17 April 2007

Bullshit bleibt Bullshit.

Kürzlich erschien ein Artikel in Science, der für einige Aufmerksamkeit gesorgt hat: 'Framing Science' von Matthew Nisbet and Chris Mooney [Volltext: über den Blog von Nisbet, Link in der linken Spalte]. Die Kernaussage ist, dass Wissenschaftler, um die Öffentlichkeit für ein (komplexes) Thema zu interessieren, Teilbereiche mit Relevanz für den Einzelnen herausgreifen und nicht zu sehr auf "technische Einzelheiten" eingehen sollten.
Without misrepresenting scientific information on highly contested issues, scientists must learn to actively "frame" information to make it relevant to different audiences.
Und was soll "framing" sein?
Frames organize central ideas, defining a controversy to resonate with core values and assumptions. Frames pare down complex issues by giving some aspects greater emphasis. They allow citizens to rapidly identify why an issue matters, who might be responsible, and what should be done.
Die Autoren geben drei Beispiele, die globale Erwärmung, die Evolutionstheorie und die Forschung an embryonalen Stammzellen.

An ihrem ersten Beipiel wird meiner Meinung nach höchstens deutlich, dass sie im Grunde mit den Falschen sprechen. Obwohl es von einem wissenschaftlichen Standpunkt als sehr wahrscheinlich gilt, dass die globale Erwärmung durch von Menschen freigesetzten Treibhausgasen verursacht wird, zeigen Umfragen, dass nicht alle Teile der Öffentlichkeit gleichermaßen davon überzeugt sind.
So if science alone drove public responses, we would expect increasing public confidence in the validity of the science, and decreasing political gridlock.
Despite recent media attention, however, many surveys show major partisan differences on the issue. A Pew survey conducted in January found that 23% of college-educated Republicans think global warming is attributable to human activity, compared with 75% of Democrats. [...]

Much of this reflects the efforts of political operatives and some Republican leaders who have emphasized the frames of either "scientific uncertainty" or "unfair economic burden".
Die Autoren schreiben doch selbst, wer dafür verantwortlich ist. Es sind Politiker, die trotz wissenschaftlicher Fakten das Gegenteil behaupten. Was sollten Wissenschaftler dagegen tun?

Wissenschaftler liefern die Fakten und ihre Folgerungen. Politiker sind dafür verantwortlich, ihren Wählern sich daraus ergebende notwendige Maßnahmen schmackhaft zu machen. Wenn einzelne Politiker oder Parteien es mit Blick auf ihre Wiederwahl vorziehen, ihre Wähler (von einem Teil der Medien unterstützt) zu belügen, damit sie keine unpopulären Maßnahmen ergreifen müssen, dann ist das skandalös und äußerst beklagenswert, aber kein Fehler von Wissenschaftlern.

Was anderes können Wissenschaftler tun, als die Fakten zu wiederholen und Behauptungen des Gegenteils als das zu bezeichnen, was sie sind: Lügen. In gewisser Weise ist das auch schon in der Darstellung der Autoren von "gutem Framing" (was für ein furchtbarer Begriff) enthalten:
The business pages tout the economic opportunities from developing innovative technologies for climate change. Complaints about the Bush Administration's interference with communication of climate science have led to a "public accountability" frame that has helped move the issue away from uncertainty to political wrongdoing.
Interessanterweise ist das letztere aber nicht erlaubt, wenn es um die Verteidigung der Evolutionstheorie gegen pseudowissenschaftliches Wischi-Waschi wie ID geht. Obwohl die Autoren selbst feststellen, dass widerum der Unsinn von "scientific uncertainty" ins Feld gebracht wird,
Yet as a debate over "intelligent design" was launched, antievolutionists promoted "scientific uncertainty" and "teach-the-controversy" frames, which scientists countered with science-intensive responses.
ist in diesem Fall kein Hinweis auf "wrongdoing" erlaubt.
[M]any scientists not only fail to think strategically about how to communicate on evolution, but belittle and insult others' religious beliefs.
Pardon? "Belittle and insult others' religious beliefs"? ID ist Pseudowissenschaft. Die wortgetreue Auslegung der Genesis widerspricht wissenschaftlichen Fakten. Die Erde ist älter als 6000 Jahre. Dies festzustellen, wird natürlich die religiösen Gefühle mancher Menschen verletzten. Tja, sorry. ABER ES IST NUN MAL SO.

Was sollen Wissenschaftler aber nach Meinung der Autoren stattdessen machen?
Instead, frames of "public accountability" that focus on the misuse of tax dollars, "economic development" that highlight the negative repercussions for communities embroiled in evolution battles, and "social progress" that define evolution as a building block for medical advances, are likely to engage broader support.
Wissenschaftler sollen also verschweigen, dass die Fakten vielen Glaubensaussagen widersprechen und stattdessen über die negativen Auswirkungen der ID-Debatte auf die ökonomische Entwicklung schwafeln? Im Grunde hieße das, sie dürften die Fakten gar nicht mehr erwähnen, schließlich wird auch ohne gesonderten Hinweis jedem auffallen, dass 4,55 Millarden Jahre nicht gleich 6000 Jahre sind, mal so als Beispiel.

Soll ich demnächst jemanden sagen, der an die heilende Wirkung von Handauflegen glaubt, dass er ja möglicherweise damit recht hat, aber weil die Krankenkasse dafür nicht zahlt, sollte er lieber doch zu einem Kassenarzt gehen, damit sein Krankenkassenbeitrag nicht vergeudet ist? Damit ich seine oder ihre Gefühle nicht verletze?

Richtig absurd wird's dann mit dem letzten Beispiel, der embryonalen Stammzell-Forschung, wo die Autoren selbst zugeben, dass auch MIT positivem "Framing" nichts erreicht werden kann, wenn die Fakten den Leuten aufgrund ihrer Religion nicht gefallen.
Ideology and religion can screen out even dominant positive narratives about science, and reaching some segments of the public will remain a challenge.
GENAU! Diese Leute überzeugt man nicht, indem man Bullshit nicht mehr Bullshit nennt und alles in Seidenpapier wickelt, mit Schleifchen obendrauf. Diese Leute überzeugt man gar nicht.
Some readers may consider our proposals too Orwellian, preferring to safely stick to the facts. Yet scientists must realize that facts will be repeatedly misapplied and twisted in direct proportion to their relevance to the political debate and decision-making. In short, as unnatural as it might feel, in many cases, scientists should strategically avoid emphasizing the technical details of science when trying to defend it.
Wissenschaftler sollen die Fakten weglassen, wenn sie über Wissenschaft reden? Das hört sich für mich nicht nach Orwell an, sondern nach Bozo, dem Clown.

Für weitere Meinungen zu diesem Artikel: Larry Morgan [Sandwalk], PZ Myers [Pharyngula], Coturnix [A Blog Around the Clock], Carl Zimmer [The Loom], Mike Dunford [A Questionable Authority] u. a.

Die Geschichte ist hiermit noch nicht zu Ende, aber ICH mache erstmal Schluss...

MfG,
JLT

1 Kommentare:

Spokesthingy said...

Wie Sie es gesagt haben:
Bullshit bleibt bullshit! aber da muss man auch zusetzen: Wenn bullshit von Experten produziert wird ist es Ueberbullshit!

Or in English:

Bullshit remains bullshit
unless it is produced by experts when it becomes ueberbullshit!
see http://bullshitcitynorth.blogspot.com