Ich bin der festen Überzeugung, dass unsere menschlichen Gehirne in einer Weise von der Evolution "geformt" wurde, die uns für manche Konzepte anfällig macht und uns bei anderen an die Grenzen unserer Vorstellungskraft geraten lässt.
Um mal eine "just-so"-Geschichte zu erzählen:
In unserer evolutionären Vergangenheit war es sicher mal von Vorteil, wenn es im Busch raschelte oder wir (oder unsere Vorfahren) meinten, einen Schatten vorbeihuschen zu sehen, so zu reagieren, als wäre wirklich jemand/etwas hinter dem Busch oder wirklich etwas vorbeigehuscht. Lieber ein paar Mal umsonst geflüchtet, als einmal von dem Raubtier gefressen zu werden, das beim zehnten Mal dann doch tatsächlich durch die Gegend streift.
Wie sich unsere Bereitschaft, immer nach einem Verursacher, einem Grund oder einem Zweck zu suchen, auf diese oder ähnliche Art und Weise in unseren Genen festgeschrieben hat, kann ich mir gut vorstellen.
Die völlige Zufälligkeit vieler Ereignisse - ob das nun Unfälle, Naturkatastrophen, Krankheiten sind - ist uns unbehaglich, schließlich gibt es dann nichts, was uns davor bewahrt, auch Opfer solcher Ereignisse zu werden. Darum werden Opfer von Verbrechen schnell selbst zum Schuldigen gemacht, darum gibt es Geschichten, die Naturkatastrophen als die Rache einer Gottheit für die Sünden der Menschen "erklären". Dahinter steht meiner Meinung nach immer nur der eine Gedanke: Wenn ich mich auf eine bestimmte Weise verhalte, dann trifft es nicht mich.
Aber das wir überhaupt erst auf die Idee kommen, es müsse einen Grund, eine Ursache, einen Verursacher geben, ist meiner Meinung nach durch natürliche Selektion in unseren Genen festgeschrieben worden.
Nun kann das alles, wie ich eingangs geschrieben habe, natürlich auch völliger Unsinn sein. Aber auf der anderen Seite des Spektrums, bei den "Konzepten", die uns nur schwer vorstellbar sind, sehe ich eine gewisse Bestätigung für diese Hypothese. Unsere Vorstellungsfähigkeit sehr großer Entfernungen und sehr großer Zeiträume ist stark begrenzt und auch im sub-mikroskopischen Bereich haben wir große Schwierigkeiten, eine echte Vorstellung von dem zu entwickeln, was wir durch Forschung herausfinden.
Es ist - wenigstens für mich - nur sehr schwer vorstellbar, wie beispielsweise ein Hund die Welt mit seiner Nase "sieht", mit seinen 30 - 40 Mal mehr Riechzellen als der Mensch, oder wie die Fledermaus ihre Umgebung mittels Ultraschall wahrnimmt. Wie sieht eine Schlange die Welt, die Infrarot, also Wärmestrahlen wahrnehmen kann, oder eine Taube, die (angeblich) das Magnetfeld der Erde "sieht"?
Mir erscheint es offensichtlich, dass das menschliche Gehirn aufgrund seiner evolutionären Geschichte ein paar "Macken" hat, die uns in einige Fällen Erklärungen herbei beschwören lässt, uns aber mit anderen Phänomenen nahezu hilflos zurücklässt, weil diese außerhalb des Erfahrungsbereichs liegen, in dem das menschliche Gehirn evolvierte.
Eine nette "Bestätigung" dieses Gedankens fand ich heute in einem Artikel von Nature News, 'Physicists spooked by faster-than-light information transfer'. Ein nicht an der Studie beteiligter Forscher sagte das Folgende zu den Ergebnissen:The experiment shows that in quantum mechanics at least, some things transcend space-time, says Terence Rudolph, a theorist at Imperial College London. It also shows that humans have attached undue importance to the three dimensions of space and one of time we live in, he argues. “We think space and time are important because that’s the kind of monkeys we are.”
So, jetzt aber wieder zurück zu der Fakten-basierten Realität ;)
If you are baffled by the result, fear not — you’re not alone. “For me, honestly, it doesn’t make any sense,” says Gisin [einer der Autoren der Studie]. “I don’t think we can today claim that we have a good story to tell how this all happens.”
MfG,
JLT
6 Kommentare:
Ich bin auch der Meinung, dass wir unglaubliche Kausalfetischisten sind, d.h. irgendetwas ergibt für uns erst dann Sinn, wenn wir uns Ursache und Wirkung "erklärt" haben (und sei die Erklärung auch noch so schwachsinnig - s.z.B. Homöopathie u.ä.).
Das Dumme ist nur, dass diese Geschichte im normalen Leben sehr gut funktioniert, haben wir doch evolutionstechnisch gesehen alle Werkzeuge (z.B. selektive Wahrnehmung) mitbekommen, dass es funktioniert. Und hier liegt imho auch der Hund begraben, warum sich wissenschaftliche Erkenntnisse so schwer gegen den "common sense" durchsetzen können. Wissenschaft wird für das "normale Leben" scheinbar nicht benötigt, niemand hat ein Cyclotron zu Hause oder ein Spektrometer. Dass aber viele Alltagsgegenstände (z.B. TV, Mikrowelle) ohne wissenschaftliche Vorarbeit nicht dort stünden, wo sie jetzt stehen, wird dabei komplett ausgeblendet.
Und zu guter letzt: am allerbesten gefallen mir immer diejenigen Mitmenschen, die mit steter Regelmäßigkeit ein "Mehr" in diesem Universum anrufen, mit Sprüchen wie "wir wissen ja noch nicht alles, es gibt noch so viel mehr" oder "man hat noch nicht alle Energien entdeckt (v.a. nicht die, die ich für meinen Handauflege-Krams benutze)". Imho ist das einzig und allein dem von Dir geschilderten Fakt geschuldet, dass wir mit diesem unbestimmten "mehr" wieder eine scheinbare Kontrolle über das Zufällige erhalten. Wir sind halt grenzenlose Anthropozentriker... ;-)
Hallo JLT, manche Überlegungen "liegen so sehr in der Luft" (Zeitgeist?), dass sie dann relativ gleichzeitig an vielen Stellen auftauchen. Die Notiz zum Mesokosmos meint sicherlich ähnliches wie Du hier. Kennst Du die Sachbücher von Terry Pratchett? Die sind einfach nur schön und wirklich lesenswert. Daran hat auch Jack Cohan mitgeschrieben. In der 2. Auflage bei Piper geht es besonders im 16. Kapitel "offensichtliche Bestimmung" um solche Sachen, die Du hier ansprichst. (S. 285: "Den Affen im Nachbarbaum anzuschreien. Das ist es, wofür sich Gehirne entwickelt haben. Nicht für Mathematik und Physik.")
Beste Grüße -- derBright
@ Po8:
Meiner Meinung nach ist die Suche nach einer Ursache hinter allem und der Wunsch, Kontrolle zu haben, nicht ganz das Gleiche, wenn auch beides eng miteinander zusammenhängt (wenn es keine Ursache gibt, können wir auch keine Kontrolle über die Ursache ausüben). Was Alternativ-"Medizin" angeht, spielt glaube ich tatsächlich nur der Teil mit der Kontrolle eine Rolle.
Ich habe neulich über die Idee gelesen, dass Verschwörungstheorien ein Mittel für Menschen sind, wieder das Gefühl zu bekommen, Kontrolle über ihr Leben zu haben. Wer sich beispielsweise machtlos den Entscheidungen einer Regierung ausgeliefert sieht, der erhält "Macht" zurück, in dem er vorgibt, er hätte sie "enttarnt", die Verschwörung entdeckt. Er kann etwas gegen die "Verschwörer" unternehmen, in dem er die "Wahrheit" verbreitet.
Meiner Meinung nach trifft das auch auf Leute zu, die Verschwörungen von "Big Pharma" oder "Den Wissenschaftlern" wittern. Es wird von allen möglichen schwerwiegenden Krankheiten in den Medien berichtet, bei denen der Einzelne nicht beeinflussen kann, ob er sie bekommt oder nicht und ob er sie überlebt oder nicht. Sich daran zu klammern, es gäbe "den" Nahrungszusatz, "die" Verhaltensweise, der oder die einen zuverlässig schützt, oder sich einzubilden, wenn einem die "konventionelle" Medizin nicht mehr weiterhelfen kann, gäbe es noch andere Möglichkeiten einer Heilung, gibt den Menschen ein Gefühl der Kontrolle zurück.
Wenn Wissenschaftler und Ärzte verkünden, dass all das Mumpitz ist und sie selbst keinen Einfluss auf das Ergebnis haben, dann müssen "die" eben lügen.
Das in vielen Fällen der Zufall bestimmt, ob man eine schwere Krankheit bekommt und Ärzte, Wissenschaft und Zufall bestimmen, ob man sie überlebt, ist einfach ein unangenehmer Gedanke.
Mal ganz abgesehen davon, dass manche Behandlungsmethoden schwerer Krankheiten, selbst wenn sie einem vor dem Tod bewahren, ziemlich rabiat sein können - da ist eine Heilung durch Handauflegen natürlich die ansprechender klingende Variante.
Die Übergänge sind aber fließend. Wenn man als Ursache von Krankheiten irgendeine Art von Fehlverhalten postuliere, die von einem "Gott" mit der Krankheit bestraft wird, dann erhält man natürlich auch wieder Kontrolle zurück; wenn ich den und den Verhaltensweisen folge, dann wird mich nichts Schlimmes treffen.
"Gott" als das ultimative kosmische Woo. ;)
@ DerBright:
Ich denke, es wird einfach immer offensichtlicher, dass unser Gehirn nicht "geschaffen" ist, um den Kosmos zu verstehen. Wir treffen in immer mehr Bereichen auf Dinge, die uns an die Grenzen unserer Vorstellungskraft stoßen lassen, nicht nur mit Quantenphysik, sondern auch, wenn es beispielsweise "nur" darum geht, uns die Funktionsweise einer Zelle vorzustellen. Es ist eben nicht so einfach, wie es dargestellt wird, ein "Schalter" wird umgelegt und dann passiert etwas. Die "Organisation" ist in Wirklichkeit viel, viel "unordentlicher". Die Vorstellung der Zelle als einer Maschine oder der DNA als einer Art Code ist meilenweit von der Realität entfernt, aber die ist eben schwerer vorstellbar.
Von daher bin ich mir nicht sicher, ob man wirklich von "Zeitgeist" sprechen kann, oder ob es nur die aufkommende Erkenntnis ist, dass manches einfach unseren Horizont übersteigt - wenn noch vor ein paar Zehntausend Jahren verschiedene Betonungen von Ugh (um mal bei Pratchett zu beleiben) die gesamte Bandbreite unserer verbalen Kommunikationsfähigkeit ausmachte, ist das mMn eine viel naheliegendere Erklärung dafür als die Vorstellung, jemand habe uns mit einem Gehirn ausgestattet, das nicht in der Lage ist, die Welt zu verstehen, die angeblich für uns geschaffen wurde. ;)
Wie es sich manchmal trifft. Ich bin offenbar doch nur ein Opfer des Zeitgeists...
Aus einem Artikel in der Zeit ['Der sanfte Atheist']:
Da wäre zum Beispiel die Fähigkeit zum kausalen Denken: Selbst im größten Chaos sucht der Mensch nach einer Ursache oder einem tiefer liegenden Ordnungsprinzip. Für Homo sapiens war diese Begabung enorm hilfreich, denn sie hat ihn zur Entwicklung von Philosophie, Technik und Wissenschaft befähigt. Zugleich ist diese Neigung derart stark, dass uns die Annahme, etwas geschehe »einfach so«, ohne besonderen Grund, zutiefst widerstrebt. Das gilt für die Komplexität der Natur (»wo es eine Schöpfung gibt, muss es auch einen Schöpfer geben«) ebenso wie für unser eigenes Leben. »Wenn uns ein Schicksalsschlag ereilt, fragen wir stets: Warum ich? Warum jetzt?«, sagt Boyer, »auch wenn wir genau wissen, dass Ähnliches fast allen Menschen irgendwann einmal widerfährt.«
Ach,
so schlecht ist es um unser Gehirn auch nicht bestellt. Oder kennt jemand was besseres? ;-P
Ich finde unsere Fähigkeit zu Kunst (insbesondere Musik) oder auch Mathematik schon faszinierend.
Insbesondere Mathematik gibt uns nun ja die Fähigkeit mit Objekten zu denken die wir uns nicht mehr vorstellen können. Allein schon, dass unser Gehirn eine solche Fähigkeit entwickelt hat ist faszinierend.
Auch wenn uns z.B.: Quantenmechanik merkwürdig erscheint, ich sehe nicht warum wir sie nicht immer besser verstehen sollten.
herzliche Grüße,
Eike
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