3 March 2008

Antwort zu meinem Post: Nochmal zu den Stammzellen

Da ich nicht möchte, dass diese ausführliche Antwort auf mein Post 'Nochmal zu den Stammzellen' von dem Verfasser des in meinem Post angesprochenen Beitrags, Josef Bordat, untergeht, reposte ich sie hier nochmal.

Ich habe keine Änderungen vorgenommen, lediglich die Links im Anhang tatsächlich verlinkt, um den Zugriff auf die angegebenen Quellen leichter zu machen.

Ich werde sicherlich noch darauf antworten, kann allerdings ein paar Tage dauern.

Auch andere Kommentare sind natürlich herzlich willkommen.


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So, jetzt habe ich ein Problem: Würde ich mit der gebotenen Sorgfalt auf Ihren Beitrag eingehen wollen, kostete mich dies mindestens zwei Arbeitstage. Ich werde deshalb hier einige Dinge nur anreißen und kursorisch abhandeln – auch auf die Gefahr hin, ungenau zu werden.

Eine weitere Vorbemerkung: An einigen Stellen würde ich gerne Hinweise auf einschlägige Texte von mir geben. Ich möchte aber Ihre Seite nicht als Werbeplattform missbrauchen. Bitte entscheiden Sie selbst, ob Sie die Verweise aus der „Linksammlung“ einbinden wollen. Da ich außerdem nicht weiß, inwieweit Hinweise auf Texte mit christlichem Inhalt hier erwünscht sind, setze ich keine entsprechenden Links. Auch hier wollen Sie bitte selbst entscheiden, ob und inwieweit sie auf Texte hinweisen.

Wer Interesse hat, kann ja mal in frei zugänglichen Suchmaschinen meinen Namen eingeben und erhält sicher den ein oder andern Hinweis, oder, wer mag, kann ja ein wenig in meinem von Ihnen schon zitierten Blog stöbern, das auch einschlägige Kategorien enthält (etwa zur christlichen Anthropologie).


Liebe JLT,

zunächst mal vielen Dank für die Beschäftigung mit meinem Beitrag, auch wenn Sie zu anderen Ergebnissen kommen – oder gerade deshalb!

Nur fünf Punkte, die mir wichtig sind.

1.) Zur methodologischen Frage der Argumentation/Logik:

Ja, meine Position basiert letztlich auf einer Feststellung (Der Mensch ist [potentielle] Person von Beginn an und muss entsprechend behandelt werden.), die ihre Wurzeln im christlichen Glauben an das Gott-Mensch-Verhältnis hat (man müsste jetzt schöpfungstheologische Grundannahmen und ihre Begründetheit darlegen – das spare ich mir, da ich annehme, dass die darin enthalten Argumente in unserem „Gespräch“ als nicht zulässig gelten dürften). Nur ein Zitat von Karl Kardinal Lehmann, der in einem Interview mit der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 22. Januar 2008 die Position der katholischen Kirche wie folgt umriss: „Wir lehnen eine Forschung mit embryonalen Stammzellen ab. Es geht nicht um den Stichtag, sondern um die Voraussetzungen dafür. Die entsprechenden embryonalen Stammzellen kann man nur erhalten, wenn ein Embryo getötet wird. Da die katholische Kirche, aber nicht nur wir, sondern viele Wissenschaftler und auch Ethiker, nach der Vereinigung von Ei- und Samenzelle im Embryo ein Menschenwesen erblicken, dem Menschenwürde und Lebensrecht zukommen, sehen wir keine Grundlage, moralische und rechtliche Abstufungen dieses Lebensschutzes durchzuführen. Darum haben wir auch 2002 bei der ersten Festlegung eines Stichtages nicht zugestimmt. Hier kommt es auf Klarheit an von Anfang an.“ Dem kann ich zustimmen.

Sie sprechen nun davon, dass es die potentielle Personalität des Embryo „zu belegen“ gelte. Nun, wenn Sie mit Person einen leidensfähigen Organismus meinen und der Organismus im embryonalen Stadium nach allem, was wir wissen, nicht leidensfähig ist, dann handelt es sich nicht um eine Person und wir sind das Problem los. Wenn ich mit Person eine Entität meine, die alles, was es braucht, ein Mensch zu werden, besitzt und wenn ich weiter davon ausgehe, dass jeder Mensch und jede Person von Gott gewollt ist, dann handelt es sich beim Embryo eben doch um eine Person, die – um Gottes und des Menschen Willen – schützenswert ist. Das kann ich nicht „belegen“. Aber können Sie mir zweifelsfrei beweisen, dass nur Person sein kann, was leidensfähig ist? Und ist dann umgekehrt alles, was leidensfähig ist, eine Person? Wie klären Sie da die Grenzen so, dass sie unmittelbar einsichtig werden?

Sie haben mit dem, was Sie sagen, Recht, wenn Sie meinen, dass „der Grund für den Schutz der Person ihre Fähigkeit zu leiden ist“ – ja, wenn das der Grund wäre, halte ich Ihnen entgegen! Es ist aber nicht der Grund, nicht aus der Sicht der Kirche, auch nicht aus der Sicht des Würdebegriffs im Grundgesetz und auch nicht in der einschlägigen Rechtsprechung. Dazu ein Zitat, das dies verdeutlicht: „Der menschliche Embryo ist Träger der Menschenwürde und hat daher Anspruch auf staatlichen Schutz.“ (aus der Stellungnahme von Rainer Beckmann, Richter am Amtsgericht Kitzingen, bei der Anhörung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zum Thema Stammzellforschung am 9. Mai 2007).

Andernfalls handelten wir uns eine Reihe von schwerwiegenden Problemen ein. Wenn wir nur einen Menschen als Person begreifen, der hier und jetzt leidensfähig ist, würden schon kleinere Ohnmachtsanfälle den betreffenden Menschen seiner Personalität und damit seiner Personenwürde berauben – mit allem, was dazu gehört.

Unterstellt aber, Sie hätten Recht: Ich kann meine Position nicht begründen, zumindest nicht so, dass Sie mir folgen müssten, wenn Sie denn schwerwiegende logische Inkonsistenzen zu vermeiden suchten. Und unterstellt, ich hätte Recht mit der Annahme, die Aussage: „Ein zehn Wochen alter Fötus ist eine schützenswerte Person.“ ist logisch so konsistent wie die Aussage: „Ein zehn Wochen alter Fötus ist keine schützenswerte Person.“

Die Frage ist jetzt: Geht es eigentlich um das Thema Argumentation/Logik? In der Ethik sicherlich. Da sollte Handeln nicht nur als gut erkannt und beschrieben, sondern dahinterliegende Handlungsstrategien als richtig und vernünftig ausgezeichnet werden.[1]

Aber: Wie begründen wir Normen? Was heißt das: Eine Norm ist „vernünftig“? Was mich übrigens sehr irritiert, das ist die Tatsache, dass Naturwissenschaftler, die die Position vertreten, in allen Fragen das Deutungsmonopol besitzen zu sollen, weil sie vorgeblich allein eine nachvollziehbare Methodik anwenden, offenbar nicht einsehen (wollen), dass auch ihrer empirisch-deskriptive Methodik normative Urteile im Rücken liegen, ohne die Wissenschaft überhaupt nicht beginnen kann. Man ist doch als naturwissenschaftlicher Laie immer wieder überrascht, dass es Physiker gibt, die für Atomkraft sind und solche, die dagegen sind. Woher kommen solche Urteile? Ich glaube, wir kommen im Diskurs beim regressus ad infinitum irgendwann an den Punkt, dass wir Glaubensentscheidungen treffen müssen, für oder gegen Gott, für oder gegen eine Grundannahme.[2] Das könnte man mit Habermas „Erkenntnisinteresse“ nennen. Dieses offen zu legen, scheint mir wichtig zu sein.

Doch ich lasse mich jetzt mal weiter darauf ein und gebe Ihnen als Naturwissenschaftlerin das Vernunftmonopol[3] – auch in dieser Frage. Ich als religiöser Mensch bin dumm und gefühlsgeleitet. Dann stellt sich die Frage: Muss man in der Gesellschaft auf dumme Menschen wie mich Rücksicht nehmen, die einem logisch absolut konsistenten Argument ihre Gefolgschaft verweigern, weil sie die Meinung (es sei ruhig bloß: das Gefühl) haben, sie hätten ein Argument, das logisch ebenfalls absolut konsistent ist? Und weiter: Wenn die Dummen in der Mehrheit sind: Muss man den Gefühlen der Mehrheit nachgeben, obwohl man es ja besser weiß? Das betrifft auch andere „Irrationalitäten“ (Kernenergie, Gentechnik etc.) und bringt uns insoweit etwas aus dem Thema. Ich denke aber, dass es durchaus interessant ist zu fragen, was die bessere Staatsform ist: Demokratie oder Expertokratie.

2.) Zur Hauptfrage menschlichen Lebens und zur Gleichwertigkeit von Tier, Mensch, Person sowie zum „Speziezismus“:

Es gibt in der Philosophie, insbesondere in der philosophischen Anthropologie und der Existenzphilosophie eine ganze Menge von Versuchen, dem Phänomen des Menschlichen durch Ein- und Unterteilungen näher zu kommen; auf metaphysischer Ebene wird schon mal zwischen Dasein und Existenz (Jaspers) unterschieden, auf intentionalistischer unterscheiden einige zwischen Mensch und Person (Singer, Frankfurt). Neuerdings taucht auch die von Ihnen erwähnte Unterscheidung von „human life“ und „human being“ auf (H. Dreier).

Man handelt sich freilich damit das Problem der Grenzsetzung ein und die Frage, welches dieser Daseinskonfigurationen in welcher Weise schützenswert sein soll. Soweit waren wir schon.

Zugegeben, die katholische Kirche, die ich mal – unautorisiert – vertreten will, macht es sich da sehr einfach: Alles Leben kommt von Gott und gilt von „Beginn an“ als unbedingt schützenswert. Dazu passt ein Zitat von Axel W. Bauer, Professor für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg: „Die Würde des Menschen darf nicht dadurch angetastet werden, dass das jeweils schützenswerte menschliche Leben nach den aktuellen Erfordernissen der Biowissenschaften fortlaufend neu definiert wird.“ (im Rheinischen Merkur) Genau das beschreibt die Befürchtung vieler Menschen: Wir bestimmen uns selbst, über das gottgewollte Maß an Selbstbestimmung hinaus.

Sie selbst sprechen davon: „Wie und wo man auch immer eine Grenze ziehen will....“ Es ist dieses „will“, das mir Sorgen bereitet. Denn wer sagt denn, dass nicht irgendwann der Beginn der Hirntätigkeit (Sie sprechen vom 6. Schwangerschaftsmonat) oder die Vollendung der Geburt oder der Beginn der Krabbelfähigkeit oder das erste gesprochene Wort die Grenze bestimmt. Sie werden sagen. Aber das will doch niemand! Klar, ich glaube das auch nicht, aber ich muss dann doch den vielzitierten Peter Singer ernst nehmen – vielleicht ernster, als ihm lieb ist – und die schiefe Ebene, die er selbst aufbaut als etwas betrachten, wo Menschenwürde arg ins rutschen kommt. Wenn er vorschlägt, dass man über die Existenz etwaiger behinderter Kinder ja noch mal in aller Ruhe und mit ärztlichem Rat nachdenken dürfen sollte, um dann die verpasste Abtreibung doch noch zu vollziehen, gerade weil ein Baby für ihn keine „Person“ sein kann, weil es keine Interessen hat, dann bin ich doch sehr beunruhigt.[4] Und ich frage mich mit M. Böhmer, wie das Problem der Grenzziehung, des Personstatus’ des Menschen in seinen Lebensphasen und die interessengeleitete Abwägungspraxis des Würdebegriff zusammengehören.[5]

Sie haben wieder Recht: Ich komme etwas vom Thema ab.

Um es zusammenzufassen und schon den Grund der Differenz in der Frage menschlichen Lebens anzudeuten: Wir als Christen nehmen Dinge ernst, die für jemanden, der die Prämisse nicht teilt, der nicht an Gott glaubt, unmöglich ernst genommen werden können. (Nota bene: Warum Frau Schavan meint, sie könne die Verschiebung des Stichtags auch als katholische Theologin verantworten, ist mir völlig unverständlich.) Die- oder derjenige muss dann aber, um die Menschenwürde nicht der Tagespolitik zuzuweisen, andere Begründungen finden, die auch in sich widersprüchlich sind bzw. höchst problematische Implikationen aufweisen. Daraus ergeben sich zum einen Probleme mit der mangelnden argumentativen Leistungsfähigkeit, die sich zwangsläufig einstellt, wenn die Grundannahmen verschieden sind, zum anderen Probleme mit der Akzeptanz und der Sorge um den Begriff der Menschenwürde schlechthin. Ich glaube, aus diesem Dilemma kommen wir nicht heraus.

Was die Frage des Tier-Mensch-Verhältnisses betrifft (Krone der Schöpfung vs. Speziezismus-Vorwurf), klingt das holistische Lebensschutzprinzip, das ja nicht erst Singer eingeführt hat, sondern das ein uraltes Konstitut vieler Naturreligionen und des Buddhismus ist („Achtsamkeit“), zunächst sehr schön. Es passt auch gut in die Zeit des Klimawandels und der ökologischen Debatten. Allerdings kann das alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass es uns schwer fällt, in konkreten Fällen die angeblich nur graduellen und nicht prinzipiellen Unterschiede zwischen Tier und Mensch bis zur letzten Konsequenz durchzuhalten. Auch Sie sagen ja, dass sie eher ein Tier opfern würden als einen Menschen. Sie heben de facto den Menschen heraus, ohne das Wort von der „Krone“ in den Mund zu nehmen. Was ist es dann, das Sie davon abhält, ernsthaft Mensch gegen Tier abzuwägen? Eine Intuition? Ihr Gewissen? Man müsste dann weiter fragen: Was ist das? Eine Instanz, die sich im Laufe der Evolution aus Materie gebildet hat, die dem Menschen qua natura zukommt? Oder: Die innere Stimme Gottes? Und: Widersprechen sich die beiden Positionen? (Nota bene: Thomas von Aquin spricht ziemlich oft von der natura humana, setzt darin gleichwohl die Einwirkung Gottes voraus. Ich habe mal versucht, theologische, Thomas von Aquins Betrachtung der natura humana, die Freiheit, Glück und „das Gute“ harmonisiert, psychologische, Leon Festingers Begriff der kognitiven Dissonanz, philosophische, Harry Frankfurts Volationen erster und zweiter Ordnung, die den Unterschied zwischen Neigung und Willen markieren und neurobiologische Erkenntnisse zur Ethik, aktive Beendigung von Mitleid durch „gutes“ Handeln, Belohnungsreaktion nach überwundenem Mitleidsgefühl, Tanja Singer, miteinander in Verbindung zu bringen. Das kann gelingen, und es öffnet Perspektiven, die der einzelwissenschaftlichen Betrachtung verschlossen sind. Bei Interesse kann ich Ihnen den Text gerne zuschicken.).

3.) Zur Frage der Anwendbarkeit und Formulierung der Goldenen Regel

Die Goldene Regel vermag mit ihren positiven und negativen Formulierungen zwei Grundaspekte jeder Ethik zu erfassen: Wird in der positiven Form der Goldenen Regel („Verhalte dich dem Anderen gegenüber so, wie du willst, dass er sich dir gegenüber verhält.“) kontextualistisches Wohlwollen gefordert, verweist die von Ihnen zitierte negative Fassung („Was Du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu.“) auf die kontraktualistisch zu definierenden Grenzen der Eingriffsmöglichkeit in die Sphäre des autonomen Anderen, orientiert am Begriff der Gerechtigkeit. Ich weiß allerdings nicht, inwieweit die Goldene Regel hier nicht mit Vorsicht zu genießen ist, da sie (zumindest in dieser negativen Formulierung) Reziprozität unterstellt, die ja nicht gegeben ist (Storch-Fuchs-Problem). „Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ ist indikativisch und kann im Verhältnis vorgeburtlicher Embryo-erwachsener Mensch (gerade wenn man den Unterschied hinsichtlich der Personalität machen will) nicht angewandt werden. Dann schon eher die hypothetische Konjunktivform: „Ich will, dass das mit dem Anderen geschieht, was ich wollen würde, so ich denn an der Stelle des Anderen wäre (mit all seinen Qualitäten).“[6]

Interessant ist, dass dieser Einfühlungsakt bei den Befürwortern der Forschung mit embryonalen Stammzellen offenbar eine Rolle spielt, denn genau so läuft deren konsequentialistische Argumentation: Hätte der Zellhaufen Interessen/Wünsche, würde er sich opfern wollen. Es scheint also doch wichtig zu sein, zumindest Versuchsweise die Position eines Zellhaufens einzunehmen. Ich finde das bemerkenswert, mal abgesehen davon, ob man einer Person im embryonalen Stadium dadurch gerecht wird.

4.) Zur Frage, ob es sich bei der Wirtschaftlichkeit um ein Argument im Diskurs oder um ein von mir erfundenes Scheinargument handelt

Zu Beginn ein Zitat von Gebhard Fürst, Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Mitglied des Deutschen Ethikrats: „Die Katholische Kirche verteidigt mit der Forderung nach unbedingtem Lebensschutz für embryonale Menschen nicht einen nostalgischen Lebensbegriff, sondern eines der moralischen Grundprinzipien der Aufklärung und sieht mit Sorge, dass gerade in vorgeblich modernen und aufgeklärten Gesellschaften diese Prinzipien zugunsten ökonomischer Nutzenkalküle fraglich und disponibel werden.“

Wäre das Kostenargument das einzige, gäbe es diesen dramatischen Streit wohl nicht, soweit kann ich Ihnen folgen. Und ich denke auch, dass die überwiegende Zahl an Wissenschaftlern und Medizinern helfen und heilen will und diese Sendung besser und schneller mit embryonalen Stammzellen erfüllbar sieht als mit adulten. Ich muss bekennen: Ich weiß nicht, was es kostet, eine embryonale Stammzelle zu gewinnen und zu beforschen, im Verhältnis zu den Kosten desselben Vorgangs mit einer adulten Stammzelle. Ich verstehe auch nichts vom Unterschied zwischen beiden Stammzellarten im Hinblick auf Krebsgefahr etc. Ich muss mich als Laie an das halten, was Experten der Öffentlichkeit mitteilen. In diesem Zusammenhang fand ich folgende Aussage: „Es ist aus meiner Sicht als Biologe nicht nur ein Durchbruch, es ist es sogar eine Sensation. Zum ersten Mal können Forscher die Zeitachse der Entwicklung in der Zellkultur umkehren: Aus einer Körperzelle wird eine Zelle wie im frühen Embryo – eine pluripotente Stammzelle. Auch wenn die verjüngten, reprogrammierten Zellen noch nicht perfekt sind, geht die Tragweite dieser Entdeckung aus meiner Sicht sogar noch über die der Schaffung von Dolly hinaus.“ (Prof. Dr. Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster).

Sie sagen in Ihrer Stellungnahme so ziemlich das Gegenteil bzw. weisen auf nötige Vergleiche hin. Was heißt das jetzt? Woher rührt die Differenz, wenn man mal von den üblichen Unterschieden bei der wissenschaftlichen Einschätzung von Sachverhalten absieht?

Aber zurück zur Wirtschaftlichkeitsfrage. Sehr erhellend ist, was im Antrag der Liberalisierungsbefürworter steht (Drucksache 16/7982 zur Änderung des Stammzellgesetzes): Wenn man die Forschung mit embryonalen Stammzellen nicht erlaubt, so ist dort im letzten Absatz zu lesen, bedrohe man „die medizinische Forschung in Deutschland“, da sie „von der medizinischen Entwicklung innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft abgeschnitten“ werde. Zugegeben: Es mag den Wissenschaftlern und Medizinern in erster Linie um die Heilung kranker Menschen gehen. Das wird auch im gesellschaftlichen Diskurs aufgegriffen und das nehme ich sehr ernst. Nachgeschoben wird aber – und wie ich finde: in diesem Zusammenhang perfider Weise – immer wieder der Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland. Die betreffenden Abgeordneten (hauptsächlich aus den Reihen der FDP) legen in Stellungnahmen (je inoffizieller, desto unverhohlener) entsprechend nach und ich habe den Eindruck gewonnen, es geht vielen in erster Linie um diese Fragen, die ich unter die Begriffe „Kosten“ und „Bequemlichkeit“ zu subsumieren versucht habe. Auch hier kann ich Ihnen keine glasklaren Aussagen beibringen, die dies belegen („Solange der Rubel rollt, sind uns die Menschen schnuppe. Und Embryos erst recht!“ – „Heilungschancen? Darum geht’s doch gar nicht. Was wir brauchen sind Nobelpreise.“ – „Forschung schafft Arbeit! Ob die Forschung dann was bringt, ist doch egal.“ – so etwas hören Sie nur in einschlägigen Kreisen zu bestimmten Uhrzeiten). Sollte der Eindruck entstanden sein, ich würde etwa behaupten, alle Wissenschaftler resp. Entscheidungsträger dächten so, dann möchte ich mich dafür entschuldigen.

5.) Leben-gegen-Leben-Dilemmata

Embryonenverbrauchende Forschung, Abtreibung und Tötung geborenen menschlichen Lebens ist für mich immer ein Leben-gegen-Leben-Dilemma und ich hoffte, dies auch so herausgearbeitet zu haben. Leben-gegen-Leben-Dilemmata lassen sich auflösen (auch aus theologischer Sicht). Grundsätzlich ist das aber freilich immer ein Riesenproblem, da egal wie es im einzelnen begründet wird, der Tod eines Menschen immer ultima ratio ist – da gibt es, glaube ich, Konsens. An vielen anderen Stellen begegnet uns dieses Dilemma, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit der Frage, ob es einen „gerechten Krieg“ geben kann[7].

Zum Beispiel der Lebensrettung (Baby vs. 100 Embryonen): Ich würde vermutlich auch das Baby retten, aber ich wüsste nicht, ob aus Überzeugung, das Richtige zu tun, oder aus Angst, im anderen Fall strafrechtlich belangt zu werden, was wohl durchaus ginge (unterlassene Hilfeleistung; dieser Straftatbestand bezieht sich, soviel ich weiß, nur auf menschliches Leben nach Vollendung der Geburt) oder einfach aus dem Gefühl heraus, den Eltern, die ja um ihr Baby wissen, mehr Leid anzutun als ich den Eltern der Embryos, die ja nicht um das Schicksal ihres Embryos wissen, jeweils an Leid ersparen würde. Vermutlich würde ich instinktiv die pragmatische Lösung wählen: das Baby kann ich ohne weiteres identifizieren, die Embryonen nicht.

Aber: Ich weiß wirklich nicht mit Sicherheit, was ich im Fall des Falles tun würde. Ich finde solche Beispiele grundsätzlich sehr fragwürdig, da man in Extremsituationen oft anders handelt, als man vielleicht am „grünen Tisch“ darüber redet. Als ich damals den Wehrdienst aus religiösen Gründen verweigerte (ich war mal Radikalpazifist – eine Haltung, die ich mittlerweile der Realität geopfert habe), wurde ich bei der Vorbereitung zum „Gesinnungsverhör“ in Büchern mit der Frage konfrontiert, was ich denn tun würde, wären meine Eltern, Geschwister, Freunde vom „Feind“ mit dem Tode bedroht. Meine erste Reaktion war: „Meine Lieben verteidigen!“. Auf den zweiten Blick fiel mir dann die Inkommensurabilität dieser Reaktion mit meiner christlich-pazifistischen Haltung, die ich zu haben glaubte, auf (vorausgesetzt, es ist schon so weit, dass Verteidigung nur noch mit Waffengewalt möglich ist). Mittlerweile hat man von dieser Art Befragung Abstand genommen, weil Psychologen deutlich zeigen konnten, dass man diese Dilemmata, von denen es unendlich viele gibt, nicht simulieren kann zumindest nicht so, dass man das tatsächliche Verhalten des Menschen in einer tatsächlichen Notsituation ergründen könnte. In der Tat wurde ich auch gar nicht befragt, in der Tat habe ich bis heute keine Waffe führen müssen. Aber das Problem bleibt freilich bestehen.

Schließlich: Dass mir das Schicksal der Kranken nicht egal ist, müssen Sie mir glauben. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mit dem Thema ringe, wie ich Argumente gegeneinander abwäge, über Lösungen nachdenke (so gut es halt geht), Gespräche suche mit Menschen unterschiedlichster Einstellung (so wie jetzt) und – bete. Mag die Rede von der Potentialität gottgewollten Menschenlebens ein metaphysisches Ideal bezeichnen, dass Ihnen sehr fremd ist – seien Sie gewiss: meine Bauchschmerzen sind ganz real!

Für mich, wie schon für Peter Wust[8], gehört Erkenntnis und Bekenntnis zusammen. Ich vertraue dabei letztlich auf einen Gott, dessen Vernunft größer ist als der menschliche Verstand zu fassen vermag. Und im Vertrauen darauf, dass die Liebe Gottes zwar nicht alles so macht, wie ich es mir in meiner Endlichkeit wünsche, dass aber im Lichte der Unendlichkeit alles sinnvoll wird, möchte ich schließen. Jetzt sagen Sie bitte nicht, belegen Sie das mal: Gott, Liebe, Vertrauen!

Herzliche Grüße,
Ihr
Josef Bordat


Linksammlung

[1] zum Verhältnis von „Ethik“ und „Moral“:
http://www.philosophia-online.de/mafo/heft2008-1/Bor_EthEd.htm

[2] zum Thema „Methodologie“:
http://jobo72.wordpress.com/2008/02/07/30/

[3] zum Verhältnis von „Religion“ und „Wissenschaft“:
http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=11707

[4] zu Singer:
http://www.philosophieren.de/archiv/singer.html
http://www.re-public.gr/en/?p=154

[5] zu Böhmers „Babymord-Theorie“:
http://www.readers-edition.de/2008/02/25/bravo-boehmer-ein-kommentar/

[6] zur Goldenen Regel:
http://www.marburger-forum.de/mafo/heft2007-1/Bor_gol.htm

[7] zur humanitären Intervention:
http://www.agips.org/doc/bips/BIPS-nummer1-Jg2006.pdf (Beitrag „Vom bellum iustum zum just war“)
http://www.bildungsforschung.org/Archiv/2006-01/menschenrechte
http://www.recenseo.de/artikel.php?id=109&kategorie=artikel&nav=Inhalt
http://www.afk-web.de/Tagungsband_2007_web.pdf
(vielleicht hier einen „Warnhinweis“ einfügen: Es beginnt automatisch der Downloadvorgang, Größe der Datei: 2,3 MB) (Beitrag „Neue Kriege, alte Argumente. Militärische Terrorbekämpfung zwischen Recht und Moral“)
http://people.brunel.ac.uk/~acsrrrm/entertext/7_2/ET72BordatEDFinal.doc

[8] zu Peter Wust:
http://jobo72.wordpress.com/category/peter-wust/

9 Kommentare:

Anonymous said...

Erstes Zitat:

"Wir bestimmen uns selbst, über das gottgewollte Maß an Selbstbestimmung hinaus."

Völlig unabhängig von meiner persönlichen Ablehnung des Konzeptes "Gott" finde ich bei derartigen Argumentationen den Hochmut der argumentierenden (das geht ausdrücklich nicht gegen den im Artikel zitierten Kommentator, der sich in meinen Augen sehr offen für Argumente der Gegenseite zeigt, ohne diese zu teilen. Respekt dafür!). Woher nehmen die Gläubigen den Hochmut zu wissen was Gott will? Angenommen, es gäbe wirklich einen (allmächtigen) Gott, hätte dieser doch Mittel und Wege sich gegen einen Akt zu wehren, den er nicht will(!). Und wenn dieser Gott sich bei derartigen Dingen dann doch nicht einmischt, kann man sich doch mit Fug und Recht die Frage stellen, ob wir besagtem Gott nicht einfach völlig egal sind.

Zweites Zitat:

"Lebensschutz für embryonale Menschen nicht einen nostalgischen Lebensbegriff, sondern eines der moralischen Grundprinzipien der Aufklärung"

Hier sollte man nicht außer Acht lassen, dass die Aufklärung auch schon ein paar Tage her ist. Generell ist es wohl nicht verkehrt sich an der Aufklärung zu orientieren, auch und einfach um Nicht-Religiöse Argumente zu nutzen.
Aber (mein Präsentationscoach würde diesen Begriff so gerne aus meinem Vokabular verbannen): Seit dem ist nun mal eine gewisse Zeit vergangen. Und Wissen(-schaft) entwickelt sich mit zunehmender Geschwindigkeit weiter. Von daher sollten wir flexibel genug sein uns – jetzt mal Themenunabhängig – auch den jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen unter zu ordnen. Natürlich (!) mit der gemessenen Vorsicht ob möglicher noch folgender Erkenntnisse. Und die sagen nun einmal – laut JLT (ich bin da kein Fachmann) – dass die ersten Gehirnaktivitäten (EEG) eben ab einem bestimmten Zeitpunkt vorkommen, und man nun davon ausgehen könne, dass vorher eben nicht gedacht/gefühlt wird.

Drittens:

Der Begriff "Potentieller Mensch" und seine Formen bereitet mir doch arge Bauchschmerzen. Denn die Vereinigung von Ei- und Samenzelle als initialen Moment zu erkennen ist ja – genau wie der vorher erwähnte sechste Monat – eine Definition. Diese mag zunächst genauso nutzbar sein wie jede andere, aber man sollte sich doch bitte vor Augen halten, dass es sich auch dabei eben um einen gewählten Zeitpunkt handelt. Wähle ich mit anderen Wertmaßstäben aus müsste ich unter Umständen auch Onanie wieder verbieten, da hier ja bereits potentielle Menschen…

Ich denke es ist klar worauf ich hinaus will. Die Argumentation reicht mir da eben nicht weit genug, bzw. geht sie dann doch zusehr von Dingen aus die ich eben für mich nicht akzeptiere/n kann.

JLT said...

Hallo Josef,

bevor ich auf einzelne Punkte eingehe, die Sie angesprochen habe, würde ich gerne vorausschicken, warum ich mich überhaupt mit der Stammzelldebatte beschäftige, was meine Intention ist und auch die Position, aus der heraus ich schreibe, klarstellen.

Bei der Stammzelldebatte, wie auch bei vielen anderen Themen (z. B. Gentechnik, Kerntechnik...), gibt es mindestens zwei, wenn nicht drei, Ebenen, die vermischt werden: Wissenschaft, Ethik und Politik.
Die Wissenschaft liefert die Fakten, nicht mehr. Sie ist wertfrei und macht keinerlei ethische Aussagen. Wenn ich mich hier also zu ethischen Fragestellungen äußere, dann tue ich das zwar als Wissenschaftler, der ich nun mal bin, aber ich behaupte nicht, dass das eine Ethik ist, die sich zwangsläufig aus der Wissenschaft ergeben würde.
Ethik ist immer eine Art kultureller Konsens, der erst durch Diskussion erarbeitet werden muss, und ist auch nicht absolut, sondern kann sich mit der Zeit wandeln. Es ist unausweichlich, da eben nicht ein für alle Mal geklärt werden kann, was "ethisch" ist, dass Menschen unterschiedlicher Meinung sind. Darum ist meiner Meinung nach aber umso wichtiger, dass zunächst die Grundlagen geklärt werden und zwar für jede Ebene einzeln.
Das wären also einerseits die wissenschaftlichen Fakten und andererseits der "ethische Konsens", also worüber besteht Einigkeit und wo beginnen sich die Positionen voneinander zu unterscheiden.
Bei der Stammzelldebatte findet dies meiner Meinung nach überhaupt nicht statt.
Ich denke, dass ich als Wissenschaftler in der Lage bin, die wissenschaftlichen Fakten klarzustellen. Das wäre Intention Nr. 1. Dann versuche ich herauszustellen, bis zu welchem Punkt Einigkeit besteht und wo sich die ethische Bewertung unterscheidet. Das ist Intention Nr. 2. Ich möchte also die *Voraussetzungen* schaffen, ohne die meiner Meinung nach keine echte Diskussion stattfinden kann.
Was mich an der Haltung von vielen Gegner der Stammzellforschung maßlos ärgert, ist, dass sie in der Regel die wissenschaftlichen Fakten ignorieren oder falsch darstellen und darüber hinaus so tun, als wäre ihre ethische Haltung die Richtige Und Einzig WahreTM und nur wer die gleiche Einstellung hat, ist Ein Guter Mensch. Insbesondere Wissenschaftler werden dagegen gerne als Fanatiker dargestellt, denen jedes Mittel recht ist, um ihre Forschung weiterzuführen, und die sich soundso grundsätzlich nie über ethische Aspekte ihrer Forschung Gedanken machen.


Zu den wissenschaftlichen Fakten:

Erstens, was ist der tatsächliche Stand der Forschung.
Wenn Wissenschaftler sagen, die Forschung an ESZ unverzichtbar ist, wenn in der Zukunft Behandlungsmöglichkeiten durch ESZ oder auch reprogrammierte adulte Stammzellen möglich werden sollen, dann ist das auch so und nicht auf irgendwelche "niederen Beweggründe" zurückzuführen. Ich persönlich arbeite mit adulten Stammzellen, ich habe überhaupt nichts zu verlieren, wenn ESZ-Forschung nicht zugelassen wird (mal ganz abgesehen davon, dass ich noch nicht mal in Deutschland arbeite). Auch die Wissenschaftler, denen es neulich gelungen ist, die bisher überzeugendste Rückprogrammierung von adulten Zellen zu ESZ-ähnlichen Zellen durchzuführen, sagen, dass die ESZ-Forschung (momentan) unverzichtbar ist, wenn zukünftige Therapien mit reprogrammierten adulten Zellen möglich sein sollen. Trotzdem wird Wissenschaftlern vorgeworfen, sie würden an der ESZ-Forschung festhalten, weil sie ihr Forschungsgebiet nicht "verlieren" wollten, oder weil es "bequemer und kostengünstiger" wäre (warum auch immer das so sein sollte). Das entspricht ganz einfach nicht den Tatsachen.

Zweitens, wie sind die Erfolgsaussichten.
Obwohl natürlich niemand mit Sicherheit sagen kann, wann welche Therapien, die auf ESZ-Forschung beruhen, möglich sein werden, und die Beurteilung der Erfolgsaussichten generell auch wieder subjektiv ist, gibt es doch Arbeiten, die ganz konkrete Fortschritte auf dem Weg zu therapeutischen Anwendungen darstellen. Als Beispiel hatte ich in meinem vorangegangenem Post ja schon die Erzeugung von Insulin-produzierenden Zellen genannt. Bevor diese als Therapie bei Diabetes eingesetzt werden können, müssen natürlich noch einige Hürden genommen werden. Aber der erste Schritt (und möglicherweise der schwierigste) zu einer Anwendung ist getan.
Einschränkend muss man sagen, dass alle aus ESZ-generierte Zellen (oder Organe, wenn das mal möglich sein sollte) nach einer Transplantation vom Empfängerorganismus abgestoßen würden, wenn man nicht das Immunsystem unterdrückt, genauso, wie das auch nach einer "normalen" Transplantation notwendig ist. Im Fall der Insulin-produzierenden Zellen hieße das, dass sie nur in sehr schwerwiegenden Fällen einer instabilen Diabetes zur Therapie eingesetzt würden, da eine Immunsuppression schwerwiegende Komplikationen nach sich ziehen kann, die nur bei einer sehr schweren/lebensbedrohenden Erkrankung tolerierbar sind. Der Vorteil gegenüber dem Status quo wäre allerdings, dass bisher in solchen Fällen Insulin-produzierende Zellen von Organspendern übertragen werden. Man also davon abhängig, ob ein passender Organspender vorhanden ist. Durch die Möglichkeit, diese Zellen aus ESZ zu generieren, würde man von Organspendern unabhängig und jeder, der eine solche Behandlung benötigte, könnte sie auch sofort erhalten.
Um auch für weniger schwere Fälle als Therapie attraktiv zu werden, müsste man aus körpereigenen Zellen Insulin-produzierende Zellen generieren können, da diese dann auch ohne Immunsuppression eingesetzt werden könnten. Deswegen stimme ich übrigens auch Herrn Schöler, den Sie zitieren ("Aus einer Körperzelle wird eine Zelle wie im frühen Embryo – eine pluripotente Stammzelle. Auch wenn die verjüngten, reprogrammierten Zellen noch nicht perfekt sind, geht die Tragweite dieser Entdeckung aus meiner Sicht sogar noch über die der Schaffung von Dolly hinaus."), aus vollem Herzen zu. Könnte man körpereigene Zellen zuerst zu ESZ-ähnliche Zellen reprogrammieren und dann aus diesen, wie aus den ESZ, andere spezialisierte Zelltypen generieren (wie z. B. Insulin-produzierende Zellen), würde das die Anwendungsmöglichkeiten um einiges vergrößern.
Der Grund, warum Herr Schöler Dolly erwähnt, ist übrigens, weil die andere Möglichkeit, ESZs zu erzeugen, die "körpereigen" sind, das therapeutische Klonen wäre: wenn man also aus einer Körperzelle und einer Eizelle zunächst einen Embryo erzeugt und aus diesem dann die Stammzellen entnimmt. Ethisch ist das natürlich nicht weniger umstritten....

Drittens, wann werden Stammzellen gewonnen, was "können" diese Stammzellen, wo kommen die Embryonen her, aus denen Stammzellen gewonnen werden.
Auch da wird eine enorme Verschleierungstaktik betrieben. In meinem ersten Post zu diesem Thema habe ich mich u. a. mit einem Post von Theolounge beschäftigt. Das war mit dem Ultraschallbild eines Fötus in einer Gebärmutter illustriert. Das ist meiner Meinung nach höchst unehrlich. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Embryonen zerstört werden, wären sie, selbst wenn sie in einer Gebärmutter wären, noch nicht mal implantiert! Auf einem Ultraschallbild könnte man gar nichts erkennen. Selbst ein Schwangerschaftstest würde negativ anzeigen. Eine Spirale als "Empfängnis"-Verhütung tut nichts anderes, als die Implantation eines Embryos zu verhindern. Nach der gleichen Logik, mit der ESZ-Forschung unterbunden werden soll, müsste man auch Spiralen verbieten (Abtreibungen sowieso).
Aber, die Embryonen, die zerstört werden, *befinden sich nicht in einer Gebärmutter und sind auch nicht dazu bestimmt, da jemals hinzukommen*.
(Etwas genauer/weiter ausgeführt habe ich dies in meinem ersten Post zur Stammzelldebatte: 'Stammzellen: Viel Lärm um Nichts')


Viertens, wie sieht der Zeitrahmen aus, was sind die normalen Entwicklungsstufen eines Embryos – Fötus – ungeborenen Kindes.
Das hängt natürlich mit dem zweiten Punkt zusammen, aber ist meiner Meinung nach allgemein zur Klärung von Ethikfragen zum Schutz ungeborenen Lebens von Bedeutung. Es ist ein Fakt, dass sich erst nach der achten Schwangerschaftswoche ein neuronales Netzwerk ausbildet und es ist ein Fakt, dass erst ab dem sechsten Schwangerschaftsmonat mittels EEG eine Hirnfunktion nachweisen lässt.
Welche *Folgerungen* man daraus zieht, ist eine ganz andere Frage, aber die Fakten selbst sind unbestreitbar.


Ich denke, damit habe ich umrissen, was ich mit der Faktenbasis meine, die meiner Meinung nach Grundlage für eine Meinungsbildung und eine informierte Diskussion sein muss.
Ein Beispiel:

Was verschwiegen wird: Längst geben sich viele Forscher nicht mehr so optimistisch, denn de facto weiß man überhaupt nicht, welche Erfolge man erzielen könnte und zweitens sind schon einige erfolgsversprechende Aussichten von wissenschaftlicher Seite als sehr fraglich, ja utopisch eingestuft worden.
Vielmehr geht in der heutigen Wissenschaft der Trend dahin, auf diesem gesamten Forschungsfeld auch am “new genetic design” des Menschen zu arbeiten: Menschen sollen über ihre von Gott geschenkten genetischen Fähigkeiten, die auch Grenzen mit sich bringen, “genkonform” gemacht werden, was soviel bedeutet, dass wir selber Menschen nach unseren Vorstellungen kreieren und sie mit Fähigkeiten ausstatten, die “übermenschlich” sind. Dieses Thema ist längst kein Tabu mehr unter renommierten Forschern.


Hier wird suggeriert, dass a) soundso nichts bei der ESZ-Forschung rumkommt, b) die Wissenschaftler das alle wissen (aber verschweigen) und c) sie in Wirklichkeit gar nicht an möglichen Therapien durch ESZ arbeiten, sondern daran, "übermenschliche" Menschen zu kreieren.

Da kann ich dann tatsächlich mit der "Deutungshoheit der Wissenschaft" sagen: Kompletter Blödsinn.
Verwendet jemand diese Aussagen als *Begründung* für seine ethische Bewertung, dann kann ich meiner Meinung nach auch mit Recht sagen, dass ich diese nicht anerkenne, nicht, weil "Der Wissenschaft" eine Deutungshoheit über ethische Fragen zukommt, sondern weil die Aussagen keinerlei Zusammenhang mit der Realität haben und deswegen eine darauf beruhende ethische Bewertung sich eben auch nicht auf die tatsächliche Fragestellung bezieht.

Vielleicht eins noch zu der "Deutungshoheit":
Ich habe das oben schon gesagt, aber ich möchte es noch mal wiederholen. Die wissenschaftlichen Fakten sind die eine Sache, etwaige ethische Folgerungen daraus eine andere.
Ich glaube keineswegs, dass Wissenschaftler eine Deutungshoheit haben, was die ethischen Folgerungen angeht, und ich glaube auch nicht, dass Wissenschaftler allgemein das behaupten. Ich glaube auch nicht, dass Wissenschaftler per se "vernünftiger" oder weniger gefühlsgeleitet sind.
Die *wissenschaftliche Methodik* ist rational. Sie beinhaltet sogar, weil sie der Tatsache Rechnung trägt, dass auch Wissenschaftler "nur" Menschen sind, Mechanismen, die persönliche Voreingenommenheiten aus dem Erkenntnisgewinn eliminieren sollen.
Möglicherweise, da sich Wissenschaftler beruflich jeden Tag damit auseinandersetzen müssen, sind sich diese sogar viel eher bewusst, dass persönliche Voreingenommenheit o. ä. zu einem objektiv falschen Ergebnis führen kann als "normale" Menschen und sind deswegen so erpicht auf objektive Kriterien zur Beurteilung einer Sachlage.

In dem Zusammenhang schrieben Sie, dass auch Wissenschaftler zu unterschiedlichen Beurteilungen eines Sachverhaltes kommen (können), als Beispiel nennen Sie die Kernenergie, auch wenn alle logisch konsistent argumentieren.

Das ist meiner Meinung nach kein Widerspruch.
Bei der Bewertung der Kernenergie oder auch der Gentechnik geht es um Kosten-Nutzen- bzw. Risiko-Nutzen-Abwägungen. Und da kann jeder Mensch (und jeder Wissenschaftler) zu einem anderen Ergebnis kommen. Selbst wenn es eine genaue Prozentzahl gäbe (z. B. das Risiko eines schwerwiegenden Zwischenfalls in den nächsten 50 Jahren ist 0,25 %), dann gäbe es sicherlich Menschen, die dieses Risiko immer noch als zu groß ansähen und andere, die es im Hinblick auf den möglichen Nutzen akzeptieren würden.
Was die Wissenschaft "besser" leisten kann als Laien, ist, die tatsächlichen Risiken aufzuzeigen. Bezogen auf Gentechnik, habe ich neulich in einer Umfrage gesehen, dass fast ein Viertel der Menschen glauben, sie würden ebenfalls genetisch verändert werden, wenn sie genetisch veränderte Pflanzen/Früchte essen. Das ist purer Unsinn. Wer das als eine Gefahr von Gentechnik sieht, der wird das Risiko der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen zwangsläufig größer einschätzen, als es tatsächlich ist. Ich denke, dass vieles von dem, was Wissenschaftler als irrationale Ängste bezeichnen, tatsächlich "uninformierte" Ängste sind.

Bei der Beurteilung der ESZ-Forschung handelt es sich aber meiner Meinung nach nicht um eine Kosten-Nutzen-Rechnung.

Womit wir bei der "Ethik-Ebene" sind.

Ich habe ganz zu Anfang schon geschrieben, dass es mich ärgert, wenn Gegner der Stammzellforschung ihre ethische Bewertung so darstellen, als wäre sie die Richtige Und Einzig WahreTM und nur wer die gleiche Einstellung hat, ist Ein Guter Mensch. Damit wird jeder, der zu einer anderen Bewertung kommt, als "weniger" ethisch oder unethisch dargestellt, als wäre jede Abweichung von dieser Bewertung der Anfang einer völligen Abschaffung jeglicher Ethik, ein "Slippery Slope".
Meine ethische Bewertung der ESZ-Forschung basiert aber genauso auf feststehenden Kriterien wie beispielsweise die Ihre. In dem Sie mir, oder sagen wir mal allgemeiner, in dem Gegner der Stammzellforschung ihren Befürwortern unterstellen, diese würde jeweils so argumentieren, dass sie alles machen können, was sie wollen, sagen die Gegner eigentlich, dass die Befürworter überhaupt keine Ethik haben.

Zudem wird von christlicher Seite so getan, als wäre "ihre" Ethik die, auf die man als an Gott glaubender Mensch kommen müsste. Sie schreiben beispielsweise:
Ja, meine Position basiert letztlich auf einer Feststellung (Der Mensch ist [potentielle] Person von Beginn an und muss entsprechend behandelt werden.), die ihre Wurzeln im christlichen Glauben an das Gott-Mensch-Verhältnis hat (man müsste jetzt schöpfungstheologische Grundannahmen und ihre Begründetheit darlegen darlegen – das spare ich mir, da ich annehme, dass die darin enthalten Argumente in unserem „Gespräch“ als nicht zulässig gelten dürften).


Ich bezweifle nicht, dass Ihre Bewertung/die Bewertung der katholischen Kirche/die Bewertung anderer Christen sich logisch konsistent aus theologischen Grundannahmen ergibt.
Genauso wie man möglicherweise, wenn man sich die Geschichte mit Onan anschaut, argumentieren könnte, dass es schon unethisch ist, wenn man "seinen Samen auf die Erde fallen und verderben" lässt.
Nach dem jüdischen Glauben wiederum ist ein Embryo nur im Kontext mit der Mutter ein menschliches Wesen, aus mehr oder weniger der gleichen Argumentation, die ich auch anwende: Ohne Mutter ist der Embryo kein potenzieller Mensch, da er außerhalb der Gebärmutter nicht das Potential hat, ein Mensch zu werden. Und auch innerhalb der Gebärmutter wird eine "graduelle Menschwerdung" angenommen. Weiter ausgeführt habe ich das in meinem Post 'Biomedizin in Israel'
Man kann also selbst aufgrund der gleichen oder ähnlichen Glaubensannahmen zu ethisch unterschiedlichen Bewertungen kommen.
Schon alleine deswegen würde ich den Anspruch, den christliche Gegner der Stammzellforschung haben, dass ihre ethische Bewertung die Einzig Richtige ist, anzweifeln.

Hier geht es um eine Regelung, die für alle Deutschen gilt und auf alle Auswirkungen hat. Bei der derzeitigen Regelung beispielsweise macht man sich sogar dann strafbar, wenn man im Ausland an ESZ arbeitet, die nach dem deutschen Stichtag gewonnen wurden.
In Deutschland leben aber nicht nur Christen und auch nicht alle Christen kommen notwendigerweise zu der gleichen ethischen Bewertung (sie selbst nennen Frau Schavan). Ich finde, eine Regelung sollte dem auch Rechnung tragen.

Zunächst geht es meiner Meinung nach darum, herauszufinden, wo sich noch alle einig sind.
Darum meine "Definition" einer Person als einer "Entität" mit Leidensfähigkeit und Bewusstsein und meine Behauptung, dass die Schutzwürdigkeit einer so definierten Person von den allermeisten Leuten anerkannt würde – und zwar unabhängig vom jeweiligen Glauben oder Nicht-Glauben, da jeder den Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit hat und es keiner besonderen Anstrengung bedarf sich vorzustellen, dass auch alle anderen diesen Wunsch haben.
Im übrigen, mir war, bis Sie das hier anführten, nicht klar, dass es eine positive und eine negative Goldenen Regel gibt und ich hätte in meinem vorangegangenen Post genauso gut die andere nehmen können (wenn sie mir in dem Moment des Schreibens eingefallen wäre), ohne mir auch nur im mindesten darüber bewusst zu sein, dass ich damit womöglich unterschiedliche Aussagen mache. Dies herauszustellen erscheint mir besonders wichtig, da Sie aus der Formulierung, die ich gewählt habe, aus mir ehrlich gesagt nicht nachvollziehbaren Gründen zu dieser Aussage kommen:

Interessant ist, dass dieser Einfühlungsakt bei den Befürwortern der Forschung mit embryonalen Stammzellen offenbar eine Rolle spielt, denn genau so läuft deren konsequentialistische Argumentation: Hätte der Zellhaufen Interessen/Wünsche, würde er sich opfern wollen. Es scheint also doch wichtig zu sein, zumindest Versuchsweise die Position eines Zellhaufens einzunehmen. Ich finde das bemerkenswert, mal abgesehen davon, ob man einer Person im embryonalen Stadium dadurch gerecht wird.

Das bestreite ich aber aufs Entschiedenste! Nie und nimmer nicht unterstelle ich dem Embryo, er würde sich opfern wollen, wenn er denn etwas wollen könnte.
Wenn der Embryo irgendetwas "wollen" könnte, dann würde er leben und sich fortpflanzen "wollen". Wie könnte ich als Biologin und als jemand, der die Evolutionstheorie vertritt, irgendetwas anderes sagen oder denken.
Ich behaupte nicht und ich bin auch überzeugt davon, dass das wirklich NIEMAND behauptet, dass ESZ-Forscher im Interesse des Embryos handeln. Ich halte diese Idee für nachgerade aburd! Ich behaupte, der Embryo HAT kein Interesse, weil ihm die biologischen VORAUSSETZUNGEN fehlen, ein Interesse zu haben.

Aber zurück zu meiner Personen-Definition und der Schutzwürdigkeit. Mir ist klar, dass das nicht der Begründung für den Würdebegriff entspricht, den die Kirche verwendet oder der derzeit in der Rechtssprechung verwendet wird. Es ist meine Annäherung an das, was ich mal die gemeinsame Basis nennen möchte, das, auf das sich die meisten Menschen einigen können, da es eine nicht nur logisch konsistente, sondern rationale Begründung gibt. Wie gesagt, ich behaupte keineswegs, dass die Begründungen von Gegnern der Stammzellforschung unlogisch wäre – sie ist ausgehend von den Grundannahmen logisch konsistent, sogar eher, als die derzeitige Regelung. Die halte ich für relativ schizophren (als änderte es die ethische Bewertung, wann der Embryo zerstört wurde; entweder ist es unethisch, mit ESZ zu arbeiten, weil dafür Embryos zerstört werden müssen/mussten, oder es ist es nicht).
Nur sind die Grundannahmen eben nicht allgemeingültig, so dass auch die Folgerungen daraus nicht für alle gelten.

Die Frage ist natürlich, ab wann handelt es sich um eine Person. Da argumentiere ich ganz konservativ und sage, ohne ein neuronales Netzwerk kann es kein Bewusstsein und keine Leidensfähigkeit geben, dieses entwickelt sich erst ab der 8. Woche, also ist der Embryo davor keine Person und ist nicht besonders schutzwürdig.

Sie sagten dazu:

Andernfalls handelten wir uns eine Reihe von schwerwiegenden Problemen ein. Wenn wir nur einen Menschen als Person begreifen, der hier und jetzt leidensfähig ist, würden schon kleinere Ohnmachtsanfälle den betreffenden Menschen seiner Personalität und damit seiner Personenwürde berauben – mit allem, was dazu gehört.

Zur Verdeutlichung: Leidensfähigkeit heißt nicht, akut leiden, sondern eben die Fähigkeit dazu. Ein momentan bewusstloser Mensch kann *im Prinzip* leiden, er hat die *Fähigkeit*, also die biologischen Voraussetzungen, dazu, ein Embryo hat die nicht.

Das ist mein Vorschlag einer Diskussionsgrundlage. Meiner Meinung nach muss jeder, der für eine Schutzwürdigkeit vor diesem Zeitpunkt argumentiert, ebenfalls versuchen, dies auf der Basis allgemeingültigen Annahmen zu machen, schließlich gilt eine Neuregelung auch für die Allgemeinheit und nicht nur für die, die bestimmte Grundannahmen teilen.
Oder, alternativ, sollte meiner Meinung nach eine Begründung versucht werden, warum ausgerechnet die subjektiven Grundannahmen einer bestimmten religiösen Gruppe die Basis für eine allgemeingültige Regelung sein sollten.

So, wie es im Moment gemacht wird, habe ich den Eindruck, die Argumentation besteht aus: "Weil wir sagen, dass das so ist, ist das auch so (und wenn Du nicht zustimmst, bist Du ein schlechter Mensch)".

Sie haben weitestgehend nicht so argumentiert, und vieles von dem, was ich "Den Gegnern der Stammzellforschung" vorwerfe, trifft auf ihre Argumentation gar nicht zu. Tatsächlich war auch mein erstes Post nicht so sehr als Kritik an Ihren Ausführungen gemeint, sondern war eher ein Kommentar zu der Stammzelldebatte allgemein, so wie ich auch in diesem Post eher versucht habe zu verdeutlichen, wie meine Haltung zur ESZ-Forschung ist und warum und wie ich mir eine Diskussion wünschen würde, als dass ich spezifisch Ihre Herangehensweise kritisiere.

Wenn es auch unwahrscheinlich ist, dass eine Diskussion in diesem Fall tatsächlich dazu führt, dass die eine Seite die andere überzeugt, so könnte sie aber immerhin zu einem besseren Verständnis der jeweiligen anderen Seite führen. So, wie die Diskussion momentan in der Öffentlichkeit geführt wird, habe ich den Eindruck, dass es die Gräben eher vertieft.

Schöne Grüße,
JLT



Der Vollständigkeit halber noch zwei Dinge hintendran, die sie auch angesprochen haben:

Was meine "Bevorzugung" anderer Menschen über andere Tiere angeht, da kann ich, diesmal sogar biologisch belegt, antworten: Die eigene Familie, die eigene Gruppe anderen Familien/Gruppen vorzuziehen, zu begünstigen, ist, aus meiner wissenschaftlichen Sicht, tief in unsere Verhaltensmuster eingraviert (und auch in die Verhaltensmuster anderer sozial lebender Arten). Als Mensch betrachte ich alle Menschen als meine Gruppe und ziehe sie als solche anderen Gruppen (sprich = Arten) vor. Rational begründbar ist das nicht, jedenfalls folgt es nicht aus meiner Minimaldefinition: Person = Leidensfähigkeit.
In der Diskussion mit (sog.) radikalen Tierschützern würde es mich sicherlich in Schwierigkeiten bringen, dass ich meiner eigenen Überzeugung nach kein rational begründbares Recht habe, anderen Primaten den "Personenstatus" vorzuenthalten, wenn ich meine Minimaldefinition anwende... Die hätten Sie aber auch, schätze ich mal, der Mensch als Krone der Schöpfung, dem alle anderen Lebewesen untertan sind, kommt als Begründung für die ethische Zulässigkeit von Tierversuchen sicherlich auch nicht gut an ;-)

Zu dem Nutzen-Argument, dass einige Befürworter der ESZ-Forschung machen und Leben-gegen-Leben Dilemmata:

Meiner Meinung nach ist der mögliche Nutzen nur dann ein Argument, *wenn* man akzeptiert, dass der Embryo schützenswert ist. Akzeptiert man dies nicht, ist es letztendlich "egal", ob die Forschung Nutzen bringt.
Wenn ich glaubte, dass der Embryo schützenswert wäre, hätte ich größere Schwierigkeiten bei der ethischen Bewertung, da ich Kosten-Nutzen-Abwägungen bzw. Leben-gegen-Leben Dilemmata für sehr viel schwieriger auflösbar halte. Aber wie gesagt, meiner Meinung nach ist dies hier keins.

Anonymous said...

Liebe JLT,

vielen Dank für die ausführliche, informative, offene Antwort, mit der ich mich erst mal beschäftigen muss, um dann zu sehen, ob aus meiner Sicht der argumentative Faden noch weiter gesponnen werden kann. Ich sehe auf den ersten Blick einige Dinge, wo wir absolut unvereinbare Auffassungen haben (etwa zum Würde-Status des Embryo), andere hingegen, wo ich meine, nicht ganz richtig verstanden worden zu sein bzw. wo mir auch noch mehr zur Erhärtung meiner Position einfiele, wenn ich denn die Zeit hätte, noch mal intensiver zu schauen, wie Andere aus „meinem“ Lager mit den Fragen umgehen. Vielleicht schaffe ich das ja noch.

Aber ich denke, so, wie es jetzt gegeneinandersteht, kann sich jede Leserin und jeder Leser ein Bild machen von zwei Grundpositionen, die sicherlich nicht die einzigen im Diskurs sind (interessant: der „Behinderten-Vertreter“ im Dt. Ethik-Rat, Dr. P. Radke, ist überraschenderweise gegen ESZ-Forschung, aber gar nicht mal „vom Anfang her“ gedacht, sondern letztlich mit der Behauptung, man solle nicht alles machbare machen, es brauche schließlich Leid, um das Gute überhaupt erkennen zu können – das ist zwar nicht neu, das Argument, aber ich fand das trotzdem interessant, dass es an der Stelle im Diskurs auftaucht – ich weiß nicht, was ich davon halten soll, so faszinierend der Gedanke als metaphysischer auch sein mag und so richtig er ist, doch: Kann man nicht auch aus der Erinnerung an das überwundene Böse das aktuale Gute wertschätzen, muss man es – wie Radke andeutet – ständig vor Augen haben? Andererseits: Er ist selbst als Schwerbehinderter „betroffen“, um so erstaunlicher diese Aussage. Das ganze Interview: http://www.tagesschau.de/inland/interviewradtke2.html).

Ihnen alles Gute,
Josef Bordat

Der Dank geht freilich auch an „Curi0us“ - zum Begriff „Willen Gottes“ arbeite ich an einer Antwort.

JLT said...

Hallo Josef,

ich hatte Ihnen gestern noch mit einer Email Bescheid sagen wollen, dass meine Antwort jetzt online ist, aber offensichtlich mag ihr Mailprovider meinen nicht und hat mich als Spam ausortiert :-(

Darum jetzt auf diesem Wege, da es auch zu ihrem Kommentar passt:

Hallo Josef,

meine Antwort auf Ihr Post ist jetzt online, als Kommentar unter ihrem Post.
Ich hoffe, damit konnte ich meine Position noch etwas verdeutlichen.

Ich persönlich finde Diskussionen wichtig, auch wenn man keine Einigung
erzielt, da sie i. d. R. zu einem besseren Verständnis der "Gegenseite"
beitragen, was alleine schon ein Erfolg wäre. Darum sind meine Kommentare auch unmoderiert - eine andere Meinung als meine zu haben, ist definitv kein
"Löschungsgrund" für mich. Ich bin sogar ziemlich erstaunt, wie wenig
"Gegenrede" ich eigentlich ernte, dafür, dass ich sicherlich Meinungen
vertrete, die dem einen oder anderen nicht gefallen ...

Also noch einmal danke für den Widerspruch ;-)

Schöne Grüße,
JLT

Anonymous said...

Versuch einer Antwort auf die ein oder andere Frage, die ich aus Ihren Beiträgen herauslese

So - gleich in medias res! Ohne weitere Vorrede will ich noch mal einige Einzelaspekte vertiefen, die über den konkreten Fall hinausgehen und vielleicht von Interesse sind.

I. Die Kirche und der Rest der Welt

Sie schreiben: „So, wie es im Moment gemacht wird, habe ich den Eindruck, die Argumentation besteht aus: Weil wir sagen, dass das so ist, ist das auch so (und wenn Du nicht zustimmst, bist Du ein schlechter Mensch).“

Also, ich kann nicht für 2 Mrd. Christen sprechen (nicht mal für die 50 in meiner Gemeinde), aber ich kenne keinen (Mit-)Christen, der so redet – nicht mal wenn es um das Mitteilen der Uhrzeit geht... (vielleicht ein Kennzeichen der KSG/KHG). Mal im Ernst: Mir fällt immer wieder auf – in Ihrer Darstellung, aber auch in anderen – dass ein Kirchen-/Christentumsbild angegriffen wird, dass so eigentlich nicht (mehr) existiert. Verzeihen Sie, wenn ich jetzt etwas persönlich werde, aber ich habe heute einen so wunderbaren ökumenischen Gottesdienst zum Weltgebetstag der Frauen erlebt, der mir sehr nahe ging und mich in einer Weise angesprochen hat, wie ich es bisher selten erleben durfte. Ich glaube: Auch das ist Kirche.

Die sich aus der Bibel und der kirchlichen Tradition ergebenen ethischen Position sind rigoros. Sie gelten aber zunächst nur für die Katholiken, also für mich. Wenn ich mich nicht daran halte, mache ich was falsch. Selbstverständlich wünsche ich mir, dass alle Menschen so dächten, wie ich denke und dementsprechend meine Positionen teilten (ich glaube, dass das auch für Sie und Ihre Position gilt und im Grunde für jeden Menschen, denn andernfalls würde er ja mit seiner Position selbst nicht mehr glücklich sein und sie ändern – das ist also der einzige absolut verallgemeinerbare Satz schlechthin!). Das ist ja auch die eigentliche Quelle von Mission: Ich bin glücklich und ich will mein Glück teilen! Da geht es um Liebe, nicht um Macht. Und wenn der andere sagt: „Nein, danke! Ich bin schon glücklich!“, dann ist Mission auch schon am Ende – wenn Sie aus Liebe geschieht! Was will man denn mehr als den anderen Menschen glücklich machen!

Dass ich mit meiner Position glücklich bin und sie für die richtige halte (was streng in eins fällt!) heißt also nicht, dass ich mir anmaße, über Andere zu urteilen, schon gar nicht über die andere Person. Was ich verurteile, ist die Haltung. Das muss man scharf voneinander trennen (Augustinus: „Liebe den Sünder, hasse die Sünde.“). Und dann versuche ich zu erklären und zu überzeugen. Letztlich schließt man dann einen Kompromiss. Der tut meist beiden Seiten weh, aber anders geht es wohl nicht. Ich glaube, dass 99% aller Menschen so vorgehen, so sie sich als Demokraten verstehen.

II. Noch mal etwas zur Klarstellung meiner Position

In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, die eigene Position zu verdeutlichen. Ich habe das getan, Sie haben das getan, und dabei haben Sie einige Fragen angesprochen, die weitergehen und andere Aspekte betreffen (etwa die Sexualmoral).

Noch einmal: Ich bin gegen jede Form von Lebensbeendigung beim Menschen, die nicht natürlich erfolgt, das umfasst das Töten von Embryonen zu Forschungszwecken oder durch Verhütungsmethoden, die nicht die Entstehung, sondern die Entwicklung des Embryos hemmen sowie die Abtreibung zu jedem Zeitpunkt. Selbstverständlich auch das Töten von geborenen Menschen, unabhängig von ihrem IQ, ihren Berufsaussichten o.a. Erwägungen. Und dies schließt auch jede Form von Lebensbeendigung ein, die im (mutmaßlichen) Willen des Menschen wurzelt (also: Töten auf Verlangen, „Sterbehilfe“).

Was Formen der Sexualität und der Empfängnisverhütung betrifft, bei denen (in einem ganz umfänglichen Sinne von „Praxis“) von vorne herein verhindert wird, dass überhaupt Leben entstehen kann, darüber möchte ich hier jetzt nicht streiten, weil wir da sicher sehr weit vom Thema abkämen. Nur soviel: Ich sehe beides kritisch – die rigorose Position des Lehramts der Kirche, die zwar konsistent begründet ist, aber wo sich doch die Frage stellt, ob sie dem Menschen gerecht wird, und die Position einiger in der Kirche, die morgens ins Internet gehen, um zu schauen, was gerade „in“ ist, um mittags zu verkünden, genau darin läge die Zukunft der Kirche. Diese fragwürdige Anbiederung an den Zeitgeist mache ich nicht mit.

Also: Grundsätzlich halte ich die katholische Sexualmoral für richtig, weil sie Sexualität als achtenswertes Geschenk Gottes begreift und weil sie eingebettet ist in eine allgemeine Moral, die den Menschen immer als Person (und niemals als Objekt) ansieht. Die landläufig selbstverständliche Trennung von Sex und Liebe ist für mich vor diesem Hintergrund nur sehr schwer nachvollziehbar.

III. Status des Embryo – Rechtssituation in Deutschland

Auch wenn wir, was den Status des Embryo betrifft, unterschiedliche Ansichten haben, will ich doch noch einmal darauf zurückkommen, mal stärker von der juristischen Seite, die Sie in ihrer abwägenden-differenzierenden Positionierung etwas zu unterschätzen scheinen.

Die Norm, die in Deutschland eindeutig gegen jede Verwendung von Menschenleben zur Erfüllung bestimmter Zwecke spricht ist Art. 1 GG, Abs. 1, Satz 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“).

a) Dass die Tötung eines Menschen zum Zweck möglicher Fortschritte in der Forschung dessen „Würde“ verletzt, dürfte i. A. unstrittig sein.

b) Handelt sich aber bei dem, was das getötet wird, aus juristischer Sicht um einen „Menschen“? Was bedeutet „Mensch“ im Zusammenhang mit Art. 1 GG, Abs. 1, Satz 1?

Hierzu sei an zwei Positionen des Bundesverfassungsgerichts erinnert:

1. „Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der ,lebt’; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden.“ (Urteil des BVerfG vom 25.02.1975, AZ 1 BvF 1/74 u.a. [BVerfGE 39, 1, veröffentlicht in: NJW 1975, 573]).

2. Das Grundgesetz enthält keine „dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgenden Abstufungen des Lebensrechts“ (Urteil des BVerfG vom 28.05.1993, AZ 2 BvF 2/90 u.a. [BVerfGE 88, 203, veröffentlicht in: NJW 1993, 1751]).

Art. 1, Abs. 1, Satz 1 GG muss demnach so gelesen werden: „Die Würde des menschlichen Lebens ist unantastbar.“ Danach stellt die Tötung (ein Fall von „Verletzung der Würde“) von Embryonen (als „menschliches Leben“) unabhängig von Zweck und Zusammenhang der Tötung einen Verstoß gegen Art. 1, Abs. 1, Satz 1 GG dar. Somit verstößt das Stammzellgesetz, das ja diese Tötung positiviert, gegen Art. 1, Abs. 1, Satz 1 GG.

Wenn Sie sagen: „Die Rechtslage und die Urteile des BVerfG halte ich für falsch.“ (was ich aus Ihren Einlassungen schließe), so können Sie dies im philosophischen Diskurs gerne tun, nur dadurch verliert sie, die Rechtslage, ja nicht ihre Gültigkeit.

Und: Gesetze kann man ändern, aber oberste Verfassungsgrundsätze sind nicht zu ändern. Art. 1 GG, auf den sich die Auslegung des BVerfG bezieht, geht nicht zu ändern, ohne dass die Bundesrepublik Deutschland aufhört zu existieren – so hoch muss man das wohl hängen, denn wenn sich die vornehmste „Aufgabe aller staatlichen Gewalt“ als substantiell hinfällig herausstellt, weil es nichts mehr „zu schützen“ gibt, da sich der Würdebegriff aufgelöst hat, wüsste ich nicht, was dieser Staat, der das mitmacht, dann noch mit der Bundesrepublik Deutschland des GG zu tun hat.

Aber man muss sich offenbar über die Kernbegriffe „Würde“ und „Mensch“ unterhalten und man muss es wohl schon deshalb, weil die Mütter und Väter des GG nicht die Möglichkeiten der Medizin im 21 Jh. abschätzen konnten.

Aber man kann dennoch nicht zu anderen Ergebnissen kommen als das BVerfG 1975 und 1993: Das vorsätzliche Beendigen menschlichen Lebens in all seinen Phasen ist rechtswidrig. Daher ist auch jede Abtreibung (es ging sowohl bei dem 1975er, als auch der 1993er Urteil um die Debatte hinsichtlich § 218 StGB) ein mittelbarer Verstoß gegen Art. 1 GG und deswegen im Geltungsbereich des GG rechtswidrig (obgleich die Tat straffrei bleibt – was wiederum Probleme mit der unmittelbaren Straftat-Rechtsfolge-Logik des deutschen Strafrechts mit sich bringt – anderes Thema!).

So, und dann kann man sagen: „Das war 1993. Das ist 15 Jahre her.“ Richtig, aber das BVerfG dürfte keinen Grund haben, etwas an seiner Einschätzung zu ändern, geht es doch bei der Bestimmung normativ unbestimmter Rechtsbegriffe aus dem Bereich der Moral („Würde“, „Sitte“, „Treu und Glauben“) immer darum, das in der Gesellschaft mehrheitlich vorherrschende Empfinden in die Begriffe hineinzulegen. Und zwei Drittel der Deutschen sind nun mal der Meinung, verbrauchende Forschung mit Embryonen, also das Töten von Embryonen als menschlicher Lebensform, verstoße gegen die „Würde des Menschen“, so dass Art. 1 GG nach wie vor in diesem Sinne auszulegen ist.

IV. Die Wissenschaft und die Ethik

Bei allem Respekt und bei aller Zustimmung zu der Trennung von deskriptiver und normativer Ebene im Diskurs, von „Fakten“ und „Folgerungen“: Ich fürchte, damit machen Sie es sich zu leicht.

Ich muss dazu etwas ausholen: Es gibt ein tiefes Misstrauen gegenüber Machthabern. Das ist erst mal sehr gut, kann aber problematisch werden, wenn allein der Umstand, dass jemand Macht hat, schon zu Aversionen führt. Die deutsche Neidgesellschaft ist da ein gutes Beispiel. Ich persönlich glaube, dass 90% von denen „da oben“ (Wissenschaftler, Politiker, Unternehmer) ehrlich sind, fleißig arbeiten und gemeinwohlorientiert denken. Das Problem ist, dass „schwarze Schafe“ immer wieder Zweifel hegen.

Wenn Sie (zusammengefasst) zum Ausdruck bringen: „Niemand hat die Absicht, einen Menschen zu klonen.“, dann muss ich Ihnen das glauben, ich habe aber im Hinterkopf mein Urmisstrauen gegen die „Obrigkeit“ (das ich nach Röm 13 nicht haben sollte, ich weiß...) und denke mir: „Kenn ich!: ,Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen.’ – Wer ist diesmal dieser ,Niemand’?“

Ich weiß, dass in den Medien Wissenschaftler meist als Mischung aus Einstein und Frankenstein gezeichnet werden und vor allem die Filme mit „wissenschaftlich-utopistischem“ Inhalt durch Übertreibungen ein falsches Bild von wissenschaftlicher Forschung vermitteln und irrationale Ängste schüren, die Sie zu Recht sehr verärgern. Aber deswegen sollte die Wissenschaft mehr tun, um da entgegen zu wirken.

Fakten (also Zusammenhänge, die man in der Natur auffindet) werden ja auch mit bestimmten Interessen weiterentwickelt. Für den Befund, dass ein bestimmtes Naturgesetz gilt, kann niemand was, richtig. Und es aufzufinden kann nur gut sein.

Trotzdem: Ihre Argumentation klingt so ein bisschen wie die Exkulpationsstrategie, die dem Waffenhändler-Ethos eignet: „Nicht das Maschinengewehr tötet, sondern der Mensch, der es benutzt!“ Das ist richtig; und sicherlich kann man die unglaublichsten Gebrauchsgegenstände als Mordwaffe einsetzen, ohne den arglosen Hersteller zur Verantwortung ziehen zu können, aber irgendwie passt mir dieses Argument nicht.

Wer ist denn dann für die ethische Dimension der Wissenschaft Ihrer Meinung nach konkret verantwortlich? Der Wissenschaftler selbst ja offenbar nicht, der forscht ja nur.

Die „Gesellschaft“ (was immer das heißt)? Sie wollen sich doch nicht von Aufsichtsbehörden gängeln lassen, in denen möglicherweise auch noch Kirchenvertreter sitzen; bei zwei Drittel Christen in der EU muss damit gerechnet werden.

Oder trennen Sie streng zwischen Wissenschaft und Technik, also zwischen Forschung und Anwendung, und bürden dem Ingenieur die ganze Sache auf? Das ist nun, mit Verlaub, sehr naiv: Sie finden heraus, dass ein bestimmter Stoff in Verbindung mit einer Aufbereitungsmethodik giftig ist, sagen es dem Ingenieur und fügen hinzu, es möge doch bitte diese Erkenntnis nicht militärisch nutzen, wofür dieser schnell sein Ehrenwort gibt. Damit sind Sie (nicht Sie persönlich jetzt, sondern pars pro toto) aus dem Schneider. Und dann hören Sie, dass mit „Ihrem“ Gift in einem Bürgerkrieg in Afrika 50.000 Leute vergast wurden und alles, was Sie denken ist: „Ach, dieser Ingenieur! Hat er wieder gelogen, so ein Schelm!“ – Das glaube ich nicht!

Im Ernst: Sind Sie nicht der Meinung, dass man bestimmte Dinge gar nicht erst erforschen sollte? Zum Beispiel die hochinteressante Frage, wie lange Menschen unter Wasser bleiben können, ohne zu sterben?

Also: Kann man die Trennung von Forschung (Fakten) und Ethik (Folgerung), die Sie vorschlagen, wirklich durchhalten? In welcher Phase sollten, wenn denn überhaupt, im Forschungsprozess moralische Aspekte eine Rolle spielen?

Die Wissenschaft müsste nach meinem Dafürhalten das Thema Ethik offensiver aufgreifen, sonst läuft sie Gefahr, als amoralisch zu gelten, obwohl sie, wie Sie ja behaupten, außermoralisch sein soll. Dass es da überhaupt einen Unterschied gibt, werden viele Menschen nicht verstehen. Dass dieser Unterschied nur sprachlich ist, es mithin außermoralisches Handeln nicht gibt, weil jedes Handeln Entscheidungen verlangt und jeder Entscheidung Werturteile zugrunde liegen, wäre meine These. Und den vielen Menschen und mir bleibt, aus je anderem Grund, eine Rest-Angst vor einer Wissenschaft, die sich als außermoralisch versteht, eigentümlich.

V. Die „uninformierten“ Massen

Jetzt werden Sie sagen – höflich, wie Sie sind: „Sie und die vielen anderen Menschen sind ,uninformiert’“.

Nun, gut. Ich will mal dieses Argument für die Stammzellforschung prüfen, anhand einer Umfrage, die Ihnen sicher bekannt ist: „Wie denken die Deutschen über die Stammzellforschung?“, eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS-Infratest im Auftrag des Bundesverband Lebensrecht e. V. vom Januar 2008.

1.) Der Aussage: „Es sollte nur an adulten Stammzellen, die jedem, auch Erwachsenen entnommen werden können und an umprogrammierten Zellen geforscht werden, nicht aber an Stammzellen aus Embryonen.“ (also: die Position der Gegner der ESZ-Forschung) stimmten 2007 56% und 2008 61% zu. Die Zahl derer, die „uninformiert“ sind, hat demnach zugenommen. Wie erklären Sie das?

2.) Der gleichen Aussage stimmten bei den 14-49jährigen im Schnitt etwa 65% zu, bei den über 60jährigen aber nur 52%. Unterstellt, dass wahr ist, dass Menschen zwischen 14 und 49 mehr und öfter Zugang zu Medien haben, die (auch) Informationen anbieten (Internet): Wie erklären Sie diese Differenz zwischen „jung“ und „alt“?

3.) Bleiben wir einen Moment bei den jungen Menschen. Der Aussage: „Es sollte an allen, also auch an embryonalen Stammzellen medizinisch geforscht werden können.“ (also: die Position der Befürworter der ESZ-Forschung) stimmten bei den 14-29jährigen 2007 rund 38%, 2008 aber nur noch 27% zu. Stichwort „Informiertheit“: Schlägt hier „PISA“ durch oder wie darf ich das sonst deuten?

4.) Der Aussage: „In Deutschland sollen menschliche Embryonen zu Forschungszwecken verwertet werden dürfen.“ (also ebenfalls: die Position der Befürworter der ESZ-Forschung) stimmten bei den Männern 36%, bei den Frauen aber nur 20% zu, ergo: Frauen sind „uninformierter“ als Männer. Glauben Sie das wirklich? Übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum Frauentag!

Über mangelnde Aufklärung und PR in Sachen Wissenschaft kann sich doch nun, wenn man die letzten 10 Jahre in den Blick nimmt, keiner beklagen. Wissenschaftsshows erblühen im deutschen Fernsehen, die „Nacht der Wissenschaft“ erfreut sich großer Beliebtheit und jetzt haben „wir“ auch wieder zwei Nobelpreisträger. Also, das läuft doch alles. Woher also die „Uninformiertheit“? Oder ist es doch so, dass bei den Gelegenheiten zu wenig die ethischen Fragen angesprochen werden?

VI. Der Wille Gottes

Lieber Curi0us, ich habe sie nicht vergessen, Ihre Frage: „Woher nehmen die Gläubigen den Hochmut zu wissen was Gott will?“

Dazu möchte ich Ihnen folgendes sagen:

(1) Die Kategorie „Wissen“ halte ich persönlich in meiner Beziehung zu Gott für unangemessen. Als Gläubiger glaube ich, sonst wäre ich ja ein Wissender. Die Gottesbeziehung des Christen zeichnet sich durch ein Ahnen, ein Glauben, auch mal ein Erfahren, ein Beeindrucktsein, ein Deuten, ein Hoffen, ein Spüren, ein Fühlen, ein Vertrauen, aber nicht durch ein „Wissen“ aus. Es ist ja gerade das Schwanken zwischen „Ungewissheit und Wagnis“ (Peter Wust), dass die christliche Existenz bestimmt, in der immer auch die Gottverlassenheit eingeschlossen bleibt. Auch die Rückversicherung in diesen Fällen von Unsicherheit über den Willen Gottes, die jeder Gläubige kennt (große Mystiker und berühmte Heilige sprechen von der „dunklen“ oder „schwarzen Nacht“) läuft ja ganz anders ab als bei einem Wissensbestand, der einem abhanden kommt. Wenn ich nicht mehr weiß, wie die Hauptstadt von Honduras heißt, dann schlag ich es halt nach – so einfach geht das bei der Versicherung der Gott-Mensch-Beziehung nicht, wenn es eine lebendige Beziehung bleiben soll, in der Liebe eine zentrale Rolle spielt, aber auch Zweifel und manchmal auch Wut.

(2) Was man allerdings weiß, das ist, dass man ahnt und glaubt und hofft und manchmal vermengt sich dies, so dass der Eindruck entstehen kann, dass man weiß. Man erlangt eine Gewissheit, die freilich subjektiv bleibt. Es gibt Erfahrungen mystischer Einung mit Gott, die so nachdrücklich sind, dass man meint: „Jetzt weiß ich aber, was Gott von mir ganz konkret in dieser Situation will!“ Gott ist intelligibel, aber solche Gotteserfahrungen selbst sind letztlich nicht beschreib- und mitteilbar (vgl. dazu meinen Kommentar zu http://naturalismuskritik.wordpress.com/2008/03/06/michael-im-wunderland/).

(3) Ferner gibt es die Gebetseindrücke: Man betet und darüber kommt einem ein Gedanke, der das mit Gott besprochene Problem löst. Auch hier liegt es nahe, von einer Mitteilung göttlichen Willens zu sprechen und – da man in Kenntnis gesetzt wurde – davon, dass man jetzt „weiß“, was Gott will – Fehldeutungen sind hierbei freilich niemals ausgeschlossen.

(4) Weiterhin gibt es die Stimme des Gewissens, die innere Stimme, die Stimme Gottes – nennen Sie es, wie Sie wollen. Vielleicht (mit Kant): Selbstbefragung durch die Vernunft vor dem inneren Gerichtshof. Sie werden sicher auch die geradezu dialektische Vorstellung von „Engelchen und Teufelchen“ auf der rechten bzw. linken Schulter kennen, die einem einflüstern, was zu tun und zu lassen ist – Allegorien auf den Willen Gottes bzw. auf den, der diesen Willen unbedingt durchkreuzen will. Das mag reichlich naiv sein, doch wir wissen oft tatsächlich schon im Moment der Handlung (ich meine hier auch Sprechakte): „Das war jetzt aber nicht gut.“, so als würde uns dies mitgeteilt. Und dieser Eindruck ist oft nicht begründbar, aber zugleich eigentümlich unhintergehbar! Gewissensbisse machen sich breit. Ich glaube, dass sich darin auch Gott und mit Ihm Sein Wille mitteilt.

(5) So, jetzt muss ich aber etwas handfester werden, denn freilich gibt es schon deutlichere, objektivierbare Bestimmungen des göttlichen Willens, von denen ich wirklich etwas wissen kann – mit nur geringem Interpretationsspielraum und ganz ohne Ritus – nur durch das offenbarte Wort Gottes, an das ich als Christ glaube:

Wenn in den 10 Geboten steht: „Du sollst nicht Ehe brechen.“, dann kann ich, wenn mir denn die 10 Gebote etwas bedeuten, nicht einfach sagen: „Ach, das meint der nicht so...“ oder: „Das gilt nur Mittwochs Nachmittags.“ Nein, nein – das ist eine klare Willenserklärung, von der ich wissen kann! Und wenn ich mich dagegen entscheide, entscheide ich mich gegen Gottes Willen, das ist ziemlich eindeutig.

Wenn Jesus sagt: Ehebruch ist bereits, wenn ich eine andere Frau auch nur „lüstern“ anblicke (auch hier weiß ich intuitiv, was das wohl heißen könnte), dann kann ich zwar denken: „Jetzt übertreibt er aber...“, aber ich werde nicht behaupten können: „Das meint der nicht so!“ Ich muss bereit sein, Gott beim Wort zu nehmen, wenn ich Seinen Willen tun will.

(6) Zu unterscheiden wäre freilich zwischen Willenserklärungen Gottes (auch durch Jesus Christus) in einem bestimmten historischen Kontext, die ihre Gültigkeit kontextsensitiv erlangen (also damals und bestenfalls, wenn mal wieder eine solche Situation eintritt) und absoluten Geboten, die aus uneingeschränkten Willenserklärungen hervorgehen. Diesen Unterschied herauszuarbeiten, ist Aufgabe der theologischen Exegese. Klar dürfte aber sein, dass die lex nova Christi keine Geltungsbeschränkung beinhaltet und daher zum Ausgangspunkt genommen werden muss, wenn es darum geht, den Willen Gottes zu tun:: „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ (Joh 13, 34).

VII. Anwendbarkeit der Goldenen Regel (GR)

Schließlich noch zur Klärung des Problems, was ich mit der GR im Zusammenhang mit Stammzellen habe: Bei der GR ist der Einfühlungsakt konstitutiv, da der Ethos der GR sich ja gerade vom faktizistischen ius talionis-Prinzip abhebt (tit-for-tat, „Wie Du mir, so ich Dir.“, „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ – das meint alles das Gleiche).

Das Problem ist: Wenn keine Reziprozität gegeben ist, kann mit der indikativischen GR nicht argumentiert werden, weil man nicht in der Situation des Anderen ist. Damit der Einfühlungsakt hypothetisch gelingen kann, muss die konjuntivische GR angewendet werden. Hier gibt es aber Grenzen, die da liegen, wo der Einfühlungsakt nicht gelingen kann bzw. wo es nicht sinnvoll ist, ihn zu leisten, ohne gleich die eigene Denkweise ganz aufzugeben – und damit wird der Gedanke selbst unmöglich gemacht.

Bsp.: Wenn ich meine Empfindsamkeit auf einen Tennisball übertrage, dürfte ich nicht mehr Tennis spielen, weil ich sicherlich nicht so behandelt werden möchte, wäre ich ein Tennisball, der meine Empfindungen, Gedanken, Interessen, Präferenzen hat. Ich müsste mir dann schon vorstellen, wie es wäre, ein Tennisball zu sein. Und das geht nicht. Was man machen kann, das ist, den Anderen um Auskunft bitten, wie sie/er sich fühlte, wenn X oder Y geschehen würde. Nur geht das ja auch nicht, beim Tennisball nicht und beim Embryo auch nicht.

Von daher kann man nur die eigenen Interessen auf den Embryo übertragen, wie in der Formulierung Hätte der Zellhaufen Interessen/Wünsche, würde er sich opfern wollen. geschehen. Genauer müsste es dann heißen: Hätte der Zellhaufen Interessen/Wünsche, so wie wir sie haben, würde er sich opfern wollen. Und die hat er ja nicht. Das Argument (es ist ja eher ein Gedankenexperiment), so absurd es klingt (da teile ich Ihre Kritik), stammt aus der utilitaristischen Ecke.

Es sagt aber mehr über die Leistungsfähigkeit der GR als Metanorm aus, als es in der Frage des Stammzellgesetztes irgendetwas beitrüge.


So, das ging jetzt ein wenig wie Kraut und Rüben durcheinander, aber ich hoffe, mit dieser Darstellung einige Fragen von Interesse angesprochen und vielleicht auch einige klärende Antworten gegeben zu haben.

Herzliche Grüße,
Ihr
Josef Bordat

JLT said...

Hallo Josef,

vielen Dank für Ihre erneute Wortmeldung. Wie nicht anders zu erwarten, habe ich da eine andere Meinung.


zu I. Die Kirche und der Rest der Welt

Wenn eine Abtreibung aus Sicht der katholischen Kirche Mord ist, dann wird damit, ob das nun explizit so ausgesprochen wird oder nicht, irgendwer als Mörder bezeichnet. Ob das nun die Frau, der durchführende Arzt oder der Politiker ist, der Abtreibung befürwortet, ist dabei im Grunde unerheblich.

Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika Evangelium vitae (Nr. 62)geschrieben.

"Mit der Autorität, die Christus Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat, erkläre ich deshalb in Gemeinschaft mit den Bischöfen – die mehrfach die Abtreibung verurteilt und, obwohl sie über die Welt verstreut sind, bei der eingangs erwähnten Konsultation dieser Lehre einhellig zugestimmt haben – dass die direkte, das heißt als Ziel oder Mittel gewollte Abtreibung immer ein schweres sittliches Vergehen darstellt, nämlich die vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen. Diese Lehre ist auf dem Naturrecht und auf dem geschriebenen Wort Gottes begründet, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt der Kirche gelehrt."

Da werden Menschen für ihre Haltung abgestraft. Nichts mit "Liebe den Sünder". Die Nennung des Naturrechts beinhaltet sogar, soviel ich weiß, dass das als für alle Menschen geltend betrachtet wird und nicht nur für Katholiken.

Ich kann nicht sehen, wo man da zwischen der "Sünde" (vorsätzliche Tötung eines unschuldigen Menschen) und dem "Sünder" unterscheidet, immerhin muss jemand ja den Vorsatz zur Tötung haben, oder etwa nicht? Und tatsächlich ist eine Abtreibung Grund für Exkommunikation und das ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart.

Der Papst/die katholische Kirche hat letztes Jahr in Mexiko Politiker exkommunizieren lassen, die eine Lockerung des mexikanischen Abtreibungsrecht befürworten und hat dies auch in Brasilien angedroht:

"In Mexiko hat die katholische Kirche Ende April Politiker exkommuniziert, nachdem diese ein liberaleres Abtreibungsrecht für Mexiko-City beschlossen hatten. Der Papst verteidigte die Haltung der Kirche in diesem Fall: Nach dem katholischen Kirchenrecht sei die Tötung eines Kindes unvereinbar mit dem Empfang der Eucharistie."

[Quelle]

Da die katholische Kirche Gleiches auch auf die Zerstörung von Embryonen zur Stammzellforschung anwendet, müsste der Papst also eine ganze Reihe deutscher Politiker exkommunizieren, inklusive Frau Schavan.

Dass die katholische Kirche für Gläubige mehr bedeutet als Reglementierungen, ist mir schon klar. Und wenn sich Katholiken diesen Reglementierungen unterwerfen wollen, dann sollen sie doch. Was ich kritisiere, ist ja der Anspruch, diese Reglementierungen sollten für alle gelten, nicht nur für Katholiken, nicht etwa, dass Katholiken diesen Anspruch an sich selber haben. Von daher "missioniere" ich auch gar nicht. Ich will Katholiken nicht davon meiner Einschätzung überzeugen. Ich will sie, wenn überhaupt, davon überzeugen, dass sie kein Recht haben, ihre persönliche Meinung anderen aufzuzwingen.


zu II. Ihrer persönlichen Position

Solange Sie nicht von anderen erwarten, sich gemäß Ihrer Einstellung zu Sexualmoral etc. zu verhalten, bzw. nicht versuchen, diese Sexualmoral in Gesetze zu gießen, die sie anderen aufzwingt, ist es mir, mit Verlaub, relativ gleichgültig, wie ihre Position dazu aussieht.


zu III. Status des Embryo – Rechtssituation in Deutschland

„dem Entwicklungsprozess der Schwangerschaft folgenden Abstufungen des Lebensrechts“

Ein durch künstliche Befruchtung erzeugter Embryo in einer Petrischale ist keine Schwangerschaft. Das letzte Mal als ich nachgeschaut hatte, gehörte zu einer Schwangerschaft jedenfalls noch eine (schwangere) Frau.


zu IV. Die Wissenschaft und die Ethik

"Wer ist denn dann für die ethische Dimension der Wissenschaft Ihrer Meinung nach konkret verantwortlich? Der Wissenschaftler selbst ja offenbar nicht, der forscht ja nur."

"Im Ernst: Sind Sie nicht der Meinung, dass man bestimmte Dinge gar nicht erst erforschen sollte? Zum Beispiel die hochinteressante Frage, wie lange Menschen unter Wasser bleiben können, ohne zu sterben?"


Ich bitte Sie! Wie kommen Sie denn auf dies schmale Brett? Wissenschaft ist nicht gleich Wissenschaftler. Ich habe meiner Meinung nach die ganze Zeit betont, dass *Wissenschaft* keine ethischen Bewertungen liefert, sondern Fakten. Ich unterstreiche die Trennung von Fakten und Ethik deswegen, weil ich nicht glaube, dass Wissenschaftlern eine besondere Autorität zu kommt, wenn es um die Bewertung von ethischen Fragestellungen geht. Daraus folgt doch nicht, dass *Wissenschaftler* keine ethischen Bewertungen durchführen!

Um noch mal auf das Thema Tierversuche an Primaten zu kommen: *Wissenschaft* kann zum Bewusstsein, Schmerzempfinden und Ähnlichem forschen. Das Ergebnis dieser Forschung ist dann beispielsweise, dass Primaten ein Ich-Bewußtsein haben. Ist das eine ethische Aussage an sich? Nein. Ist es wichtig, dass zu wissen, wenn man Tierversuche an Primaten ethisch bewerten will? Ja.
Was ich an der Debatte zur Stammzellforschung kritisiere, ist, dass die Fakten ignoriert werden, etwas, das Wissenschaftler in der Regel nicht tun. Sie basieren ihre ethische Bewertung auf Fakten und eben nicht auf einer Religion. Wie man aus dieser meiner Einschätzung schließen kann, ich würde glauben, Wissenschaftler wären frei von ethischen Überlegungen, ist mir ein komplettes Rätsel.
Ehrlich, was Sie unter diesem Abschnitt zusammengefasst haben, ist meiner Meinung nach Propaganda der allerschlimmsten Sorte, Sie enttäuschen mich. Der gewissenlose Wissenschaftler, der ohne durch von außen auferlegte Einschränkungen vor nichts halt machen würde – geht's noch?


zu V. Die „uninformierten“ Massen

Eine Fragestellung wie die Folgende (aus der von Ihnen genannten Umfrage):

"Zur medizinischen Forschung können sowohl menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden als auch adulte Stammzellen, die jedem erwachsenen Menschen entnommen werden können. Heilungs- und Therapieerfolge sind bisher nur mit adulten Stammzellen erzielt worden. Vor kurzem haben Forscher einfache menschliche Hautzellen so umprogrammiert, dass sie sich wie embryonale Stammzellen verhalten. Es gibt aber auch Forscher, die sich Erfolge von der Forschung an embryonalen Stammzellen erhoffen. Um embryonale Stammzellen zur Forschung zu gewinnen, müssen menschliche Embryonen erzeugt und zerstört werden. Was befürworten Sie?"

Das ist pure Missinformation. Es ist gelogen, dass "Heilungs- und Therapieerfolge [...] bisher nur mit adulten Stammzellen erzielt worden" sind.
Zwar wurden menschliche Hautzellen so umprogrammiert, dass sie in den Eigenschaften, die bisher untersucht wurden wie embryonale Stammzellen aussehen. Aber das heißt nicht, dass sie die Forschung an embryonalen Stammzellen ersetzen könnten, wie ihnen jeder Wissenschaftler, der auf dem Gebiet tätig ist, inklusive derjenigen, die die Hautzellen umprogrammiert, bestätigen würde.
*Wenn* alles in dieser Fragestellung enthaltene zuträfe, dann *bräuchte* man nicht über embryonale Stammzellforschung diskutieren. Das ist doch genau der Punkt, auf dem ich die ganze Zeit herumreite: Die tatsächlichen Fakten werden ignoriert oder absichtlich falsch dargestellt!

Dass Sie ausgerechnet diese Umfrage erwähnen, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.


zu VII. Anwendbarkeit der Goldenen Regel

"Bsp.: Wenn ich meine Empfindsamkeit auf einen Tennisball übertrage, dürfte ich nicht mehr Tennis spielen, weil ich sicherlich nicht so behandelt werden möchte, wäre ich ein Tennisball, der meine Empfindungen, Gedanken, Interessen, Präferenzen hat. Ich müsste mir dann schon vorstellen, wie es wäre, ein Tennisball zu sein. Und das geht nicht. Was man machen kann, das ist, den Anderen um Auskunft bitten, wie sie/er sich fühlte, wenn X oder Y geschehen würde. Nur geht das ja auch nicht, beim Tennisball nicht und beim Embryo auch nicht.

Von daher kann man nur die eigenen Interessen auf den Embryo übertragen, wie in der Formulierung Hätte der Zellhaufen Interessen/Wünsche, würde er sich opfern wollen. geschehen. Genauer müsste es dann heißen: Hätte der Zellhaufen Interessen/Wünsche, so wie wir sie haben, würde er sich opfern wollen. Und die hat er ja nicht. Das Argument (es ist ja eher ein Gedankenexperiment), so absurd es klingt (da teile ich Ihre Kritik), stammt aus der utilitaristischen Ecke."


Wenn ich Sie richtig verstehe, sind wir uns da ja einig. Der Embryo hat keine inhärenten Interessen. Jede Projektion ist daher unsinnig, übrigens auch die, die dem Embryo ein Lebensinteresse unterstellt.


Ich überlasse Ihnen das letzte Wort, wenn Sie dazu noch einmal Stellung nehmen wollen.

Mit freundlichen Grüßen,
JLT

Anonymous said...

Liebe JLT,

ich will doch noch mal einige Punkte aufgreifen.

I. UNIVERSALISMUS, ZWANG, MISSION

(1) Sünde/Sünder. Menschen werden für ihre Haltung abgestraft. Naturrecht.

In der zitierten Enzyklika ist von einer Handlung die Rede, die verurteilt wird: die Abtreibung. Selbstverständlich handelt auch irgendjemand, der sich angesprochen fühlen muss. Nur mit dem „Abstrafen“ tue ich mich schwer.

Denn: Wieso wird ein Nicht-Katholik durch eine Meinung des katholischen Lehramts „abgestraft“? De facto nicht (welche Möglichkeiten hätte denn die Kirche?) und de iure auch nicht (dafür gibt es regionale Gesetze, die einzig bindend sind). Was kümmert einen Nicht-Katholiken, was die katholische Kirche für ein „sittliches Vergehen“ hält, das sie für gegen das „Wort Gottes“, die „Tradition der Kirche“ und das „allgemeine Lehramt der Kirche“ gerichtet sieht? Wenn ich eine Mücke erschlage, so ist das für einen Jainisten eine Gräueltat, für mich ist es eine Alltagshandlung. Der Jainist wird mich moralisch verurteilen, weil er meint, dass er dazu ein Recht hat, aber straft er mich deswegen ab? So ist das, auf einer anderen Ebene, auch mit Verlautbarungen des kirchlichen Lehramts.

Und den Katholiken sollten diese kümmern, schließlich ist er Mitglied in der Kirche (übrigens freiwillig). Und dass ich den Regeln meiner Kirche als Mitglied zu folgen versuche, das darf wohl keiner weitern Erläuterung. Wenn ich Mitglied im Kegelklub bin, dann kann ich doch auch nicht die Regeln ignorieren, weil sie mir nicht passen. Wenn sie mir nicht passen, dann muss ich austreten. In dem Zusammenhang: Nur für den schönen Weihnachtsgottesdienst mit Weihrauch und so, oder um irgendwann mal „in Weiß“ zu heiraten (wo dann, irgendwie, auch ein Pfarrer dazugehört), dafür sollte man nicht in der Kirche bleiben. Meine Meinung! Die übrigens nicht ganz unbiblisch ist: Entweder heiß oder kalt, aber nicht lau!

Was erwarten Sie denn von der Kirche? Das die sagt: „Wir haben vielleicht Recht, vielleicht auch nicht, macht was ihr wollt!“? Sie muss Vorwürfe erheben dürfen, wenn sie meint, es läuft was falsch, so wie radikale Tierschützer Vorbehalte gegen Grillpartys öffentlich ausdrücken dürfen sollten. Und sie dürfen mich auch „Mörder“ nennen, wenn ich eine Currywurst esse, weil ich ja weiß, vor welchem Hintergrund der Mörder-Ruf erschallt. Und vielleicht erreichen sie damit, dass ich beginne, mir die Argumentation der radikalen Tierschützer anzuhören und im Idealfall entdecke ich etwas, das mich mein Verhalten ändern lässt. Aber es folgt ja aus dem Mörder-Ruf keine Anklage nach §211 StGB. Mit Kant gesprochen: Das eine ist Legalität, das andere Moralität.

Das Naturrecht gilt für alle Menschen guten Willens, ebenso wie die Enzykliken. Was ein guter Wille ist, bestimmt dabei die Kirche. Jetzt könnte es natürlich so aussehen, als läge schon hier der Universalismusanspruch vor: Doch die Kirche lässt jedem das Recht, einen bösen Willen zu haben (das nennt man „Freiheit“), was für jemanden, der den guten Willen nach Kirchenlesart für falsch hält, ja kein Problem sein sollte.

Genauso haben Sie ja die Vorstellung, alles, was gegen eine gottlose Weltdeutung gerichtet ist, sei „widernatürlich“ und „verrückt“ (womit Sie gar nicht mal Unrecht haben!). Das nehmen Sie doch nicht nur für sich selbst in Anspruch, oder?!

Wir meinen vielleicht jeweils eine andere Natur, aber einen Absolutheitsanspruch haben wir letztlich beide, oder? Wenn es egal wäre, was Menschen glauben, würden Sie kein Blog betreiben und ich würde nicht auf Ihre Positionen eingehen und visa versa.

Was aber entscheidend ist, dass ist der Umstand, dass wir den jeweils anderen auch dann akzeptieren und respektieren, wenn er anderer Meinung ist und ihn nicht mit Gewalt oder Zwang in unsere jeweilige „Organisation“ inkorporieren.

Hier hat die Kirche in der Vergangenheit häufig versäumt, sich dem Zeitgeist deutlicher als geschehen entgegenzustellen, etwa während der spanischen Eroberung Amerikas, wo bis auf einige Dominikaner um B. d. Las Casas die meisten Missionare die brutale Conquista zwar bedauerten, aber sich zumeist eben nicht trauten, dies öffentlich zu tun. Da sind schwere Fehler gemacht worden, weil der Wille Gottes und der Wesensgehalt des Evangeliums, die Liebe, auf das Schlimmste missachtet wurden. Die Kirche hat sich nicht schützend vor die Indios gestellt, die Bulle Sublimis Deus, die das Mensch-Sein der Indios feststellte, kam 1537 viel zu spät und konnte den Völkermord der Spanier nicht verhindern. Las Casas hat davon ja bekanntermaßen Zeugnis gegeben. Die Versuche, mit den Reducciones Schutzzonen einzurichten, gelangen nur bedingt (man denke an den Jesuitenstaat in Paraguay, der leider auf politischen Druck aufgelöst werden musste). Für die Zukunft gilt es, an Las Casas und die Befreiungstheologie anzuknüpfen. Und ganz allgemein muss gelten: Alle einladen, niemanden zwingen!

(2) Pluralismus und Relativismus.

Es ist ein riesiges Problem: die Gratwanderung zwischen kulturellem Pluralismus und ethischem Relativismus. Dem Anderen nicht die eigene Meinung aufzudrücken, aber auch nicht alles als „Meinung“ durchgehen zu lassen, stellt hohe Anforderungen. Hier eine entschiedene Position zu vertreten, die beides berücksichtigt ist schwer, wenn nicht gar unmöglich. Man wird immer irgendwo anecken (man denke an den Diskurs um Menschenrechte, in dem leider Universalität, Universalismus, Universalisierung und Uniformierung durcheinander gehen und Genesis mit Geltung verwechselt wir). Wichtig ist es, die Letztbegründungsinstanz der eigenen Position offen zu legen und die Anbindung der eigene Moralvorstellung an diese Instanz zu verdeutlichen. Bei mir liegt diese in Gott, Seinem Wort (Bibel) und der Deutungsgeschichte, die in Seinem Volk stattfand (Kirche).

Man muss sich als Kirche, die sich als unmittelbar von Jesus Christus gestiftet sieht, erarbeiten, wo man Zugeständnisse machen kann und wo nicht. Das II. Vatikanische Konzil hat hier eine Wende gebracht und eine Ausrichtung auf die moderne Welt. Dennoch bleibt das Verhältnis der Kirche zur Welt ein balancierendes. Was gäbe es denn für Alternativen: Selbstsäkularisierung (also: Auflösung) und fundamentale Weltabkehr (also: Radikalisierung). Beides halte ich für falsch.

Übrigens merkt man deutlich, wie die Schwestern und Brüder der evangelischen Glaubensgemeinschaften in dieser Zwickmühle stecken: die Landeskirchen scheinen nur noch dafür da zu sein, damit man mal mit ein paar netten Leuten die Matthäus-Passion hören kann, und die Evangelikalen nutzen das entstandene spirituelle Vakuum eiskalt aus. Das sage nicht (nur) ich, sondern (auch) der Wiener Religionssoziologe Zulehner.

(3) Exkommunikation.

Richtig, der Empfang der Eucharistie ist ein Geschenk Gottes an die Menschen. Darauf gibt es keinen Rechtsanspruch. Wenn ich im fortgesetzten und willentlichen Widerspruch zu Gottes Geboten lebe, dann gibt’s eben dieses Geschenk nicht. Das gilt schon, wenn ich geringfügige Dinge mit Gott und meinen Mitmenschen im Unreinen liegen habe.

Dass dies für viele Katholiken ein großer Schmerz ist (gerade wegen der Größe des Geschenks), weiß ich sehr wohl und ich weiß nicht, ob ich es als verantwortlicher Kommunionhelfer über’s Herz bringen würde, einem Christen die Kommunion zu verweigern, dem ich sie eigentlich verweigern müsste.

Das bringt mich zum nächsten Punkt.

II. GEBOTE, GESETZE, GEWISSEN

Vieles von dem, worüber wir streiten, lässt sich unter die Spannung zwischen diesen drei Begriffen subsumieren.

Keiner redet von Gesetzen, das ist in der Demokratie Sache der Mehrheit. Wenn die „katholisch“ ist, dann sind die Gesetze „katholisch“, wenn die „atheistisch“ ist, dann sind die Gesetze „atheistisch“.

Für gefährlich an Ihrer Position halte ich die Tatsache, dass ich es nicht einmal versuchen darf, meine Vorstellung in Gesetze einfließen zu lassen.

Das weist auf die Frage zurück, welche Positionen im Diskurs zugelassen sind. Bestimmte Positionen prima facie auszuschließen, ist unvereinbar mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Ich nehme an, dass Sie das nicht so meinen, dass ein Katholik im öffentlichen Raum nicht von seiner Haltung sprechen darf.

Es gibt bei Kant die Unterscheidung von Privatgebrauch und öffentlichem Gebrauch der Vernunft. Ich glaube, dass das in der politischen Praxis nicht funktioniert bzw. nur um den Preis von Heuchelei und gespaltenen Persönlichkeiten. Ich kann nicht Sonntags vormittags im Gottesdienst „Halleluja“ singen und Montags schreie ich: „Ans Kreuz mit ihm!“ Vielleicht sollte ein Politiker nicht explizit „als Katholik“ sprechen, aber er sollte eine Meinung vertreten dürfen, die sich – zufällig oder aus tiefer Überzeugtheit – mit der Position der Kirche deckt. Das kann dann auch sehr punktuell der Fall sein (Volker Beck [B90/Grüne] vertritt in der Stammzellgesetzdebatte eine „katholische“ Position, in so ziemlich jeder anderen Frage aber eher nicht. So etwas muss möglich sein.).

Die Kirche muss auch unbequeme Dinge aussprechen dürfen, die sie für Wahrheiten hält, auch wenn diese Wahrheiten anders konstruiert werden als wissenschaftliche Erkenntnis. Die „Eindeutigkeit ihrer Sendung“ (Lob-Hüdepohl, vgl. dazu http://www.readers-edition.de/2008/01/19/katholische-kirche-in-kritischer-umgebung-milieustudie-gibt-hilfestellung-fuer-kuenftige-missionsstrategie) steht für die Kirche auch in Zeiten der neuen Unübersichtlichkeit außer Frage.

Letztlich geht es um das Verhältnis von Gesetz, Gebot und Gewissen, also weltlichen Normen, göttlichen Normen und persönlichen Überzeugungen.

Bei „Normenkonkurrenz“ zwischen Gesetz und Gebot lässt sich eine Lösung im Grundsatz so bestimmen, dass man als Christ im Zweifel „Gott mehr gehorchen muss als dem Menschen“, zugleich aber weltliche Obrigkeit anerkennen soll: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“

Wie sich ein katholischer Arzt verhalten soll, der in einem staatlichen Krankenhaus an einer Abtreibung mitwirken soll, bleibt letztlich dem Gewissen des Arztes überlassen. Denn das Gewissen ist das stärkste Handlungsmotiv überhaupt, wie man ja auch im vorliegenden Fall an der Zusammensetzung der Gruppen, die die einzelnen Änderungsanträge zum Stammzellgesetz in den Bundestag eingebracht haben, gut erkennen kann. Schon interessant, wer sich zusammenfindet, wenn der Fraktionszwang (besser: die Fraktionsdisziplin) aufgehoben und der einzelne Abgeordnete nur seinem Gewissen unterworfen ist – was er eigentlich gemäß Art. 38 Abs. 1 GG in jeder Frage sein sollte.

Hermann Hesse hat einmal gesagt: „Das Gewissen hat nichts zu tun mit Moral, nichts mit Gesetz, es kann zu ihnen in die furchtbarsten, tödlichsten Gegensätze kommen, aber es ist unendlich stark, es ist stärker als Trägheit, stärker als Eigennutz, stärker als Eitelkeit.“

III. Vermischtes

(1) Ein durch künstliche Befruchtung erzeugter Embryo in einer Petrischale ist keine Schwangerschaft.

Das ändert im Kern nichts an der Rechtslage, die nach h.M. gegeben ist: dass nämlich das GG kein abgestuftes Lebensrecht vorsieht und somit Art. 1, Abs. 1, Satz 1 auch auf einen durch künstliche Befruchtung erzeugten Embryo in einer Petrischale anwendbar ist – wenn und solange er lebt.

(2) Wissenschaftsethik.

JLT, vorab: Der Abschnitt sollte polemisch-provokativ sein, ohne zu verletzen. Das ist mir offenbar nicht gelungen. Ich habe mich wohl ungeschickt ausgedrückt, Missverständnisse sind entstanden – das tut mir aufrichtig Leid!

Zur Klarstellung: Ich hatte hier „Wissenschaft“ nicht als Kanon von Theorien und Lehrsätzen verstanden, sondern als Sammelbegriff, der alle in der Wissenschaft Tätigen umfasst, so wie man auch von „der Wirtschaft“, „der Politik“ und „dem Sport“ spricht. Und natürlich hat Radsport selbst nichts mit Doping zu tun, sondern nur der Radsportler – schon klar. Insoweit ist Ihre Differenzierung richtig, sinnvoll und für den Diskurs nützlich.

Ich will einen Moment bei dieser Differenz bleiben und einen Eindruck beschreiben, der im Diskurs eine Rolle spielt: Es wird oft behauptet, es ginge bei Forschungsfreiheit mehr um die Freiheit der Forscher als um die der Forschung. Dabei waren wir ja schon (Ökonomie-Frage).

Mir soll es aber um etwas anderes gehen: Ich glaube, offenbar im Gegensatz zu Ihnen, dass Wissenschaftlern schon eine besondere Kompetenz (durchaus auch Autorität) zukommt, wenn es darum geht, aus ihren Erkenntnissen ethische Fragen erstmals überhaupt zu formulieren. Dazu gehört, dass der Wissenschaftler merkt, wann er eine Forschungsaufgabe zu bewältigen hat, die ethisch Probleme aufwerfen könnte, schon bevor die Öffentlichkeit davon weiß. Sie müssen ja davon ausgehen, dass 99% der Menschen, ich schließe mich da ein, gar nicht wissen, was aktuell in den Laboratorien der Welt los ist. Und hier käme es eben darauf an, den Unterschied zwischen cupiditas und sapientia, den Peter Wust einführt, einmal zu bedenken oder mit Peter Radke die Frage zu stellen, ob das Machbare immer auch gemacht werden sollte.

Daher sollte eben schon einmal das Verhältnis des Wissenschaftlers zu seiner Wissenschaft thematisiert werden dürfen. Und auch der Ort ethischer Reflexion im Forschungsprozess. Die Frage wäre: Gibt es Möglichkeiten, allgemeingültige Bedingungen festzulegen, unter denen ein Wissenschaftler sich weigern sollte, eine Forschungsaufgabe anzunehmen? Ich glaube, es war Hans Lenk, der mal eine Art „hypokratischen Eid für Forscher und Ingenieure“ gefordert hat. Hielten Sie so etwas für Ihr Gebiet für sinnvoll? Hier weiß ich auch gar nicht, ob sich da die Forscher gut genug geschult fühlen, um selber aktiv zu werden. Welche Rolle spielt Wissenschaftsethik im Curriculum eines Naturwissenschaftlers? Ich kann das für die Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sagen: Wirtschaftethik: gar nicht, Technikethik: allenfalls am Rande. Das halte ich für fatal!

(3) Umfrage

Dass Sie mit der Methodik nicht einverstanden sind, nehme ich mal so zur Kenntnis.
Sie weichen aber meinen Fragen etwas aus: Es ging mir, bei gegebener gleicher Fragestellung, so falsch/missinformativ die sein mag, um die Differenz von alt/jung, Mann/Frau, gestern/heute. Motivation für meine Fragen war die These, dass es doch noch andere Gründe geben muss als nur die Missinformation, warum – bei gleicher Fragestellung – heute mehr Menschen gegen ESZ-Forschung sind als vor einem Jahr.

IV. Abschlussfrage

Abschließend eine Frage/Bitte.

Ich finde Ihre Antworten, gerade auch die klaren Absagen an meine Position und die interessanten Informationen zu Stammzellen, so gut, dass ich sie gerne im Rahmen einer Publikation (pdf-Datei) auf der KSG-Seite (www.ksg-berlin.de) veröffentlichen würde (vorbehaltlich der Zustimmung des Gemeinderats, das müsste ich noch klären). Es handelt sich dabei um die KSG-Zeitschrift „urbi@orbi“, die sich in einer Spezialausgabe des Themas „Stammzellgesetz“ annehmen soll.

Ich würde Ihre und meine Aussagen als Streitgespräch arrangieren (thematisch geordnet) und Ihnen dieses zur Prüfung, Änderung und – wenn keine Einwände bestehen – zur Freigabe noch mal per E-mail zuschicken. Antworten können Sie mir, da es über hotmail ja nicht geklappt hat, über josef.bordat@web.de

Was ich dann noch bräuchte, wäre eine halbe DIN A 4-Seite Selbstdarstellung (Bio-Bibl-Daten, durchaus auch mit weltanschaulicher Positionierung) und ein Bild (Passfoto o.ä.).

Wären Sie damit einverstanden? Mich würde es sehr freuen. Das wäre eine tolle Diskussionsgrundlage für die Gemeinde.

Erscheinen könnte/sollte das Sonderheft dann zu Semesterbeginn.

Herzliche Grüße,

Ihr
Josef Bordat

JLT said...

Hi Josef,

Antwort kommt, aber nicht mehr heute.

MfG,
JLT

JLT said...

Ich finde Ihre Unterteilung in Gesetz, Gebot und Gewissen sehr wichtig. Ich glaube, dass die Gesetzgebung einen Rahmen schaffen soll, der dem entspricht, auf das sich die Mehrheit einigen kann. Wem das Gewissen darüber hinaus (ob nun basierend auf Geboten oder anderer Überlegungen) noch andere Handlungsweisen "befiehlt" bzw. verbietet, dem steht das natürlich frei – aber ich glaube, es sollte nicht Inhalt eines Gesetzes sein. Als ein Beispiel, mit dem sie sicher auch nicht übereinstimmen: Wenn die Zeugen Jehovas es aus Gewissensgründen ablehnen, eine Bluttransfusion zu erhalten, dann akzeptiere ich das als ihr gutes Recht. Ich würde aber vehement dagegen angehen, würden sie versuchen, Bluttransfusionen gesetzlich zu verbieten, da diese ihre Gewissensentscheidung keine allgemeine Basis hat.

Bezogen auf die Stammzellforschung halte ich es für wichtig herauszufinden, was eine allgemein akzeptierte Basis ist. Natürlich haben Sie so gut wie jeder andere das Recht, Ihre Meinung zur Ethik der Stammzellforschung zu äußern und zu vertreten, wie auch immer Sie zu dieser Meinung gelangt sind. Es gehört ja ausdrücklich zu der Findung einer gemeinsamen Basis dazu, dass alle ihre Meinung äußern dürfen und können.

Was ich aber nicht zulässig finde, ist die Darstellung der eigenen ethischen Bewertung als die einzig Gültige oder einzig "Richtige". Ich habe das auch vorher schon versucht, deutlich zu machen: Mich stört nicht, dass eine ethische Bewertung auf Religion begründet wird. Mich stört, dass diese Bewertung als für alle gültig aufgefasst wird. Im Grunde sind es damit die (religiös motivierten) Gegner der Stammzellforschung, die keine andere Meinung zulassen, nicht etwa ihre Befürworter.

Nun würden Sie wahrscheinlich abstreiten, dass sie (die Gegner) das tun, aber ich empfinde eine Darstellung so, in dem jede Abweichung von ihrer Ethik als eine Aufweichung "der" Ethik dargestellt wird, die letztendlich dazu führte, dass alles gemacht würde und es überhaupt keine Grenzen mehr gäbe.
Ich persönlich aber halte meine ethische Bewertung für genauso valide und sie erlaubt keinesfalls, alles zu tun, was ich vielleicht für nützlich hielte.

Vielleicht liegt die Problematik darin, dass sich die Auffassungen noch viel tiefer gehend unterscheiden: Ich glaube, dass (viele) religiöse Menschen davon überzeugt sind, dass es eine absolute Ethik gibt, eine, die für immer und alle Zeiten gilt (und die von Gott festgelegt ist), wohingegen ich davon überzeugt bin, dass sich Ethik mit der Zeit und der Kultur wandelt und dass es *DIE* richtige Ethik gar nicht gibt.
So würden wir es heute als absolut unethisch empfinden, wenn ein erwachsener Mann eine Vierzehnjährige (oder noch jünger) heiraten würde, aber es gab Zeiten, da war das normal. Auch die Sklaverei finden wir heute hochgradig unethisch, aber auch das war nicht immer allgemeine Ansicht.

Um auf die Findung einer gemeinsamen Basis zurückzukommen, die ja nur Basis der Gesetzgebung sein soll und nicht etwa festlegt, was alle als "ihre" Ethik anerkennen soll(t)en:

Während Ihre Position ist, dass Embryos von Anfang an schützenswert sind, "um jeden Preis", und meine Position ist, dass die Embryos, die für die Stammzellforschung verwendet werden, nicht schützenswert sind (die Gründe dafür habe ich, denke ich, schon ausreichend dargelegt), gibt es auch Menschen mit einer dritten Position, die den Embryo zwar generell für schützenswert halten, aber unter gewissen Umständen die Forschung als ethisch zulässig betrachten würden. Diese utilitaristische Sichtweise, die Kosten und Nutzen abwägt, haben wir ja im Grunde alle: Für Sie gibt es keinen Nutzen, der größer wäre als die Kosten, nach Ihrer Auffassung ein getötetes Menschenleben. Ich stehe sozusagen auf der anderen Seite, ich glaube nicht, dass ein Embryo, der so und so zerstört werden würde und nicht leiden kann, einen besonderen "Wert" hat, besonders schützenswert wäre. Deswegen bräuchte ich noch nicht mal auf den Nutzen schielen, da ich die "Kosten" so gering bewerte.
Aber dazwischen gibt es, wie gesagt, eine ganze Reihe von Menschen, die Kosten und Nutzen abwägen.

Und da wird meiner Meinung nach die Diskussion von Seiten der Gegner unehrlich geführt, womit wir auch bei der Umfrage angelangt wären. Menschen, die Kosten und Nutzen in dieser Frage abwägen, werden bei einer Darstellung, die den Nutzen massiv herunterspielt (der gleiche "Nutzen" auch durch adulte Stammzellen, kein Nutzen durch embryonale Stammzellen – wie in der Umfrage formuliert), in die Irre geführt und kommen möglicherweise aufgrund dieser Falschdarstellung zu einer Einschätzung, die sie in Kenntnis der tatsächlichen Fakten so nicht träfen. Genauso irreführend ist das Verschweigen von Tatsachen, die eine Einschätzung des "Werts" ermöglichen würden, wie beispielsweise, dass sich die Embryonen in einem so frühen Stadium befinden, dass sie kleiner sind als ein Stecknadelkopf, aus vielleicht 100 Zellen bestehen etc. (wie ich schon früher ausführlich dargelegt habe). Oder noch schlimmer, wenn nicht nur die Tatsachen nicht genannt werden, sondern im Gegenteil, beispielsweise durch die Abbildung eines Fötus in einer Gebärmutter versucht wird, etwas ganz anderes nahe zu legen.

Bezüglich Ihrer Frage:

Sie weichen aber meinen Fragen etwas aus: Es ging mir, bei gegebener gleicher Fragestellung, so falsch/missinformativ die sein mag, um die Differenz von alt/jung, Mann/Frau, gestern/heute. Motivation für meine Fragen war die These, dass es doch noch andere Gründe geben muss als nur die Missinformation, warum – bei gleicher Fragestellung – heute mehr Menschen gegen ESZ-Forschung sind als vor einem Jahr.

War die Fragestellung die Gleiche?

"Zur medizinischen Forschung können sowohl menschliche embryonale Stammzellen verwendet werden als auch adulte Stammzellen, die jedem erwachsenen Menschen entnommen werden können. Heilungs- und Therapieerfolge sind bisher nur mit adulten Stammzellen erzielt worden. Vor kurzem haben Forscher einfache menschliche Hautzellen so umprogrammiert, dass sie sich wie embryonale Stammzellen verhalten. Es gibt aber auch Forscher, die sich Erfolge von der Forschung an embryonalen Stammzellen erhoffen. Um embryonale Stammzellen zur Forschung zu gewinnen, müssen menschliche Embryonen erzeugt und zerstört werden. Was befürworten Sie?"

Das bezieht sich auf Fortschritte, die im letzten Jahr gemacht wurden. Ich glaube also nicht, dass diese Frage genauso letztes Jahr schon gestellt wurde und aus der Differenz ergibt sich auch die Beantwortung Ihrer Frage:
Jemand, der eine Kosten-Nutzen-Abwägung durchführt und jetzt eine konkrete Alternative angeboten bekommt, die möglicherweise auch noch gerade in sensationsheischender Weise durch die Presse gezerrt wurde (ohne all die Einschränkungen zu beachten, die die Forscher zur Anwendbarkeit machen), dann wundert es mich überhaupt nicht, dass mehr Leute unter den Umständen Stammzellforschung ablehnen.
Auch der Unterschied Alt/Jung ist aus einer utilitaristischen Bewertung erklärbar: Der Nutzen wird ja auch unbewusst als "Der Nutzen für mich" kalkuliert. Ältere Leute benötigen eher als Junge eine medizinische Intervention, manche der potenziellen Anwendungsgebiete von Stammzellen sind explizit Alterskrankheiten – dementsprechend schätzen Ältere den Nutzen höher ein als Junge und befürworten daher eher die Stammzellforschung als Junge. Dazu muss sich die Auffassung von der Schutzwürdigkeit des Embryos gar nicht unterscheiden.

Dass ich mir das nicht vollständig aus den Fingern sauge, kann man in dieser Studie nachlesen [.pdf] 'Europeans and Biotechnology' (von 2005). Ab Seite 29 geht es auch um Stammzellforschung.
Daraus z. B. zur ethischen Bewertung/Utilitarismus:

"The picture across Europe is not uniform. In the predominantly Orthodox cultures of Greece and Cyprus, respondents regard the embryo as a human being. The same can be said of the traditionally Roman Catholic cultures such as Italy, Hungary, Spain and Belgium, where, as we have seen, levels of approval for embryonic stem cell research are relatively high. The respondents in the Protestant cultures are less inclined to agree that the embryo is human immediately after conception, as are those in the more secular countries. Whether people believe the embryo is a human is related to their approval for stem cell research. Of those who believe so, 36 per cent disapprove of embryonic stem cell research, compared to 20 per cent disapproval among those who do not believe the embryo is a human being. But looking across the European countries as a whole, a belief in the embryo as a human being at the moment of conception does not appear to be the decisive factor in shaping sentiments towards human embryonic stem cell research." (S. 35)

Um noch mal zusammen zu fassen:

Ich plädiere weder für eine Entscheidungshoheit der Wissenschaftler, noch schließe ich auf religiöse Überzeugungen gegründete Meinungen aus. Ich empfinde viel eher, dass *meine* Meinung nicht als valide und gleichwertige ethische Bewertung zugelassen wird und dass die wissenschaftlichen Fakten komplett ignoriert und verfälscht dargestellt werden, so dass darüber hinaus anderen Menschen die Möglichkeit verweigert wird, *aufgrund der wissenschaftlichen Fakten* zu einer ethischen Bewertung zu kommen. Wie gesagt, diese Menschen können ja durchaus der (auch religiös basierten) Meinung sein, dass der Embryo schützenswert ist und es ist auch nicht gesagt, dass sie bei Kenntnis der tatsächlichen Faktenlage eine Stammzellforschung befürworten würden – aber es würde eine *Meinungsfindung* stattfinden und keine nur religiös motivierte Meinungsmache.

Darum ging es mir im Übrigen von Anfang an.

Wenn diese Meinungsfindung stattgefunden hat, dann würde ich die Auffassung der Mehrheit akzeptieren und als Gesetz festschreiben. Falls dies beinhaltet, dass Stammzellforschung zulässig ist, muss jeder für sich entscheiden, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, die Stammzellen zu gewinnen und dabei einen Embryo zu zerstören, mit humanen embryonalen Stammzellen zu arbeiten (dies beträfe natürlich jeweils nur den individuellen Wissenschaftler), oder von auf dieser Forschung basierenden Therapien zu profitieren.

Und wo wir gerade bei Gewissen und Wissenschaftlern sind:
Ich beziehe es mal auf Tierversuche. Eine Freundin von mir akzeptiert zwar die Notwendigkeit von Tierversuchen, könnte es aber nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, sie selbst durchzuführen. Deshalb hat sie ein Gebiet gewählt, in dem sie keine Tierversuche durchführen muss. Ich selbst könnte z. B. keine Versuche an Primaten oder Hunden durchführen, und natürlich kann mich niemand dazu zwingen. Aber ich könnte natürlich auch nicht in Bereichen arbeiten, wo das erforderlich ist.
Für jeden Tierversuch muss ein Ethikantrag geschrieben werden, in dem der Nutzen und die Notwendigkeit der Tierversuche und das damit verbundene Leiden für die Tiere genannt und rechtfertigt werden müssen. Dieser Antrag muss von einer externen Ethikkommission bewertet (die größtenteils aus Nicht-Wissenschaftlern besteht) und bewilligt werden. Noch viel extremer trifft das natürlich auf Versuche am Menschen zu.
Der Wissenschaftler "darf" nicht nur ein Gewissen haben, er wird dazu "gezwungen".
In einem früheren Kommentar habe ich schon mal erwähnt, dass wir eine Bioethik-Doktorandin haben, die uns "auf dem Laufenden" hält. Wenn man in der medizinischen Forschung arbeitet wie ich, wird man an allen Ecken und Enden mit ethischen Fragestellungen konfrontiert.

Von daher finde ich diese Frage reichlich seltsam:

"Die Frage wäre: Gibt es Möglichkeiten, allgemeingültige Bedingungen festzulegen, unter denen ein Wissenschaftler sich weigern sollte, eine Forschungsaufgabe anzunehmen?"

Wissenschaftler entscheiden in der Regel selbst, was sie erforschen. Aber das findet ja nicht im luftlehren Raum statt: Das Geld kommt in der Regel aus öffentlichen Mitteln, dafür müssen Anträge (die die geplante Forschung beschreiben) geschrieben und bewilligt werden; Ethikanträge für Tierversuche müssen geschrieben und genehmigt werden. Und da man selbst für eine Blutabnahme beim Menschen einen Ethikantrag stellen muss, können sie ziemlich sicher davon ausgehen, dass man nicht einfach an den Gefrierschrank gehen und sich ein paar Embryonen für Versuche nehmen kann.

Darum kann ich Ihre Frage nicht nachvollziehen. Ein Wissenschaftler würde keinen Forschungsauftrag bekommen, der den allgemeingültigen Bedingungen widerspricht. Wenn der Forschungsauftrag etwas beinhaltet, dass seinem eigenen Gewissen widerspricht, dann wird er sich auch weigern, ihn anzunehmen.


Als Nachtrag:

Zur Gesetzeslage: Ich denke, wenn einer der zur Diskussion stehenden Entwürfe dem Grundgesetz widerspräche, würde dieser nicht zur Diskussion stehen. Oder irre ich mich da?
In jedem Fall halte ich es zunächst mal für eine ethische Bewertung nicht ausschlaggebend, ob es dem Gesetz entspricht oder nicht.

Mit freundlichen Grüßen,
JLT



P.S.: Eine Veröffentlichung? Warum nicht. Melde mich dann noch mal bei Ihnen per Email.