hatte hauptsächlich zwei Gründe, mit starker Betonung auf den Ersten: Ich war zu faul und ein paar Sachen, die die Kirchen mit der Kirchensteuer anstellen (wie Diakonie und Kindergärten) finde ich im Prinzip gut (und bei allen guten Vorsätzen hätte ich niemals das Geld, das ich als Kirchensteuer gezahlt habe - so wenig das auch war, aus meinem Doktorandengehalt - , an irgendwelche anderen Einrichtungen gespendet, die ähnliches damit angestellt hätten - nicht aus Geiz, sondern wiederum aus Faulheit). Rein theoretisch hätte ich also bei der vorigen Umfrage "Evangelisch" angeben müssen. Auf der anderen Seite war ich in den letzten 20 Jahren wahrscheinlich nicht mehr als 7 Mal in der Kirche und das waren ausschließlich Hochzeiten und Beerdigungen.
Aber 83 % aller Deutschen rennen mindestens einmal im Monat in die Kirche? Das glaube ich nie und nimmer nicht. Vielleicht ist die Frage falsch wiedergegeben und in Wirklichkeit war sie: Wie oft kommen Sie an einer Kirche vorbei? [Nachtrag 24.07.08: Statista hatte ursprünglich die Reihenfolge der Kategorien vertauscht. Mittlerweile ist der Graph korrigiert worden und zeigt jetzt richtig an, dass 83 % der Deutschen NIE in die Kirche gehen. Puh. DAS glaube ich sofort.]
Dann wäre ich auch in der "Über einmal pro Woche"-Fraktion...
In diesem Sinne: There are three kinds of lies - lies, damned lies, and statistics.
MfG,
JLT
UPDATE 05.07.08: Kamenin vermutet in einem Kommentar, dass bei der letzten Statistik die Antwortkategorien in der falschen Reihenfolge wiedergegeben worden sein könnten, dann würden 31 % der Deutschen nie in die Kirche gehen und 2 % mehr als einmal in der Woche. Das halte ich persönlich für sehr viel wahrscheinlicher. Ich habe derweil eine Email an Statista geschrieben und sie gebeten, die entsprechende Grafik doch noch einmal zu überprüfen. Mal sehen, was dabei herauskommt.
UPDATE 24.07.08: Statista hat sich in einem Kommentar zu Wort gemeldet und Kamenins Vermutung bestätigt. Der Graph ist jetzt korrigiert worden.
* Das stimmte natürlich nur, wenn Atheisten wirklich das Pack von fanatischen Eiferern wären, als die man sie gerne darstellt.
12 Kommentare:
Nur so als Anmerkung, dir ist schon klar, dass Diakonie, Caritas, kirchliche Kindergärten und so weiter nicht aus Kirchensteuereinnahmen sondern mit normalen staatlichen Geldern finanziert werden? Du bezahlst mit deiner Kirchensteuer eigentlich nur die Pfaffen und ihre Lakaien. Wenn du was soziales unterstützen willst, werd Mitglied bei der AWO oder so, wo dein Mitgliedsbeitrag verpflichtend für soziale Zwecke verwendet werden muss...
@ So Why:
Ist das so? Naja, wie gesagt, das war von meinem Doktorandengehalt, eh nicht der Rede wert. Und danach bin ich nach Irland gegangen, also keine Kirchensteuer mehr.
61% glauben also an Gott? Man müsste mal untersuchen, was sich diese 61% unter Gott vorstellen. Würde mich nicht wundern, wenn viele Gottesbilder eher der Macht aus Star Wars ähneln als dem traditionellen Christengott.
Oh Statista! Das ist wirklich ein Zeitfresser :-)
Sind denn die von dir aufgeführten Beispiele bzgl. Mitglied in Kirchengemeinde und Kirchenbesuch vergleichbar? D.h. wurden sie bei derselben Umfrage gestellt?
Ich habe auch aus Faulheit ewig gebraucht, bis ich aus der Kirche ausgetreten bin. Aber es war total unkompliziert (Standesamt: unterschreiben und 10 Euro bezahlen; Einwohnermeldeamt: Lohnsteuerkarte ändern lassen). Die wenigen eingesparten Euronen (jaja Doktoranden verdienen nicht viel ;-) ) gehen an AI.
@ anonymous:
Würde mich auch mal interessieren, wie viele an einen persönlichen Gott glauben, mit Antwort auf Gebete etc. und wie viele eher so eine New Age-Vorstellung a la Natur=Gott haben.
@ Julia49:
Sieht so aus, als wäre es die gleiche Umfrage. Wenn man auf "Mehr Informationen bei Statistia" klickt, kommt man auf die Seite mit der jeweiligen Grafik und weiter unten auf der Seite findet man dann die Einzelheiten zu der Umfrage. Bei beiden steht u. a. dies:
Die Frage stammt aus der Studie "Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften 2006". Folgende Daten geben den Erhebungszeitraum an: März bis Juli 2006.
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So, habe noch ein wenig weitergesucht, die Fragen wurden im Rahmen einer ALLBUS-Umfrage gestellt, direkt hintereinander (Fragebogen als .pdf).
Wie gesagt, ich finde das Ergebnis höchst verwunderlich - die Kirchen müssten doch proppevoll sein, wenn wirklich so viele Menschen einmal im Monat oder häufiger in die Kirche gingen. Vielleicht zeigt das aber auch nur, dass Menschen schlecht Schätzen können...
Du bist also aus der Kirche ausgetreten, soso - und wie oft gehst Du in die Kirche? :P
ok, dann hätten wir das mit der Statistik also geklärt. Bleibt noch Kirchenbesuch trotz Kirchenaustritt. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass jemand aus der Kirche austritt (aus vielerlei Gründen), aber wegen der Familie (oder den Nachbarn...) trotzdem regelmäßig zur Messe geht.
Ich war übrigens zuletzt an Pfingsten dort unterwegs, weil meine Großeltern goldene Hochzeit hatten.
Meine Vermutung war ja, dass in der Statistik einfach die Reihenfolge der Ergebnisse vertauscht worden ist. Und, siehe im ALLBUS-Fragebogen, da stehen die Kategorien tatsächlich umgekehrt: Kategorie 1 ist "über 1 mal pro Woche", Kategorie 6 ist "nie".
Ich bin übrigens, auch aus reiner Amtsfaulheit, ebenfalls sehr spät ausgetreten, war danach aber froh und beschwingt, in Berlin auch kein Geld los und wurde nicht vom Blitz erschlagen ;-) In der Kirche war ich trotzdem neulich, aber Bach-Konzerte gelten wohl nicht.
@ Kamenin:
Aha, das halte ich für eine sehr gute Erklärung. Ich habe eine Email an Statista geschrieben und sie gebeten, diese Grafik doch mal zu überprüfen. Mal sehen, was dabei rauskommt. Eine umgekehrte Einteilung würde in jedem Fall sehr viel mehr Sinn geben.
Wie gesagt, ich war ewig nicht mehr in der Kirche (abgesehen von Hochzeiten und Beerdigungen und einem Konzert, jetzt wo Du es sagst), aber irgendwie wäre mir das doch aufgefallen, wenn jeden Sonntag mehr als ein Drittel aller Deutschen in die Kirche ginge.
Jetzt ärgert's mich gerade wieder, dass ich nie ausgetreten bin, aber wenn ich mal in Deutschland und dann auch noch bei meinen Eltern bin (wo mittlerweile wieder mein offizieller erster Wohnsitz ist, da ich ja schon seit fast drei Jahren in Irland lebe), steht "Kirchenaustritt" nicht ganz oben auf meiner To Do-Liste. Mal ganz abgesehen davon, dass Ämter dann soundso meist geschlossen sind.
Werde wohl bis auf weiteres ein Karteileichen-Christ bleiben müssen (wie peinlich; vielleicht sollte ich diesen Blog löschen und so tun, als hätte es ihn nie gegeben...).
Wenn die Befragten den Kirchen noch etwas zu Gute hielten, dann war es die Ansicht, dass die Kirchen mit ihren Einnahmen aus der Kirchensteuer und ihren übrigen Einnahmen (2003 rund 17 Milliarden Euro) doch mit ihren sozialen Einrichtungen soviel Gutes für die Gesellschaft tun würden.
Wie hoch ist also die "Kirchenquote", d.h. den Anteil von Kirchengeldern in der Finanzierung aller Tätigkeiten von Caritas und Diakonie. Diese Kirchenquote beträgt 1,8 Prozent. In Summen ausgedrückt finanzieren die beiden Kirchen von den 44,5 Milliarden Euro Kosten der Einrichtungen in der Trägerschaft von Caritas und Diakonie insgesamt nur 828 Millionen Euro. Es sind nur 4,8 Prozent des Geldes der Kirchen, die für soziale Zwecke eingesetzt werden.)
Carsten Frerk in "Jungle World" Nummer 14 vom 6. April 2005
siehe auch:
http://blog.dignitatis.com/wordpress/?p=215#more-215
Btw, ganz nette Statistiken auch dieses Thema betreffend gibt es auf fowid.de.
So zeigt z.B. diese Datei (pdf) dass Frauen über alle Altersgruppen gesehen "religiöser" sind als Männer, aber eben auch die Tendenz, dass die älteren Generationen eher glauben als die jüngeren.
Die Vermutung von Kamenin ist leider richtig. Bei der Statistik zur Häufigkeit der Kirchenbesuche ist uns ein Fehler bei der Reihenfolge der Merkmalsausprägungen unterlaufen, den wir sehr bedauern. Die Reihenfolge wurde bei diesem Merkmal in falscher Richtung dargestellt. Die Daten wurden angepasst und sind nun korrekt verfügbar.
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