3 April 2007

Natürliche Selektion, zweifellos.

Wie bekämpft man Malaria und andere Krankheiten, die von Insekten übertragen werden?

Eine Möglichkeit wäre, die Insekten selbst gegen die Krankheit zu "immunisieren". So hat man durch Einbau bestimmter Gene schon Mosquitos gezüchtet, die kein Dengue-Fieber mehr übertragen können, eine Virus-Erkrankung, die besonders bei Kleinkindern häufig tödlich verläuft. Eine Malaria-resistente Version von Anopheles gambiae, der Mosquito-Art, die durch die Übertragung von Malaria geschätzt bis zu 1 Mio. Tode jährlich verursacht, ist derzeit "in Arbeit".

Das ist natürlich alles wunderbar, aber man kann ja schlecht alle Mücken dieser Welt einfangen und ihnen die entsprechenden Gene einbauen. Man müsste eine Unmenge von gentechnisch veränderten Insekten freisetzen, um auch nur eine geringe Wahrscheinlichkeit zu haben, dass sich die entsprechenden Gene in der gesamten Insekten-Population verbreiten, und ohne (wirklichen) Selektionsvorteil der gentechnisch veränderten Mücken besteht wenig Hoffnung, dass diese neuen Gene in der entsprechenden Population fixiert werden. D. h. ein wirklicher Nutzen wären diese krankheitsresistenten Mücken nur, wenn sie die natürlich vorkommende Population ersetzten.
Yet one big question remains: Nobody quite knows how to give an introduced resistance gene an evolutionary leg up so that it becomes widespread. Natural selection alone probably won't do it. It's true that having a virus or parasite reproducing in its body does reduce a mosquito's fitness, and a lab study published in the Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) last week showed that malaria-resistant mosquitoes beat out their nonresistant rivals in the struggle for survival--if both were feeding on malaria-infected mice. In real life, however, only a small proportion of mosquito hosts are infected, says Rasgon, one of the PNAS paper's authors, so resistance doesn't offer a big enough benefit to make it race through a population. Some sort of active "driver" is needed.
[Quelle: Science News of the Week]

Jetzt haben Wissenschaftler eine Möglichkeit gefunden, wie man genau das, die Ersetzung der natürlichen Population durch die gentechnisch veränderten, krankheitsresistenten Mücken, erreichen könnte.

Schon 1992 wurde ein bizarres Genelement in einem Käfer namens Tribolium castaneum beschrieben. Die lebensfähigen Nachkommen der Weibchen dieser Art, selbst wenn sie nur eine einzelne Kopie dieses Gens besaßen, hatten alle ebenfalls dieses Gen (treffend Medea genannt), Nachwuchs ohne dieses Genelement starb einfach. Dadurch verbreitet sich dieses Genelement rasend schnell in betroffenen Populationen.
Researchers have proposed that Medea produces a toxin during egg development, just before meiosis ["Reifeteilung" zur Produktion von Geschlechtszellen; während bei einer normalen Zellteilung (Mitose) erst das gesamte Genom verdoppelt wird und dann je ein doppelter Chromosomensatz auf die beiden Tochterzellen verteilt wird, findet bei einer Meiose keine Verdoppelung statt und nur je ein einfacher (haploider) Chromosomensatz wird an die Tochterzellen (Eizellen oder Samenzellen) weitergegeben. Dadurch wird erreicht, dass eine befruchtete Eizelle nach Verschmelzung mit dem Samen wieder den normalen doppelten Chromosomensatz enthält.]. That way, even if female beetles have only one copy of the element, the toxin ends up in all of their egg cells. After fertilization, the toxin kills the zygote--unless it has inherited the Medea element from either its mother or father. In that case, Medea produces a special antidote just in time to neutralize the toxin.
[Quelle: Science News of the Week]

Das alles ist nur eine Hypothese und an dem genauen Mechanismus wird noch geforscht. Aber zwei Wissenschaftler haben sich davon inspirieren lassen und versucht, ihr eigenes "selfish" Genelement zu entwickeln, zunächst erstmal in Drosophila (Fruchtfliege).

[Bildquelle]

But making the insects produce exactly the right amount of toxin proved difficult. The team was luckier after it realized that the "toxin" didn't need to be a protein at all: It could also be the absence of one. They produced flies whose egg cells contain microRNAs* that silence a gene called Myd88 , whose protein product is crucial to pattern formation in the early embryo. Embryos resulting from these egg cells died. But if the embryos carried the team's Medea element, the "antidote"--in the form of an extra copy of the Myd88 gene, switched on after fertilization--came to the rescue, and development was normal.
[Quelle: Science News of the Week]

Clevere Idee. Die Forscher integrierten zwei neue, aneinander gekoppelte Gene in die Fruchtfliegen. Das Produkt des ersten Genes (microRNA) ist in allen Zellen vorhanden und gelangt so auch in die Eizellen, selbst wenn diese das Gen nicht enthalten sollten. Nach der Befruchtung der Eizelle wird normalerweise ein Protein produziert (Myd88), das eine wichtige Funktion bei der Embryonalentwicklung hat. Diese Produktion wird durch die microRNA verhindert. Gekoppelt an das microRNA-Gen wird aber noch ein zweites Gen eingebaut, eine zusätzliche Kopie des Myd88-Gens. Bei Vorhandensein dieses Gens wird nach der Befruchtung soviel der Myd88-mRNA produziert, dass trotz der microRNA noch genügend des Proteins produziert werden kann, um eine normale Embryonalentwicklung zuzulassen. Aber wie gesagt, nicht alle Eizellen erhalten tatsächlich auch die beiden Gene, manche enthalten nur die microRNA, die schon vor der Meiose entstanden ist. Diese Embryonen sterben ab, da das "rettende" zweite Gen nicht vorliegt.

Und das beste am Ganzen, es klappt. Wenn die Medea-Fliegen (mit beiden Genen) mit ihren Wildtyp-Kumpels zusammen in einen Kasten gesteckt wurden, gab es nach 10 Generationen oder weniger nur noch Medea-Fliegen, die die beiden Transgene enthielten. Wollte man also dafür sorgen, dass ein Resistenzgen gegen eine von Mücken übertragbare Krankheit in der gesamten Mückenpopulation verbreitet wird, müsste man "nur" das entsprechende Resistenzgen zwischen die beiden Gene packen und genügend dieser Mücken freisetzen.

So, möglicherweise fragt sich jetzt der geneigte Leser, warum zum Geier ich das hier alles erzähle und mit (unvermeidlichen, ehrlich!) Fachbegriffen um mich schmeiße. Die Geschichte mag zwar interessant sein, aber das Hauptthema dieses Blogs soll doch Evolution sein, warum also das Ganze?

Nur zwei Gründe. Erstens, ich als Biologin finde sowas nun mal nicht nur interessant, sondern ziemlich spannend und darüber hinaus ist mir klar, was für eine Schweinearbeit das gewesen sein muss. Beeindruckend. Und da dies hier mein Blog ist, schreibe ich über was ich will. So.

Zweitens zeigt diese Geschichte besonders schön, dass Evolution und Evolutionstheorie tatsächlich integraler und verbindender Bestandteil der Biologie ist.
Natürlich ist in diesem Beispiel der Selektionsvorteil ein künstlich eingebrachter, aber eine zufällig entstandene Krankheitsresistenz würde sich genauso schnell in einer Population durchsetzen. Wer nach diesem Beispiel Evolution immer noch als zufällige, ungerichtete Entwicklung bezeichnet, der will ganz einfach sein Gehirn nicht einschalten. Mutationen, Gendrift, sexuelle Rekombination sind alles zufällige Elemente, aber natürliche Selektion ist eine richtende Kraft. Und je größer der Selektionsvorteil unter den gegebenen Umweltbedingungen, um so schneller wird sich die entsprechende Variation in der Population durchsetzen. Dies wurde auch in dieser Untersuchung wieder gezeigt, ganz nebenbei, das Prinzip wird sich einfach zunutze gemacht.

Auch ich muss in meiner täglichen Arbeit den Einfluss natürlicher Selektion berücksichtigen. Ich arbeite mit sogenannten primären Zellen (mesenchymalen Stammzellen). Diese kann ich nur eine relativ kurze Zeit nutzen, d. h. ich kann sie nicht endlos und über Wochen hinweg sich vermehren lassen (wie es mit Zelllinien möglich ist), sondern ich muss immer wieder frische nehmen. Warum? Sie sterben nicht etwa ab, sondern die Zellpopulation, die ich immer weiter kultiviere, verändert sich.
Auch in der Zellkultur treten natürlich bei einzelnen Zellen Mutationen auf, die dazu führen, dass sich diese unter den gegebenen Bedingungen besonders schnell teilen können, schneller als der Rest. Mit der Zeit werden diese Zellen in der Population immer häufiger. Doch diese Zellen müssen nicht unbedingt auch die gleichen Eigenschaften haben wie die "richtigen" Zellen. D. h. Ergebnisse, die ich mit diesen Zellen nach wochenlanger Kultur erhalten würde, könnte ich nicht so ohne weiteres auf die Verhältnisse im Menschen oder Tier übertragen. Weil auch in der Zellkultur Evolution stattfindet, muss ich alle paar Vermehrungszyklen wieder neue Zellen nehmen.

Einen wie auch immer gearteten Designer habe ich leider aber noch nie im Brutschrank herumlungern sehen...

MfG,

JLT



Chen et al., A Synthetic Maternal-Effect Selfish Genetic Element Drives Population Replacement in Drosophila. Science. Published Online March 29, 2007

* Wenn Protein-codierende DNA abgelesen wird, wird zunächst eine Kopie der DNA in RNA, sogenannte Boten- oder messengerRNA(mRNA) angefertigt. Nur diese mRNA verläßt den Zellkern und wird dann in Aminosäuren "übersetzt". Wenn sich an einen solchen mRNA-Strang dazu komplementäre microRNA anlagert (da die einzelnen Basen der RNA [A-U; G-C] nur jeweils an eine einzige andere binden können, kann eine Sequenz eine andere genau "spiegeln", also immer die entsprechenden bindenden Basen enthalten), initiiert das den Abbau dieses mRNA-Strangs durch einen als RISC bezeichneten Komplex, d. h. das entsprechende Protein wird nicht gebildet. Diesen Vorgang bezeichnet man als "Silencing", es ist ein normaler Mechanismus in Zellen zur Regulation der Protein-"Produktion". Man kann sich diesen RISC-Komplex aber auch zunutze machen, in dem man ein künstliches microRNA-Gen in Zellen "einschmuggelt", das komplementär zu der mRNA des Proteins ist, das man ausschalten will. Die künstliche microRNA lagert sich an die mRNA an, die mRNA wird zerstückelt, das Protein wird nicht produziert. Eine sehr elegante Methode, leider nicht ganz so einfach durchzuführen wie es sich hier möglicherweise anhört...

4 Kommentare:

Anonymous said...

Immer wieder lustig zu sehen. So kleine Mutationen veranlassen euch direkt zu sagen, dass aus einer Fliege ein Elefant werden kann.(was n Witz ;) )

Oder willst du auch behaupten, dass jeder Gegenstand auf die Erde fällt?

JLT said...

Du nicht?

Im übrigen würde ich Dir empfehlen, die Posts auch zu lesen, bevor Du kommentierst. Die (eigentlich triviale) Aussage dieses Posts ist, dass Biologen aller Fachrichtungen (Aspekte der) Evolution/Evolutionstheorie tagtäglich in ihre Arbeit einbeziehen und einbeziehen müssen, um sinnvolle Ergebnisse zu erzielen.
Wäre die Evolutionstheorie so grottenfalsch wie Du das auch gerade wieder mit Deinem lächerlichen Strohmann-Argument suggerieren wolltest, wäre das wohl kaum so.

MfG,
JLT

Mike said...

Interessanter Post! Das veranlasst mich doch gleich mal den Artikel zu lesen.

Mit welchem Modelorganismus arbeitest du denn, Mäusen?

JLT said...

Danke!

Ich arbeite (hauptsächlich) mit Ratten.