28 July 2008

Ich verstehe ID. Oder auch nicht. (6)

Dieses Post ist Teil meiner Besprechung des neuesten Dembski-Machwerks (Ko-Autor: Sean McDowell), 'Understanding intelligent design in plain language'. Das einleitende Post findet sich hier.



Das dritte Kapitel: 'The surprising truth'

"Die überraschende Wahrheit" des dritten Kapitels ist der Mangel an echten Belegen einer "darwinschen" Evolution, jedenfalls laut McDowell und Dembski. "Darwinisten" hielten nur deshalb daran fest, weil sie sich weigerten, die Schwächen "ihrer" Theorie zu betrachten. In Wirklichkeit sprächen alle wissenschaftlichen Belege für einen intelligenten Designer. Diese Sichtweise habe sich nur deshalb nicht durchgesetzt, weil die "Darwinisten" in der Mehrheit sind und die Medien kontrollieren, obwohl sie in Wirklichkeit in der Minderheit sind. Letzteres zeigt eindeutig, wie schwach die Belege für Evolution seien.
Darwinian evolution is the predominant view held by most scientists today. Even so, truth is not determined by majority vote. The majority of scientists have been many times in the past – as when they initially rejected plate tectonics because they thought continents were immovable – and they will most certainly be wrong again in the future. [S. 48]
Even though Darwinism exerts enormous influence in universities, the media, and Hollywood, the public remains unconvinced. Studies typically show that between 40 and 45 percent of the public holds a recent-creation view, and another 40 to 45 percent holds that God somehow used evolution as His means to create. Only around 10 percent hold strict Darwinism.
Darwinists would like to believe that people are skeptical of Darwin's theory because they've been religiously indoctrinated and haven't been properly educated. But this is a curious claim to make given that, for the past 40 years, public scools have exclusively taught Darwinism. Rather than a problem of education, the problem is one of evidence: Darwinism just doesn't have the goods. [S. 49]
Das ergibt so richtig Sinn.

Wenn die absolute Mehrheit der Wissenschaftler in der ganzen Welt die wissenschaftlichen Belege der Evolutionstheorie für überzeugend halten, dann bestimmt die Mehrheit nicht die "Wahrheit". Woraufhin die Ergebnisse von Umfragen unter Amerikanern als "Beweis" dafür präsentiert werden, dass die Belege nicht überzeugend seien...

Aber das ist noch nicht alles, was an diesen beiden Abschnitten nicht stimmt. Sie behaupten, in öffentlichen Schulen wäre ausschließlich "Darwinismus" gelehrt worden – und bringen auf der nächsten Seite [S. 50] als Beispiel für die "Verfolgung" von "Intelligent design"-Vertretern (aka Kreationisten) den Fall Roger DeHart, der trotz mehrfacher Aufforderung, ausschließlich den Lehrbuchstoff zu vermitteln, beispielsweise Material aus "Of Panda's and People" im Unterricht verwendete. Of Panda's and People ist das "Lehrbuch", das im Dover-Gerichtsverfahren 2005 als ein Beleg der religiösen Natur von ID verwendet wurde. Ursprünglich ein kreationistisches "Lehrbuch", wurde nach einem Gerichtsurteil, das die Vermittlung der Schöpfungslehre im Unterricht verbot [Edwards vs Aguillard, 1987, man vergleiche mit der nebenstehenden Grafik], für eine neue Auflage einfach jede Erwähnung von creator und creation durch designer oder intelligent design ersetzt. Mindestens an einer Stelle wurde beim offenbar manuellen Ersetzen ein Fehler gemacht, so dass aus creationists --> cdesign proponentsists wurde [The Panda's Thumb: 'Missing link: "cdesign proponentsists"', auch Bild-Quelle].

16 % aller Biologie-Highschoollehrer in Amerika gaben noch 2008 in einer Studie an, sie glaubten daran, dass "Gott den Menschen mehr oder weniger so, wie er heute ist, innerhalb der letzten 10.000 Jahre geschaffen hat" und ein nicht zu verachtender Anteil der Lehrer stellt Kreationismus und/oder ID als wissenschaftliche Alternative zur Evolutionstheorie dar:
Of the 25% of teachers who devoted time to creationism or intelligent design, nearly half agreed or strongly agreed that they teach creationism as a “valid scientific alternative to Darwinian explanations for the origin of species.” Nearly the same number agreed or strongly agreed that when they teach creationism or intelligent design they emphasize that “many reputable scientists view these as valid alternatives to Darwinian Theory”.
[Quelle: Berkman et al. (2008). Evolution and Creationism in America's Classrooms: A National Portrait. PLoS Biology 6(5): e124; frei erhältlich]

Zu behaupten, seit 40 Jahren würde in Amerika ausschließlich "Darwinismus" gelehrt, ist ein Witz.

Was aber dem ganzen die Krone aufsetzt, ist die Erwähnung der Plattentektonik als Beispiel einer Theorie, die zunächst fälschlich von Wissenschaftlern abgelehnt wurde, sich später aber durchsetzte.
Alfred Wegener, der als "Vater" der Plattentektonik gilt, war nicht der Erste, dem aufgefallen war, dass die Küstenzonen der Kontinente teilweise wie Puzzelteile zueinander passten. Ende des 19. bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es beispielsweise auch die Idee, dies sei auf eine Größenzunahme der Erde zurückzuführen (siehe Expansionstheorie; Ludmila hat kürzlich einen "modernen Vertreter" dieser Idee aufgestöbert). Nun kann man sich zwei Fragen stellen:
Erstens, warum wurde Alfred Wegeners Theorie zunächst abgelehnt und zweitens, warum wurde sie später anerkannt?

Sehr viele Wissenschaftler zu der Zeit waren der Meinung, es sei unmöglich, dass sich die Erdoberfläche derart wandeln könne und einige fügten hinzu, Wegener als Meteorologe (der er "hauptberuflich" war) habe soundso keine Ahnung von Geologie. Dies sind natürlich keine legitimen Gründe, eine Idee nicht in Betracht zu ziehen. Aber es gab auch legitime wissenschaftliche Gründe, Wegeners Idee nicht sofort zu akzeptieren: Er bot keinen plausiblen Mechanismus an (siehe z. B. auch dieses YouTube-Video mit Originalzitaten).
Continental drift was one of many ideas about tectonics proposed in the late 19th and early 20th centuries. The theory has been superseded and the concepts and data have been incorporated within plate tectonics.

By 1915, Alfred Wegener was making serious arguments for the idea in the first edition of The Origin of Continents and Oceans. In that book, he noted how the east coast of South America and the west coast of Africa looked as if they were once attached. Wegener wasn't the first to note this (Abraham Ortelius, Francis Bacon, Benjamin Franklin, Snider-Pellegrini, Roberto Mantovani and Frank Bursley Taylor preceded him), but he was the first to marshal significant fossil and paleo-topographical and climatological evidence to support this simple observation (and was supported in this by researchers such as Alex du Toit). However, his ideas were not taken seriously by many geologists, who pointed out that there was no apparent mechanism for continental drift. Specifically, they did not see how continental rock could plow through the much denser rock that makes up oceanic crust. Wegener could not explain the force that propelled continental drift.
[Quelle: Wikipedia; siehe auch Continental drift]

Und tatsächlich war auch Wegeners Vorstellung von der "Kontinentaldrift" nicht ganz zutreffend; er glaubte, nur die Landmasse der Kontinente würde sich bewegen. Erst mit z. B. einer zunehmend besseren Vermessung der Ozeanböden entwickelte man langsam die Theorie der Plattentektonik, wie sie heute anerkannt ist. Seine Grundidee aber war natürlich richtig und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Wegener seine Idee von der Kontinentaldrift u. a. auf das Vorkommen ähnliche Tier- und Pflanzenarten, lebend oder als Fossil, auf verschiedenen Kontinenten stützte.
Wegener noted that plant fossils of late Paleozoic age found on several different continents were quite similar. This suggests that they evolved together on a single large land mass. He was intrigued by the occurrences of plant and animal fossils found on the matching coastlines of South America and Africa, which are now widely separated by the Atlantic Ocean. He reasoned that it was physically impossible for most of these organisms to have traveled or have been transported across the vast ocean. To him, the presence of identical fossil species along the coastal parts of Africa and South America was the most compelling evidence that the two continents were once joined.
[Quelle: NASA Kids]

[Bild: Gondwana; Bild-Quelle: Wikipedia]

Ich könnte jetzt darauf hinweisen, dass mir spontan noch eine Theorie einfällt, die sich gegen vorgefasste Meinungen durchsetzen musste (um es mal ganz vorsichtig zu formulieren) und zwar gegen die, die Dembski und Ko. immer noch vertreten. Oder darauf, dass es, wie die Expansionstheorie zeigt, mindestens genauso viele Ideen gibt, die sich nicht durchsetzen, wie solche, *die* sich durchsetzen und der Unterschied zwischen beiden nicht darin besteht, wie überzeugt ihre Vertreter, sondern wie überzeugend ihre "Beweise" sind.
Und wie Carl Sagan schon feststellte, extraordinary claims require extraordinary evidence.

Was mich aber wirklich daran umhaut, ist, dass sich das restliche Kapitel damit befasst, die angeblich besten Hinweise auf Evolution zu betrachten (und in Strohmann-Version abzufackeln), aber die völlig mit der Plattentektonik im Einklang stehende biogeographische Verteilung der Arten, die meiner Meinung nach eins der besten unabhängigen Einzelargumente für eine gemeinsame Abstammung und Evolution darstellt, wird mit keinem Wort erwähnt.
Bias prevents many Darwinists from following the evidence where it leads. [S. 49]
schreiben sie auf Seite 49. Da kann ich nur sagen, bei ihnen verhindert die "vorgefasste Meinung" offensichtlich schon, sich die Belege überhaupt anzusehen.

Ihr erstes Beispiel sind rudimentäre Organe und insbesondere das Steißbein des Menschen, das Coccyx, und der Blinddarmfortsatz (Appendix).
Ihre "Definition" von rudimentären Organen ist:
"What about tailbones? Isn't it a leftover from our ancestors who had tails?" Such "leftovers" are known as vestigial structures. They are supposed to have performed a useful function at some point in the past, but through some evolutionary changes, they lost their usefulness.
According to Darwinists, the survival of a vestigial structure indicates the existence of a common ancestor for whom the structure formerly served a useful function. [...]
Yet to count as evidence for evolution, vestigial structures must truly be functionless. [S. 51/52]
Und das ist FALSCH. Rudimentäre Organe haben ihre ursprüngliche Funktion verloren, die sie bei einem Vorfahren noch hatten; das muss *nicht* heißen, dass sie völlig funktionslos sind (siehe auch: Index to creationist claims: CB360).
So is the coccyx (the human tailbone) a vestige remeniscent of an evolutionary past when our ancestors had tails? Medical textbooks say no. The coccyx plays a crucial role in connecting musles to the pelvis. Similarily, the human appendix – formerly thought to be vestigal – is now known to play an important role in the immune system. [S. 52]
Was den Blinddarmfortsatz angeht, spielen sie hier mal wieder Wortspielchen. Blinddarm ist nicht gleich Blinddarmfortsatz. Der Blinddarm spielt möglicherweise noch eine Rolle im Verdauungssystem, da er als Bakterienreservoir dienen kann. Der Blinddarmfortsatz jedoch, der das Rudiment eines sehr viel längeren Blinddarms ist, hat dagegen keine bekannte Funktion, weder für die Verdauung, noch für das Immunsystem. Bei überwiegend oder ausschließlich pflanzenfressenden Tieren dient ein langer Blinddarm als "Zwischenlagerstätte" für besonders schwer zu verdauendes Pflanzenmaterial, die Bakterien haben mehr Zeit, die Nahrung zu zersetzen. Diese Funktion erfüllt der Blinddarmfortsatz ganz klar nicht und seine Entfernung selbst im Säuglingsalter hat keinerlei Auswirkungen, auch nicht auf das Immunsystem.

Bezogen auf das Coccyx ist es noch offensichtlicher. Schon mal versucht, mit dem Steißbein irgendetwas zu greifen oder einen Sprung auszubalancieren? Nein? Das liegt daran, dass das Steißbein seine ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllt.

Als Embryo haben wir noch 10 bis 12 Schwanzwirbel, die bis auf fünf, die zum Steißbein "verschmelzen", alle im Lauf der Embryonalentwicklung wieder "verschwinden". Manchmal läuft dieser Prozess nicht vollständig ab und dann werden Kinder mit einem "echten Schwanz" geboren, d. h. inklusive von Wirbeln und Muskeln (hier kann man sich ein Röntgenbild anschauen: Fig 2.2.3; die blau gekennzeichneten S1-S5 sind normalerweise viel kleiner und bilden das Steißbein, C1-C3 sind normal gar nicht vorhanden). Wieso sollten Menschen das "genetische Programm" zur Ausbildung eines Schwanzes haben, wenn sie nicht von Vorfahren abstammten, die einen Schwanz hatten?

Auf der selben Seite, im selben Abschnitt, akzeptieren sie dann aber, dass die rudimentären Augen mancher höhlenlebender Fische oder Lurche tatsächlich das sind: die Rudimente von funktionsfähigen Augen, die ihre Vorfahren noch hatten.
Eyeless salamanders are certainly consistent with natural selection. If the salamanders don't need eyes, they will not die if they lose them. But Darwin wasn't simply trying to tell us that natural selection occurs; he argued that it has creative powers. And the blind cave salamanders represent the exact opposite of creative power. They didn't gain eyes, they lost them. [S. 52]
Falls jemand mit der englischen Phrase "moving the goal post" nichts anfangen kann: Dies ist ein sehr, sehr gutes Beispiel dafür. Der Abschnitt beginnt, wie oben schon einmal zitiert, mit:
According to Darwinists, the survival of a vestigial structure indicates the existence of a common ancestor for whom the structure formerly served a useful function. [S. 51]
Richtig. Aber wenn sie ein Beispiel betrachten, das selbst *ihrer* Meinung nach genau das zeigt, ist es plötzlich völlig irrelevant und sie kritisieren, dass rudimentäre Organe nicht "die kreativen Kräfte der natürlichen Selektion" belegten, was "Darwinisten" selbst ihrer eigenen Aussage nach gar nicht behaupten.

Die Autoren fahren fort:
Contrary to what Darwinists have argued, vestigial structures are quite consistent with intelligent design. From the perspective of ID, species were originally designed, but through accident or disuse those structures simply lose their function, as in the case of the salamander eyes.
Vestigial structures make sense from an evolutionary standpoint, but they also make sense from a perspective of design. Therefore, since both theories can explain the evidence, the existence of vestigial structures cannot count as evidence for or against either theory. [S. 53]
Das, geneigter Leser, ist von solch hirnerweichender Blödsinnigkeit, ich weiß nicht, wie die Autoren sich da noch übertreffen wollen - auch wenn ich sicher bin, dass sie sich beim Schreiben dieses Buches redlich Mühe gegeben haben, sich diesbezüglich immer wieder selbst zu übertreffen.

Rudimentäre Organe sind nur durch descent with modification zu erklären und offenbar erkennen die Autoren das auch an. Die Evolutionstheorie erklärt darüber hinaus auch noch, wie diese rudimentären Organe zustande kommen. Wenn wie beim Beispiel der Augen bei höhlenlebenden Tieren die Fähigkeit zu Sehen keinen Vorteil mehr darstellen, also keine erhaltende Selektion mehr stattfindet, können sich in einer Population Mutationen ansammeln, die die Funktion und/oder den Aufbau beeinträchtigen. Der Verlust des Organs oder der Organfunktion in einer Population kann dann durch genetische Drift eintreten, oder sogar, wenn das Organ vielleicht besonders verletzungsanfällig ist und/oder der Aufbau und Erhalt der Struktur Energie kostet, durch natürliche Selektion beschleunigt werden. Wenn die Evolutionstheorie zutrifft, muss man erwarten, rudimentäre Strukturen zu finden – es gibt keinen bekannten (natürlichen) Mechanismus, der gezielt überflüssig gewordene Strukturen entfernt.

Intelligent design hingegen hat keine eigenständige Erklärung für rudimentäre Organe. Wenn man, wie Dembski und McDowell das im vorigem Kapitel getan haben, common descent ablehnt, sind rudimentäre Strukturen sogar völlig unerklärlich. Selbst wenn man das Steißbein nicht als evolutionäres Überbleibsel eines Schwanzes anerkennt, es gibt durchaus auch Beispiele beim Menschen, die selbst den von ihnen genannten Bedingungen genügen.
Warum findet man z. B. im menschlichen Genom funktionslose "Rudimente" von Eidottergenen, wenn diese nicht auf funktionsfähige Gene in gemeinsamen Vorfahren mit Schnabeltieren, Vögeln und Reptilien zurückgehen? Hat der Designer den Menschen erst als Eierleger geschaffen, sich das aber später anders überlegt und eine Lebendgebärfunktion als Update eingebaut, so dass die Dottergene überflüssig wurden und sie Mutationen ansammeln konnten? Warum hat der Designer sie nicht einfach weggezaubert?

Der Einzige von der ganzen IDler-Bande, der ohne rot zu werden sagen kann, rudimentäre Organe würden seiner Auffassung von ID nicht widersprechen, ist Michael Behe, der common descent anerkennt, inklusive der gemeinsamen Abstammung von Affen und Menschen. Aber das rudimentäre Organe und Strukturen Behes Auffassung von ID nicht widersprechen, ist immer noch etwas völlig anderes als Dembskis Behauptung, ID könne sie erklären.

Dasselbe Spiel wiederholen sie im nächsten Abschnitt. Da geht es um "nicht perfektes Design". Ganz amüsant, wie sie sich da rumquälen: Nicht alles, was Menschen designen, ist perfekt, darum ist es trotzdem designt (Beispiel: Microsoft), aber vielleicht ist auch das, was nicht perfekt aussieht, in Wirklichkeit doch perfekt (Beispiel: Auge, belegt durch – Überraschung – Dembski und Wells, 'The design of life'; ich würde jedem empfehlen, der das Auge für perfekt hält, mal bei NeuroLogica vorbeizuschauen; mit der inversen Retina ist das nicht getan: The not-so-intelligent-design of the human eye. Part I, Part II).

Am Ende des ganzen Blablas kommt dann dies:
But what if the eye's funtion could be improved so that, for instance, no one ever needed eyeglasses? That would merely demonstrate its lack of perfection, not its lack of design. If Darwinism were true, we might expect to see imperfections in nature, but so too with design. Imperfections alone do nothing to confirm Darwin's theory or to disconfirm design. [S. 55]
Wieder derselbe Blödsinn.
Wenn descent with modifications zutrifft, dann erwarten wir, dass die evolutionären "Lösungen" durch die Evolutionsgeschichte bedingt sind. Dass unsere Gehörknöchelchen von zwei verschiedenen Nervensträngen versorgt werden, erklärt sich durch die evolutionäre Herkunft dieser Knochen (Einzelheiten dazu in meinem letzten Post).
Ich habe keine Ahnung, ob es "perfekter" wäre, wenn sie nur durch einen Nervenstrang versorgt würden oder es keinen Unterschied macht, ob sie nun durch zwei verschiedene oder denselben versorgt werden. Das interessante ist, dass es eine eindeutige evolutionäre Erklärung gibt, warum es genau so und nicht anders ist. Eine solche Erklärung kann ID nicht liefern. Ein Designer könnte sie durch zwei Nervenstränge versorgt haben, weil er gerade Lust darauf hatte, weil es die beste Lösung ist, weil er ein Pfuscher ist und nicht gemerkt hat, dass er für die beiden anderen Gehörknöchelchen schon einen anderen Nervenstrang verwendet hat - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber nur weil man sich eine Geschichte ausdenken kann, die nicht im Widerspruch mit dem Befund steht, hat man noch lange keine Erklärung. Schließlich könnte ein Designer eine Nervenversorgung auch einfach neu legen, oder etwa nicht?
Auf Seite 46 haben die Autoren jedenfalls noch behauptet:
The evidence of science can identify a designer consistent with the God of the Bible (for example, one that is powerful, creative, skilled, and benevolent), but science alone cannot prove that this designer is the God of Christianity or any other religious faith. [S. 46]
Ein Designer, der nicht mal theoretisch ein, zwei Knöchelchen "neu verkabeln" könnte, die sich schon in absoluter Nähe des entsprechenden Nervenstranges befinden, ist meiner Meinung nach jedenfalls weder "machtvoll, kreativ", noch "begabt".

Und im nächsten Abschnitt machen sie es schon wieder.
Beispiel diesmal: Ähnlichkeit von menschlicher und Schimpansen-DNA. Erstens, die DNA sei sich gar nicht so ähnlich wie immer behauptet, nicht 98 % Ähnlichkeit, sondern nur zwischen 95 und 96 % (das trifft zu, wenn man nicht nur Basenaustausche zählt, sondern auch Insertionen/Deletionen = Indels; was die Autoren nicht erwähnen, ist, dass natürlich auch Unterschiede in funktionsloser DNA gezählt werden, die keiner positiven Selektion unterliegt; siehe auch Index of creationist claims: CB144). Zweitens wären sich Schimpansen und Menschen gar nicht so ähnlich wie immer behauptet. Der Teil hat schon Qualitäten von "A is for Adam, B is for Bible":
At the top of the chart, have them print:
My name is ______
I am made in God's image. I am not an animal.


At the bottom of the page, they can print:
I am very Special!
[Quelle: Student exercise; ChristianAnswer.Net]

Dembskis Aufzählung der Unterschiede von Affen und Menschen (z. B. 5. Humans sweat, but apes do not. [S. 57]) stammt natürlich – mittlerweile kann man es sich fast denken – aus Dembski und Wells, 'The design of life'. Warum hat er sich nicht einfach einen neuen Titel ausgedacht und das gleiche Buch noch mal verlegt? Oder hat er das Buch mit Wells nur geschrieben, damit er in diesem Buch so richtig wissenschaftlich aussehende Literaturverweise in den Text drucken kann?
Auch diese Frage kann ID nicht beantworten.

Wie zuvor, endet der Abschnitt:
As interesting as genetic similarities between chimpanzees and humans are, they are not evidence for Darwinism. Design is also able to explain them. Designers often make different products using similar parts, materials, and arrangements. When designers find a pattern of design that works, they often stick with it, even for different products. (For instance, consider the different Apple products.)
Why couldn't the designer of nature use some similar DNA and body structure for different organisms as well? Genetic similarity between chimps and humans does make sense from an evolutionary standpoint, but is also consistent with intelligent design. Once again, the evidence does not support Darwinism. [S. 57]
GOTT IST WIE STEVE JOBS!!!

Ich kann mir nicht helfen, als ich diesen Abschnitt gelesen habe, taten mir die Autoren beinahe leid. Das klingt doch fast schon ein bisschen verzweifelt.

Jungs, um die gemeinsame Abstammung von Affen und Menschen kommt ihr nicht drumrum, wenn ihr Gott dem Designer nicht auch noch Copy & Paste-Fehler unterstellen wollt, durch die Schimpansen und Menschen beide ein defektes Gen für Gulonolactonoxidase erhalten haben (notwendig zur Vitamin C-Produktion), so dass beide Arten Vitamin C mit der Nahrung aufnehmen müssen - im Gegensatz zu allen anderen Säugetieren (mit Ausnahme der Meerschweinchen). Mal ganz abgesehen von den ganzen endogenen retroviralen Elementen (ERVs), die sich wohl auch nicht zufällig an identischen Stellen im Genom finden (siehe auch Index of creationist claims: CI141).
Ich frage mich auch, warum der Designer zwei Chromosome der Schimpansen beim Menschen zu einem zusammengefügt hat (das Chromosom Nr. 2 beim Menschen enthält Gene, die sich in gleicher Reihenfolge bei Schimpansen auf zwei (kürzeren) Chromosomen verteilt finden; Menschen haben nur 23 Chromosomenpaare, Schimpansen 24) und dabei noch nicht einmal das eine überflüssige Zentromer ganz entfernt hat.

[Abbildung: Humane und SChimpansen-Chromosome nebeneinander gestellt; Quelle: Ask a geneticist]


Ansonsten gilt, was ich auch vorher schon geschrieben habe: Nur, weil man sich eine (hier ziemlich verzweifelt klingende) Geschichte aus den Fingern saugen kann, heißt das noch lange nicht, dass man eine wissenschaftliche Erklärung hat. Wenigstens von Menschen designte Objekte kann man nicht in hierarchische Ordnungen bringen, eben weil es keine gemeinsame Abstammung gibt. Als Designer kann ich nach Lust und Laune Getränkehalter in Autos anbringen, in aufeinanderfolgenden Modellen kann ich sie auch mal bei zweien weglassen, um nachher wieder einen einzubauen, ich kann es in einigen Limousinen einbauen, in anderen nicht – es gibt keinerlei Zwänge, die mich einschränken.
Die abgestuften Ähnlichkeiten, die man in der Natur findet, sind am Besten durch descent with modifications zu erklären, descent with modification muss sogar so ein Muster hervorbringen, es ist eine logische Folge davon.
Wer nicht den Unterschied zwischen einer zwingenden Erklärung und dem Gestammel sieht, das Dembski und McDowell hier als gleichwertig zur evolutionären Erklärung präsentieren, dem ist meiner Meinung nach nicht mehr zu helfen.

Wenn man wohlwollend ist, kann man bis hierher immer noch annehmen, dass Dembski und McDowell einfach keine Ahnung haben, wovon sie reden. Immerhin gestehen sie zu, dass die behandelten Phänomene im Einklang mit Evolution stehen, auch wenn sie natürlich wild mit den Händen wedeln, damit das nicht zu sehr auffällt. Das dazu notwendige Wohlwollen ruinieren sie aber im nächsten Abschnitt vollständig, in dem sie unter der Überschrift 'Darwin's most convincing evidence' eine altehrwürdige Kreationistenlüge auftischen und dabei gleich einem ganzen Forschungszweig die Daseinsberechtigung absprechen. Dazu komme ich aber erst im nächsten Teil meiner Besprechung.

MfG,
JLT



Disclaimer: Alle Zitate, die ich angebe, entsprechen der Schreibweise im Text, enthalten keine Auslassungen, wenn nicht ausdrücklich gekennzeichnet, und sicherlich keine, die den Sinn des Zitierten verändern könnten (und Vollversionen der Zitate können gerne bei mir angefordert werden). Kursive Hervorhebungen sind wiedergegeben, wie sie im Text vorkommen, Hervorhebungen in Fettdruck stammen von mir, ebenso jedwede Tippfehler. Sollte ich nicht widerstehen können, sind Anmerkungen von mir im Text als solche gekennzeichnet, wahlweise auf Deutsch oder Englisch gehalten und können von mir aus auch gerne ignoriert werden, ich muss sie nur einfügen, um meine geistige Gesundheit zu erhalten, während ich schreibe.


2 Kommentare:

Anonymous said...

Das ist Kreationistenargumentation at its best. Wenn sich eine Gemeinsame Abstammung wirklich nicht leugnen lässt, dann wird eben behauptet, dass es sich besser hätte lösen lassen und die Evolution also nicht allmächtig sei.
Das zeigt meiner Meinung nach auch einen der grundlegenden Denkfehler aller Kreationisten, weil ihr Schöpfer allmächtig sein soll meinen sie Evolution als Erklärung für die Entstehung der Arten müsste das auch sein. Dabei ist es gerade einer der Vorteile der Evolutionstheorie, dass sie ohne Allmächtige Eingriffe auskommt.

Perfekte Lösungen also unbeschränkte Kreativität wäre bei einem Schöpfer zu erwarten, ihr Fehlen ist also ein Argument für und nicht gegen Evolution.

Ich frage mcih wirklich, ob das den Leuten nicht auffällt.

Noch etwas schönes zu funktionslosen Augen:
Der Blinde Höhlensalmler (Astyanax mexicanus)
Was mir bislang kein Kreationist so wirklich gut erklären kann:
Ich kann im gut sortierten Aquarienfachhandel Fische kaufen, bei denen es innerhalb der selben Art sehende und Blinde Formen gibt und wenn man 2 Blinde Formen von verschiedenen Fundorten miteinander kreuzt kriegt man wieder sehende Fische.
Als Kreationist müsste man sich fragen, warum der Schöpfer, wenn er die Tiere bastelt in einer Art so viele Varianten bei den Genen der Augen macht.
Wenn man die Evolution als Erklärung heranzieht ist das ganz simpel damit zu erklären, dass im Stockfinsteren Augen kein Selektionsvorteil sind also mit der Zeit alleine schon von der Gendrift eliminiert werden. Deswegen ja auch kein gerichtetes Design mit einer augenlosen Variante sondern viele Versionen, aus denen man wieder Fische mit Augen kreuzen kann.

Hier gilt wieder mal mit der Kreationistenerklärung: "Der Schöpfer/Designer/Osterhase hat es eben so gemacht" kann man alles begründen, aber nichts wirklich erklären.

JLT said...

@ Moredhel:

Sehr passend ist dies niegelnagelneue Post von PZ u. a. zu Höhlenfischen/Astyanax. Offenbar ist es bei diesen Fischen noch nicht mal ein einfacher Verlust von Genen, sondern eine aktive Unterdrückung der "Augenexpression" bzw. des die Augenexpression regulierenden Gens Pax-6, als Nebeneffekt der verstärkten Expression eines anderen Gens (Sonic hedgehog), das eine Vergrößerung des Kieferbereichs inklusive sensorischer Strukturen in diesem Bereich zur Folge hat. Die sensorischen Strukturen im Kieferbereich ermöglichen im Dunkeln eine bessere Möglichkeit zur Orientierung als Augen.

Normalerweise haben Kreationisten weniger Probleme mit der Entstehung von rudimentären Organen, weil da (ihrer Meinung nach) nur Strukturen/Gene zerstört und keine neuen gebildet werden. In einem der beiden ersten Kapitel haben Dembski/McDowell tatsächlich zwischen den Zeilen geschrieben, Mutationen etc. wären "durch die Sünden der Menschen in die Welt" gebracht worden.
Schon eine ziemlich simplizistische Weltsicht: Gott/Designer schafft Neues - Sünde/das Böse/Evilution zerstört.
Schade auch, dass das mit der biologischen Realität nichts zu tun hat.