Gestern wurde im Bundestag über eine Änderung des Gesetzes zur Forschung mit Embryonalen Stammzellen (ESZ) debattiert. Momentan darf in Deutschland nur an ESZ geforscht werden, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden ("Stichtagregelung"). Jetzt geht es um eine Verschiebung oder Aufhebung des Stichtages, aber auch ein vollständiges Verbot oder die Beibehaltung der bestehenden Regelung. Eine kurze Zusammenfassung der Positionen findet sich auf der ARD-Seite.
Die Zeit hat ein Stammzell-Spezial, in dem Vertreter der verschiedenen Positionen zu Wort kommen, darunter z. B. Kardinal Lehmann. Auch viele weitere Informationen sind dort erhältlich.
Ich fand die Position von Alexander Kekulé , eine Antwort auf Kardinal Lehmann, besonders lesenswert. Daraus:
D. h. aus den Stammzellen, die zur Forschung verwendet werden, kann sich kein neuer Embryo mehr entwickeln, aber sie haben noch die "Potenz", alle im Menschen vorkommenden Gewebetypen zu bilden. Sie können auf drei Arten gewonnen werden.
1. Aus Blastozysten: Ab etwa der 5. Zellteilung (32-Zellstadium) beginnt sich der Zellhaufen zu einer innen hohlen Zellkugel auszubilden, in dessen Inneren sich eine Zellmasse bildet. Diese Zellen werden entnommen und daraus ESZ-Linien generiert. In der Regel besteht der ganze "Embryo" zu dem Zeitpunkt der Entnahme aus 50-150 Zellen, dieses Stadium wird nach etwa einer Woche erreicht. In der Gebärmutter würde frühestens zu diesem Zeitpunkt eine Einnistung stattfinden. Weiter als das Blastozysten-Stadium entwickeln sich Embryonen in vitro (im Labor; außerhalb des Körpers) nicht.
Die Blastozysten werden aus überzähligen befruchteten Eizellen, die bei der künstlichen Befruchtung entstehen, generiert. Sie könnten natürlich auch aus extra zu dem Zweck befruchteten Eizellen gemacht werden.
2. Aus abgetriebenen Foeten. Dazu werden Zellen der sogenannten Keimbahn entnommen, die "Vorläufer" der späteren Samen- bzw. Eizellen, und aus ihnen ESZ-ähnliche Zellen generiert.
3. Durch therapeutisches Klonen, bei dem ein Zellkern einer "erwachsenen" Zelle in eine Eizelle transferiert wird. Auch hierbei wird zunächst ein neuer Embryo generiert. In Deutschland ebenfalls verboten.
Die erste Möglichkeit ist die am weitesten verbreitete Methode der Stammzellgewinnung.
Warum kommt die Forschung nicht mit den vorhandenen Stammzelllinien aus?
Zum einen ist die Forschung voran geschritten. Die Generierung und die Bedingungen der Haltung von Stammzellen wurden verbessert.
Früher mussten ESZ beispielsweise, um sie am Leben zu erhalten, auf einer Schicht von Zellen aus Mäusen kultiviert werden. Zellen werden generell in einer Nährflüssigkeit gehalten, die all das beinhalten muss, was die Zellen zum Leben brauchen. Je nach Zelltyp kann das eine Vielzahl verschiedener Zusätze sein. Anfänglich war bei ESZ noch unbekannt, welche Zusätze diese benötigten, so dass sie zusammen mit den Mäusezellen gehalten wurden, die offenbar einige der Nährstoffe produzieren, die die ESZ brauchen. Mittlerweile weiß man aber, welche Bestandteile das Nährmedium haben muss, um die ESZ am Leben zu erhalten. Durch die ursprünglichen Kulturbedingungen sind die älteren Stammzelllinien aber teilweise mit Mäusezellen verunreinigt.
Ein weiteres Problem ist die Überalterung der bisher erlaubten ESZ-Linien. Je länger Zellen in Kultur gehalten werden, um so mehr verändern sie sich. So kann es sein, dass Zellen, die ein Jahr kultiviert wurden, andere Eigenschaften aufweisen als die Originalzellen, von denen sie abstammen. Da die Menge an Originalzellen natürlich begrenzt ist und sie zur Vermehrung kultiviert werden *müssen*, ist es unausweichlich, dass die Zellen mehr und mehr ihre Eigenschaften verlieren - Forschung an ihnen wird damit wertlos.
Die Forschung an ESZ ist momentan noch unverzichtbar, darin sind sich alle Fachleute einig - und ich stimme ihnen zu. Ich selbst arbeite mit adulten Stammzellen, den aus dem Knochenmark gewonnenen mesenchymalen Stammzellen (in Irland ist die Forschung an ESZ komplett verboten), und bin ganz gut mit der Materie vertraut. Aber meine Haltung zu dem Thema begründet sich nicht auf der Unverzichtbarkeit, ich finde nicht, dass hier eine Abwägung zwischen dem möglichen Nutzen und einer Schutzwürdigkeit der Blastozyste stattfinden muss, ganz einfach, weil ich nicht einsehen kann, warum eine Blastozyste schützenswert sein sollte. Für mich gibt es ganz einfach nichts, was gegen eine Forschung an ESZ spricht.
Außerhalb des menschlichen Körpers hat eine Blastozyste nicht das Potenzial, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Wie oben schon erwähnt, hört die Entwicklung außerhalb des Körpers zu diesem Zeitpunkt auf (und selbst im Körper nisten sich nur etwa 50 % der Blastozysten auch ein). Bei Embryonen aus der künstlichen Befruchtung werden diese soundso zerstört. Warum nicht an ihnen forschen? Ist es ethisch unbedenklicher, diese einfach so wegzuschmeißen als sie der Forschung nutzbar zu machen?
Das Tragen einer Spirale zur Empfängnisverhütung ist auch erlaubt, dabei besteht das *ganze Prinzip* dieser Methode darauf, die Einnistung von Blastozysten in der Gebärmutter zu verhindern. Nach der "Logik der Gegner der ESZ-Forschung wäre das doch auch ein eklatanter Verstoß gegen die "Menschenwürde".
Die Gegner einer Verschiebung des Stichtags bzw. totale Gegner der Stammzellforschung haben meiner Meinung nach kein wirkliches Gegenargument. Die Begründung von christlicher Seite, ab der Befruchtung der Eizelle wäre es ein Mensch und hätte damit das gleiche Recht auf Schutz, wird meiner Meinung nach von dem von Kekulé erwähnten Gedankenexperiment ad absurdum geführt. Niemand findet tatsächlich, dass ein real existierender Mensch genauso viel oder wenig wert ist wie eine Blastozyste. Wohlgemerkt geht es im obigen Beispiel um die Wahl zwischen 100 Blastozysten und nur einem Kind. Wären die Menschen wirklich von einer Gleichberechtigung überzeugt, würden sie doch wohl die 100 "Leben" retten und nicht "nur" das eine Kind. Aber tatsächliches Leben hat eben einen anderen Stand als theoretisch Mögliches. Erst Recht, wenn die 100 "theoretisch möglichen Leben" soundso am nächsten Tag in der Mülltonne landen würden.
Was mich besonders an Gegnern der ESZ-Forschung ärgert, ist ihr Umgang mit den Fakten. So gut wie nie wird erwähnt, in welchem Stadium sich die Embryonen befinden, wenn die ESZ entnommen werden. Im Gegenteil, meiner Meinung nach wird versucht, dies noch zu verschleiern. Ein "schönes" Beispiel findet sich bei Theolounge: 'Gesetz zur Stammzellforschung soll aufgeweicht werden'.
Zunächst mal gibt es ein Ultraschallbild eines Fötus in der Gebärmutter. Warum das, um alles in der Welt? Aus in der Gebärmutter enthaltenen Föten werden Stammzellen nicht gemacht und in dem Artikel wird sogar erwähnt, dass die Stammzellen vor dem 14ten Tag entnommen werden.
Der Artikel nennt einigermaßen zutreffend zwei Argumente der Befürworter der Änderung der deutschen Stichtagsregelung: Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Forscher auf dem Gebiet der ESZ-Forschung und die möglichen Nutzen aus der ESZ-Forschung.
Gegen das erste Argument wird eingewandt, dass da keine ethischen Gesichtspunkte berücksichtigt würden. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wenn die Befürworter überzeugt wären, dass der von Seiten der Gegner eingebrachte ethische Gesichtspunkt zutreffend wäre, würden sie dieses Argument natürlich nicht machen. *Dass* dies Argument gemacht wird, ist in sich schon eine Stellungnahme zur Ethik der Stammzellforscher: Die Befürworter sehen darin keine Verletzung der Menschenwürde. Das ist doch der ganze Konflikt auf den Punkt gebracht.
Das zweite Argument, der mögliche Nutzen, wird lapidar damit abgeschmettert, dass es keinen möglichen Nutzen gibt.
Woher sollten man wissen, welche Erfolge man erzielen kann? Aus ESZ kann man theoretisch alle menschlichen Gewebetypen züchten, dies ist für eine ganze Reihe von Gewebetypen auch schon praktisch gelungen (z. B. Herz- und Leberzellen, Insulin-produzierende Zellen). Wie man dies am Besten für eine klinische Anwendung nutzbar macht, das ist Gegenstand der Forschung (und es gab auch tatsächlich dazu schon erfolgversprechende Ergebnisse). "De facto" kann man nur *wissen*, welche Erfolge man erzielen kann, wenn man sie schon erzielt hat.
Es gibt natürlich Hindernisse beim Einsatz von ESZ. Eines ist z. B. die Eigenschaft von ESZ, Tumore (sogenannte Teratome) zu bilden, wenn sie undifferenziert, also in ihrer ursprünglichen Form, in den Körper gespritzt werden (mit welcher Häufigkeit dies geschieht, schwankt mit der Art der Anwendung). Das ist keine neue Erkenntnis und wird auch beileibe nicht verschwiegen. Daher versucht man ja, die Zellen außerhalb des Körpers in den gewünschten Zelltyp zu differenzieren, d. h. man versucht, die Entwicklung der ESZ durch verschiedene Zusätze zur Nährflüssigkeit dazu zu bringen, sich beispielsweise in Leberzellen umzuformen.
Dann kommt aber der Höhepunkt des Artikels (im direkten Anschluss an das obige Zitat):
Was die Generierung von Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten angeht: Verwechselt da der Autor irgendein SciFi-Buch mit der Realität? Bücher für bare Münze zu nehmen, scheint ein generelles Problem zu sein.... Mir sind jedenfalls keine derartigen Vorhaben bekannt (vielleicht ist die gleiche Verschwörung am Werk, die die angebliche Aussichtslosigkeit der Stammzellforschung so geschickt verschweigt?).
Als drittes Argument der Befürworter einer Neuregelung wird dann endlich auch genannt, was der tatsächliche Knackpunkt der ganzen Debatte ist. Ist eine Blastozyste ethisch ein Mensch oder nicht?
Aber auch, wenn man das Gegenargument etwas genauer betrachtet, beinhaltet es einen entscheidenden Fehler. Es setzt voraus, dass alles Menschliche immer und überall schützenswert ist. Natürlich wäre es schwierig, einen Zeitpunkt der "Menschwerdung" festzulegen, das wird ja gar nicht versucht und ist auch nicht Gegenstand der Diskussion. Es geht darum festzustellen, ob es *schützenswert* ist. Weiter argumentiert der Autor:
Über den Beginn von "personalem Leben" macht die Biologie jedenfalls keinerlei Aussage. In der Medizin ist das Ende des "personalen Lebens" durch das Ende der Hirnströme gekennzeichnet. Wenn man dies als Charakteristik des Lebensendes akzeptiert, könnte man den Anfang des personalen Lebens in die 26. Schwangerschaftswoche verlegen, dem Zeitpunkt, an dem erstmals Hirnströme beim Ungeborenen messbar sind.
Zum Abschluss wird dann noch mal ganz tief in die rhetorische Trickkiste gegriffen und gefragt:
MfG,
JLT
Weitere Links:
Die Seite der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Stammzellforschung.
Weitere interessante Blogbeiträge zu dem Thema:
Science in Society: Angst vor Neuem - Was prägt die Stammzelldebatte? (auch viele weitere Artikel zu dem Thema, u. a. Links zu den verschiedenen Anträgen, die im Bundestag diskutiert wurden und eine Umfrage).
Skeptic as Hell: Babies töten!
Tage wie diese: Stammzellen
Kritische Masse: Mit viel Lärm hinterher
Die Zeit hat ein Stammzell-Spezial, in dem Vertreter der verschiedenen Positionen zu Wort kommen, darunter z. B. Kardinal Lehmann. Auch viele weitere Informationen sind dort erhältlich.
Ich fand die Position von Alexander Kekulé , eine Antwort auf Kardinal Lehmann, besonders lesenswert. Daraus:
Stattdessen muss offen über den moralischen Status eines im Labor hergestellten, fünf Tage alten Embryos diskutiert werden. Diese Blastozyste, eine mit bloßem Auge kaum sichtbare Kugel aus rund 180 Zellen, würde sich im Mutterleib ab dem siebten Tag in die Gebärmutterwand einnisten. Für die Gewinnung embryonaler Stammzellen werden jedoch bei einer künstlichen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation, IVF) übrig gebliebene Blastozysten zerstört.Zudem nennt er, als einer der wenigen, die sich in dieser Debatte zu Wort melden, auch einige Fakten zu den Zeiträumen, um die es geht. Die Stammzellen, an denen geforscht sind, sind pluripotent ("totipotent" sind die Zellen nur in den ersten zwei bis drei Zellteilungen nach der Befruchtung, also im 4-8 Zellstadium. Aus jeder einzelnen dieser Zellen kann theoretisch ein neuer Embryo entstehen; wenn dies in der Gebärmutter passiert, können daraus ein-eiige Zwillinge (Drillinge, Vierlinge) werden).
Besitzt dieser winzige Zellhaufen die volle Menschenwürde, mit allen Konsequenzen? In anderen Worten: Ist die Blastozyste ein Mensch?
Der Harvard-Philosoph Michael Sandel hat dazu ein Gedankenexperiment entwickelt. Stellen Sie sich vor, in einem brennenden Labor befinden sich ein Kind sowie ein Reagenzglasständer mit hundert Blastozysten. Wen retten Sie zuerst? Jeder vernünftige Mensch würde natürlich dem Kind helfen. Die Alternative, einen vollwertigen Menschen für die Zellen in Nährlösung zu opfern, erscheint uns absurd und grausam. Wir würden auch einen Bewusstlosen zuerst retten, obwohl er keine Schmerzen empfindet, oder einen Schwerkranken, der ohnehin bald sterben muss. Das Gedankenexperiment kommt bei Menschen unterschiedlichster Nationalitäten, Kulturkreise und Religionen zum selben Ergebnis.
Auch im realen Leben werden bedenkenlos Blastozysten geopfert – darunter sogar solche, aus denen sich ohne weiteres Zutun ein Mensch entwickeln würde: Die zur Schwangerschaftsverhütung millionenfach eingesetzte Spirale tötet den frühen Embryo bei der Einnistung in die Gebärmutter, also im Alter von 7 bis 14 Tagen. Auch im Zusammenhang mit der IVF werden weltweit Hunderttausende »überzählige« Embryonen vernichtet, die nicht in die Gebärmutter eingepflanzt werden konnten.
D. h. aus den Stammzellen, die zur Forschung verwendet werden, kann sich kein neuer Embryo mehr entwickeln, aber sie haben noch die "Potenz", alle im Menschen vorkommenden Gewebetypen zu bilden. Sie können auf drei Arten gewonnen werden.
1. Aus Blastozysten: Ab etwa der 5. Zellteilung (32-Zellstadium) beginnt sich der Zellhaufen zu einer innen hohlen Zellkugel auszubilden, in dessen Inneren sich eine Zellmasse bildet. Diese Zellen werden entnommen und daraus ESZ-Linien generiert. In der Regel besteht der ganze "Embryo" zu dem Zeitpunkt der Entnahme aus 50-150 Zellen, dieses Stadium wird nach etwa einer Woche erreicht. In der Gebärmutter würde frühestens zu diesem Zeitpunkt eine Einnistung stattfinden. Weiter als das Blastozysten-Stadium entwickeln sich Embryonen in vitro (im Labor; außerhalb des Körpers) nicht.
Die Blastozysten werden aus überzähligen befruchteten Eizellen, die bei der künstlichen Befruchtung entstehen, generiert. Sie könnten natürlich auch aus extra zu dem Zweck befruchteten Eizellen gemacht werden.
2. Aus abgetriebenen Foeten. Dazu werden Zellen der sogenannten Keimbahn entnommen, die "Vorläufer" der späteren Samen- bzw. Eizellen, und aus ihnen ESZ-ähnliche Zellen generiert.
3. Durch therapeutisches Klonen, bei dem ein Zellkern einer "erwachsenen" Zelle in eine Eizelle transferiert wird. Auch hierbei wird zunächst ein neuer Embryo generiert. In Deutschland ebenfalls verboten.
Die erste Möglichkeit ist die am weitesten verbreitete Methode der Stammzellgewinnung.
Warum kommt die Forschung nicht mit den vorhandenen Stammzelllinien aus?
Zum einen ist die Forschung voran geschritten. Die Generierung und die Bedingungen der Haltung von Stammzellen wurden verbessert.
Früher mussten ESZ beispielsweise, um sie am Leben zu erhalten, auf einer Schicht von Zellen aus Mäusen kultiviert werden. Zellen werden generell in einer Nährflüssigkeit gehalten, die all das beinhalten muss, was die Zellen zum Leben brauchen. Je nach Zelltyp kann das eine Vielzahl verschiedener Zusätze sein. Anfänglich war bei ESZ noch unbekannt, welche Zusätze diese benötigten, so dass sie zusammen mit den Mäusezellen gehalten wurden, die offenbar einige der Nährstoffe produzieren, die die ESZ brauchen. Mittlerweile weiß man aber, welche Bestandteile das Nährmedium haben muss, um die ESZ am Leben zu erhalten. Durch die ursprünglichen Kulturbedingungen sind die älteren Stammzelllinien aber teilweise mit Mäusezellen verunreinigt.
Ein weiteres Problem ist die Überalterung der bisher erlaubten ESZ-Linien. Je länger Zellen in Kultur gehalten werden, um so mehr verändern sie sich. So kann es sein, dass Zellen, die ein Jahr kultiviert wurden, andere Eigenschaften aufweisen als die Originalzellen, von denen sie abstammen. Da die Menge an Originalzellen natürlich begrenzt ist und sie zur Vermehrung kultiviert werden *müssen*, ist es unausweichlich, dass die Zellen mehr und mehr ihre Eigenschaften verlieren - Forschung an ihnen wird damit wertlos.
Die Forschung an ESZ ist momentan noch unverzichtbar, darin sind sich alle Fachleute einig - und ich stimme ihnen zu. Ich selbst arbeite mit adulten Stammzellen, den aus dem Knochenmark gewonnenen mesenchymalen Stammzellen (in Irland ist die Forschung an ESZ komplett verboten), und bin ganz gut mit der Materie vertraut. Aber meine Haltung zu dem Thema begründet sich nicht auf der Unverzichtbarkeit, ich finde nicht, dass hier eine Abwägung zwischen dem möglichen Nutzen und einer Schutzwürdigkeit der Blastozyste stattfinden muss, ganz einfach, weil ich nicht einsehen kann, warum eine Blastozyste schützenswert sein sollte. Für mich gibt es ganz einfach nichts, was gegen eine Forschung an ESZ spricht.
Außerhalb des menschlichen Körpers hat eine Blastozyste nicht das Potenzial, sich zu einem Menschen zu entwickeln. Wie oben schon erwähnt, hört die Entwicklung außerhalb des Körpers zu diesem Zeitpunkt auf (und selbst im Körper nisten sich nur etwa 50 % der Blastozysten auch ein). Bei Embryonen aus der künstlichen Befruchtung werden diese soundso zerstört. Warum nicht an ihnen forschen? Ist es ethisch unbedenklicher, diese einfach so wegzuschmeißen als sie der Forschung nutzbar zu machen?
Das Tragen einer Spirale zur Empfängnisverhütung ist auch erlaubt, dabei besteht das *ganze Prinzip* dieser Methode darauf, die Einnistung von Blastozysten in der Gebärmutter zu verhindern. Nach der "Logik der Gegner der ESZ-Forschung wäre das doch auch ein eklatanter Verstoß gegen die "Menschenwürde".
Die Gegner einer Verschiebung des Stichtags bzw. totale Gegner der Stammzellforschung haben meiner Meinung nach kein wirkliches Gegenargument. Die Begründung von christlicher Seite, ab der Befruchtung der Eizelle wäre es ein Mensch und hätte damit das gleiche Recht auf Schutz, wird meiner Meinung nach von dem von Kekulé erwähnten Gedankenexperiment ad absurdum geführt. Niemand findet tatsächlich, dass ein real existierender Mensch genauso viel oder wenig wert ist wie eine Blastozyste. Wohlgemerkt geht es im obigen Beispiel um die Wahl zwischen 100 Blastozysten und nur einem Kind. Wären die Menschen wirklich von einer Gleichberechtigung überzeugt, würden sie doch wohl die 100 "Leben" retten und nicht "nur" das eine Kind. Aber tatsächliches Leben hat eben einen anderen Stand als theoretisch Mögliches. Erst Recht, wenn die 100 "theoretisch möglichen Leben" soundso am nächsten Tag in der Mülltonne landen würden.
Was mich besonders an Gegnern der ESZ-Forschung ärgert, ist ihr Umgang mit den Fakten. So gut wie nie wird erwähnt, in welchem Stadium sich die Embryonen befinden, wenn die ESZ entnommen werden. Im Gegenteil, meiner Meinung nach wird versucht, dies noch zu verschleiern. Ein "schönes" Beispiel findet sich bei Theolounge: 'Gesetz zur Stammzellforschung soll aufgeweicht werden'.
Zunächst mal gibt es ein Ultraschallbild eines Fötus in der Gebärmutter. Warum das, um alles in der Welt? Aus in der Gebärmutter enthaltenen Föten werden Stammzellen nicht gemacht und in dem Artikel wird sogar erwähnt, dass die Stammzellen vor dem 14ten Tag entnommen werden.
Der Artikel nennt einigermaßen zutreffend zwei Argumente der Befürworter der Änderung der deutschen Stichtagsregelung: Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Forscher auf dem Gebiet der ESZ-Forschung und die möglichen Nutzen aus der ESZ-Forschung.
Gegen das erste Argument wird eingewandt, dass da keine ethischen Gesichtspunkte berücksichtigt würden. Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Wenn die Befürworter überzeugt wären, dass der von Seiten der Gegner eingebrachte ethische Gesichtspunkt zutreffend wäre, würden sie dieses Argument natürlich nicht machen. *Dass* dies Argument gemacht wird, ist in sich schon eine Stellungnahme zur Ethik der Stammzellforscher: Die Befürworter sehen darin keine Verletzung der Menschenwürde. Das ist doch der ganze Konflikt auf den Punkt gebracht.
Das zweite Argument, der mögliche Nutzen, wird lapidar damit abgeschmettert, dass es keinen möglichen Nutzen gibt.
Was verschwiegen wird: Längst geben sich viele Forscher nicht mehr so optimistisch, denn de facto weiß man überhaupt nicht, welche Erfolge man erzielen könnte und zweitens sind schon einige erfolgsversprechende Aussichten von wissenschaftlicher Seite als sehr fraglich, ja utopisch eingestuft worden.Um mal das Offensichtliche dazu zu sagen: Erstens, wenn es verschwiegen wird, woher weiß es der Autor dann?
Woher sollten man wissen, welche Erfolge man erzielen kann? Aus ESZ kann man theoretisch alle menschlichen Gewebetypen züchten, dies ist für eine ganze Reihe von Gewebetypen auch schon praktisch gelungen (z. B. Herz- und Leberzellen, Insulin-produzierende Zellen). Wie man dies am Besten für eine klinische Anwendung nutzbar macht, das ist Gegenstand der Forschung (und es gab auch tatsächlich dazu schon erfolgversprechende Ergebnisse). "De facto" kann man nur *wissen*, welche Erfolge man erzielen kann, wenn man sie schon erzielt hat.
Es gibt natürlich Hindernisse beim Einsatz von ESZ. Eines ist z. B. die Eigenschaft von ESZ, Tumore (sogenannte Teratome) zu bilden, wenn sie undifferenziert, also in ihrer ursprünglichen Form, in den Körper gespritzt werden (mit welcher Häufigkeit dies geschieht, schwankt mit der Art der Anwendung). Das ist keine neue Erkenntnis und wird auch beileibe nicht verschwiegen. Daher versucht man ja, die Zellen außerhalb des Körpers in den gewünschten Zelltyp zu differenzieren, d. h. man versucht, die Entwicklung der ESZ durch verschiedene Zusätze zur Nährflüssigkeit dazu zu bringen, sich beispielsweise in Leberzellen umzuformen.
Dann kommt aber der Höhepunkt des Artikels (im direkten Anschluss an das obige Zitat):
Vielmehr geht in der heutigen Wissenschaft der Trend dahin, auf diesem gesamten Forschungsfeld auch am “new genetic design” des Menschen zu arbeiten: Menschen sollen über ihre von Gott geschenkten genetischen Fähigkeiten, die auch Grenzen mit sich bringen, “genkonform” gemacht werden, was soviel bedeutet, dass wir selber Menschen nach unseren Vorstellungen kreieren und sie mit Fähigkeiten ausstatten, die “übermenschlich” sind. Dieses Thema ist längst kein Tabu mehr unter renommierten Forschern.Was hat denn das mit Stammzellforschung zu tun? Aus den in der Forschung verwendeten ESZ können gar keine Embryonen gezüchtet werden!
Was die Generierung von Menschen mit übermenschlichen Fähigkeiten angeht: Verwechselt da der Autor irgendein SciFi-Buch mit der Realität? Bücher für bare Münze zu nehmen, scheint ein generelles Problem zu sein.... Mir sind jedenfalls keine derartigen Vorhaben bekannt (vielleicht ist die gleiche Verschwörung am Werk, die die angebliche Aussichtslosigkeit der Stammzellforschung so geschickt verschweigt?).
Als drittes Argument der Befürworter einer Neuregelung wird dann endlich auch genannt, was der tatsächliche Knackpunkt der ganzen Debatte ist. Ist eine Blastozyste ethisch ein Mensch oder nicht?
Ein drittes Argument geht dahin, dass man schlichtweg behauptet, dass die menschlichen Embryonen noch keine menschlichen Wesen seien. Philosophisch richtig argumentiert die katholische Kirche, dass menschliches, personales Leben mit der Verschmelzung von Samenzellen und Eizelle beginne. Andernfalls müsste man behaupten, dass der Embryo bis zu einem gewissen Stadium seiner Entwicklung ein Gegenstand wäre und dann ab einem bestimmten Zeitpunkt, den man unmöglich feststellen kann, dann zum Menschen und zur Person wird. Es ist jedoch von der Logik der Sache her absurd zu behaupten, dass aus einem Gegenstand eine geistige, personale und individuelle Person wird. Wir können im ganzen Universum nichts beobachten, was von einem Etwas zu einem Jemand wird. Daraus folgt, dass man von Anfang an, also seit der Verschmelzung von Eizelle und Samenzelle, entweder immer schon ein Mensch war oder es nie sein kann.Meiner Meinung nach ist die Gegenargumentation Augenwischerei. Für eine Diskussion über den Zeitpunkt, bis zu dem Abtreibungen erlaubt seien sollten, wäre das vielleicht noch einigermaßen relevant (ab welchem Zeitpunkt der Entwicklung ist ein Embryo/Fötus schützenswert) - aber bei der vorliegenden Debatte ist das am Punkt völlig vorbei. Die Embryonen würden sich nur dann weiterentwicklen (können), wenn sie in der Gebärmutter sind. Sind sie aber nicht. Aus Blastozysten in Petrischalen wird theoretisch und praktisch kein Mensch.
Aber auch, wenn man das Gegenargument etwas genauer betrachtet, beinhaltet es einen entscheidenden Fehler. Es setzt voraus, dass alles Menschliche immer und überall schützenswert ist. Natürlich wäre es schwierig, einen Zeitpunkt der "Menschwerdung" festzulegen, das wird ja gar nicht versucht und ist auch nicht Gegenstand der Diskussion. Es geht darum festzustellen, ob es *schützenswert* ist. Weiter argumentiert der Autor:
Der Chromosomensatz, der bei der Verschmelzung kombiniert wird, verändert sich zudem bis zum Tod eines Menschen nicht mehr. Die Frage nach dem Zeitpunkt, wann ein Individuum der Art Mensch beginnt, ist eine empirische Frage. Biologisch beginnt es mit der Befruchtung von Ei- und Samenzelle, also der Zygote. Die Frage, ob man von personalem Leben erst ab der Nidation, der Einnistung, sprechen sollte, kann dabei offen bleiben. Dann aber, wenn das menschliche Leben das fundamentalste aller Güter ist, ist für dieses Rechtsgut auch der sicherste Rechtsschutz geboten, d.h. sein biologisches Anfang und Ende.*Biologisch* entsteht mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ein individuelles Erbgut. Wenn individuelles menschliches Erbgut als "personales Leben" schützenswert wäre, dürfte man auch keine Tumorzellen abtöten, da die i. d. R. auch ein vom "Restmenschen" leicht abweichendes Erbgut haben...
Über den Beginn von "personalem Leben" macht die Biologie jedenfalls keinerlei Aussage. In der Medizin ist das Ende des "personalen Lebens" durch das Ende der Hirnströme gekennzeichnet. Wenn man dies als Charakteristik des Lebensendes akzeptiert, könnte man den Anfang des personalen Lebens in die 26. Schwangerschaftswoche verlegen, dem Zeitpunkt, an dem erstmals Hirnströme beim Ungeborenen messbar sind.
Zum Abschluss wird dann noch mal ganz tief in die rhetorische Trickkiste gegriffen und gefragt:
Darf man unschuldiges Leben vernichten, damit wir noch länger Leben können?Wenn das tatsächlich die Frage wäre, um dies es ginge, würde ich sagen, Nein. Ist es aber nicht. Die Frage ist immer noch, ob eine Kugel aus 100 Zellen schützenswertes "unschuldiges Leben" ist.
MfG,
JLT
Weitere Links:
Die Seite der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Stammzellforschung.
Weitere interessante Blogbeiträge zu dem Thema:
Science in Society: Angst vor Neuem - Was prägt die Stammzelldebatte? (auch viele weitere Artikel zu dem Thema, u. a. Links zu den verschiedenen Anträgen, die im Bundestag diskutiert wurden und eine Umfrage).
Skeptic as Hell: Babies töten!
Tage wie diese: Stammzellen
Kritische Masse: Mit viel Lärm hinterher
7 Kommentare:
Zu dem Thema ebenfalls lesenswert:
[a href="http://skepticashell.wordpress.com/2008/02/15/umfragen-manipulation-und-der-rote-knopf/"]Umfragen: Manipulation und "Der Rote Knopf"[/a]
Aaargh.
Umfragen und "Der Rote Knopf"
Ich habe die Erläuterung zum Linkeinfügen so abgeändert, dass man es jetzt einfach copy&pasten kann, man muss nur noch zwei Leerzeichen entfernen.
< code> lässt Blogger für die Kommentare leider nicht zu.
Alles für Dich, Stefan ;-)
Du bist so gut zu mir. ;-)
Hola,
habe dich auf meinem Blog verlinkt, und dir nen Trackback gesetzt, sehe den aber nicht in den Kommentaren bei dir. Kommt da was bei dir an?
Tobias
Kommt da was bei dir an?
[Bricht in Tränen aus]
Blogger unterstützt keine Trackbacks, die haben irgendein anderes System, das den "Vorteil" hat, völlig unvorhersagbar Links zu erkennen oder auch nicht. Meistens nicht. Selbst Links von Post 1 auf meinem Blog zu Post 2 auf meinem Blog werden nicht immer erkannt.
Ich habe schon nach Möglichkeiten gesucht, ankommende Links zuverlässiger anzeigen zu lassen, bin bisher aber noch auf keine gute Lösung gestoßen. Irgendwer?
Jedenfalls triffst Du damit einen wunden Punkt...
JLT
Muss ja sagen, dass wordpress da sehr praktisch ist. Da sind die Pingbacks kein Problem.
:)
Post a Comment