16 July 2007

Nachtigall ick hör Dir trapsen.

Äußerungen der hessischen Kultusministerin Karin Wolff, sie befürworte eine Behandlung der "Schöpfungslehre" im Biologieunterricht haben schon Oktober letzten Jahres für einige Aufregung gesorgt. Die AG Evolutionsbiologie im Verband deutscher Biologen hatte damals ein Protestschreiben [.pdf] an die Kultusministerin geschickt, das sich Frau Wolff vielleicht noch einmal durchlesen sollte.

Wolff hatte in der vergangenen Woche von «erstaunlichen Übereinstimmungen» zwischen christlicher Schöpfungslehre und wissenschaftlicher Evolutionstheorie gesprochen. Sie plädierte dafür, Fragen nach der Herkunft des Menschen und seiner Bestimmung fächerübergreifend zu erörtern - «nicht nur, aber auch im Biologieunterricht».
[Quelle: Financial Times Deutschland]

Die hessische Kultusministerin Karin Wolff hat mit Kreationismus »überhaupt nichts am Hut«, also der Idee, dass ein allmächtiger Gott für die unendliche Komplexität des Lebens verantwortlich sei. Aber sie spricht von »Konvergenzen« zwischen »Evolution und Schöpfungsgeschichte«, und sie hält es für »sinnvoll«, Schüler nicht allein mit der Evolutionslehre im Biologieunterricht zu konfrontieren. Darwin und Nachfolger dürften nicht getrennt werden von der »Schöpfungslehre der Bibel«, die im Religionsunterricht vermittelt wird. Auch »noch eine andere Sicht« sei notwendig als nur die der Naturwissenschaft.
[Quelle: Die Zeit]

Jetzt hat sich der Augsburger Bischof Mixa zu Wort gemeldet, der diesen Unsinn natürlich unterstützt*:

Der Augsburger Bischof verteidigte Wolff auch gegen den Vorwurf, sie leiste dem Kreationismus in Deutschland Vorschub: "Diese Kritik teile ich nicht. Sich allein auf eine Erklärung festzulegen, wie dies in der bisherigen Schulpraxis durch die Fixierung auf die Evolutionstheorie geschieht, hat etwas Totalitäres und ist auch und gerade aus Sicht der Wissenschaft unvernünftig." Der christliche Glaube sei die Entscheidung für den Vorrang der Vernunft und des Vernünftigen vor dem Zufälligen und Zwangsläufigen. "Diese Ganzheitlichkeit der Sicht ist Aufklärung im besten Sinne, weil sie vernünftig ist und vor allem ein Gebot wissenschaftlicher Redlichkeit."

Mixa fürchtet zudem Langzeitfolgen, sollte der Religionsunterricht vor allem in Ostdeutschland weiter nur ein Nischendasein führen. "Religiöses Unwissen führt zu einer gefährlichen Kulturlosigkeit und auch Hoffnungslosigkeit." Nach christlicher Überzeugung sei der Mensch ein von Gott gewolltes und geliebtes Wesen. "Das ist ein existentieller Unterschied zu einem bloßen Glied in einer zufällig ablaufenden biologischen Kettenreaktion."
[Quelle: Die Welt]

Unglaublich. Wie kann man Derartiges von sich geben, ohne dass einem das Gehirn aus den Ohren rausläuft? Der christliche Glaube als Bollwerk der Vernunft, Naturwissenschaft dagegen totalitär? Hallo? Und alle Atheisten sind kultur- und hoffnungslos. Genau. Glücklicherweise gibt es aber auch Kommentare wie diesen aus der Süddeutschen:

Dass es erkenntnistheoretisch Unfug ist, eine Theorie zu untermauern, indem man eine andere Theorie ablehnt, stört die Anti-Darwinisten nicht. Konstruktive Beweise für die eigene Schöpfer-These bleiben sie schuldig, und anstelle falsifizierbarer Daten präsentieren sie Behauptungen.

Bischof Mixas Vorwurf des "totalitären" Festhaltens an der Evolutionslehre ist deshalb so verwerflich, weil er insinuiert, wissenschaftliche Erkenntnisse seien ein persönliches Anliegen der beteiligten Forscher, also Ansichtssache. Das ist ein massiver Schlag gegen die Prinzipien der Aufklärung, auf denen die moderne Zivilisation basiert.

Die Durchbrüche in den Naturwissenschaften gelingen vor allem deshalb, weil Wissenschaftler ihre eigenen, menschlichen Meinungen, Sehnsüchte und Vorlieben der mühsamen Methodik des Erkenntnisprozesses unterordnen.

Dieser Ablauf wird von Neokreationisten pervertiert, indem das Ergebnis feststeht, bevor die Beweissuche begonnen hat. Unabhängig von der Darreichungsform ist Kreationismus nicht einmal schlechte Wissenschaft. Es ist gar keine Wissenschaft - und hat im Biologieunterricht nichts zu suchen.

[...]

Auch in seiner runderneuerten, wissenschaftlich anmutenden Ausprägung ist Kreationismus nur die kümmerliche Light-Version der christlichen Religionslehre. Warum sich Papst Benedikt XVI. dieser Strömung weniger explizit entgegenstellt als sein Vorgänger, bleibt offen.

Die modernen Kreationisten profitieren davon, dass sie eine Entweder-oder-Entscheidung konstruieren, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Um gläubige Menschen vor die Gewissensfrage zu stellen, wird die Evolutionsbiologie mutwillig mit dem üblen Beigeschmack der Gottlosigkeit verpestet.
[Quelle: Süddeutsche Zeitung]

Woher plötzlich der Unsinn mit "Glaube = Vernunft" kommt, hat Sparc von moleular B(io)LOG(y) auf Radio Vatikan entdeckt. Eine Ansprache des Papstes auf einer Tagung des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen zum Thema "Ein neuer Humanismus für Europa – die Rolle der Universitäten" enthielt unter anderem diesen interessanten Abschnitt:

A second issue involves the broadening of our understanding of rationality. A correct understanding of the challenges posed by contemporary culture, and the formulation of meaningful responses to those challenges, must take a critical approach towards narrow and ultimately irrational attempts to limit the scope of reason. The concept of reason needs instead to be “broadened” in order to be able to explore and embrace those aspects of reality which go beyond the purely empirical. This will allow for a more fruitful, complementary approach to the relationship between faith and reason.

[...]

In my recent visit to Brazil, I voiced my conviction that “unless we do know God in and with Christ, all of reality becomes an indecipherable enigma” (Address to Bishops of CELAM, 3). Knowledge can never be limited to the purely intellectual realm; it also includes a renewed ability to look at things in a way free of prejudices and preconceptions, and to allow ourselves to be “amazed” by reality, whose truth can be discovered by uniting understanding with love. Only the God who has a human face, revealed in Jesus Christ, can prevent us from truncating reality at the very moment when it demands ever new and more complex levels of understanding. The Church is conscious of her responsibility to offer this contribution to contemporary culture.

[...]

How urgent is the need to rediscover the unity of knowledge and to counter the tendency to fragmentation and lack of communicability that is all too often the case in our schools! [...]
[Quelle: Radio Vatikan]

Nachtigall, ick hör Dir trapsen. Wenn das mal nicht eine kleine "Kampfansage" in Richtung der Naturwissenschaften ist. Da ist doch alles drin: Das Verständnis von Rationalität/Vernunft erweitern, um die Aspekte der Wahrheit erfassen zu können, die sich empirischer Überprüfung entziehen - das ist doch eine Einladung an ID-Kreationismus.
Und das der Papst davon spricht, ohne vorgefasste Meinung oder Vorurteile auf die Dinge zu blicken, bringt mein Irony meter in den roten Bereich. Vor allem wenn der nächste Satz dies enthält: "Only the God [...] can prevent us from truncating reality at the very moment when it demands ever new and more complex levels of understanding." Das ist natürlich keine vorgefasste Meinung...

Vielleicht bin ich aber auch nur paranoid. Hoffentlich.

MfG,
JLT


* Ja, das ist der Mixa, der
[...] im Frühjahr für einen Sturm der Entrüstung gesorgt [hat], als er Familienministerin Ursula von der Leyen vorhielt, sie degradiere durch ihre Krippenpolitik Mütter zu "Gebährmaschinen". Die Forderungen der Ministerin, berufstätige Mütter stärker zu entlasten und ihnen den Berufseinstieg nach Babypause zu erleichtern, bezeichnete er als "inhuman" und erklärte, die Würde der Frau müsse stärker geschützt werden.
[Quelle: Die Welt]


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