28 June 2008

Der Ursprung der landlebenden Wirbeltiere: Ventastega.

Der Übergang der Wirbeltiere von einer aquatischen Lebensweise zum Leben an Land am Ende des Devons (vor etwa 385 - 360 Mio. J.) ist mittlerweile sehr gut durch Fossilfunde belegt. Die wohl spektakulärsten Funde der letzten 30 Jahre waren die Entdeckung eines nahezu vollständig erhaltenen Fossils von Acanthostega 1987 durch Jennifer Clack (auch wenn dieser Genus durch Schädelfragmente schon vorher bekannt war) und die Entdeckung von Tiktaalik durch Ted Daeschler und Neil Shubin 2004 (für Literaturreferenzen siehe: 'Übergangsformen: Zu Lande, zu Wasser und in der Luft').

Tiktaalik vereint die Merkmale von Fleischflossern mit denen von Tetrapoden. Wie ein Fisch hatte Tiktaalik z. B. Schuppen und Flossenstrahlen, aber andere Merkmale ähneln denen landlebender Wirbeltiere, wie der flache Schädel, der"Hals" (die in der Abbildung in Blau dargestellten knochigen Kiemenplatten der früheren Formen fehlen und erlaubten eine seitliche Bewegung des Kopfes) und Schultergürtel. Die Flosse enthält zwei Knochen, die dem Ober- und Unterarm heutiger Wirbeltiere entsprechen und auch ein "Handgelenk". Tiktaalik lebte wahrscheinlich im seichten Gewässer von Uferregionen und konnte seine Flossen vermutlich zu nicht viel mehr als "Push ups" verwenden.

Auch Acanthostega hatte wohl eine rein aquatische Lebensweise, war aber schon ein echter Tetrapod, wenn auch mit vielen Fisch-ähnlichen Eigenschaften (einen ausführlichen und sehr interessanten Bericht über Acanthostega und den Übergang an Land gibt's bei Scientific America: 'Getting a leg up on land' von Jennifer Clack).

Ein weiteres Tier, das im späten Devon lebte und den Übergang von wasser- zu landlebenden Formen illustriert, beschreibt Per Ahlberg, eine schwedischer Paläontologe, in der neuesten Ausgabe von Nature: Ventastega [Link zu allen Abbildungen].

Per E. Ahlberg, Jennifer A. Clack, et al. (2008). Ventastega curonica and the origin of tetrapod morphology. Nature 453, 1199-1204.

Ventostega ist ein noch ursprünglicherer Tetrapode als Acanthostega, der in vielen anatomischen Merkmalen genau zwischen Tiktaalik und Acanthostega liegt. Das Abstract:

The gap in our understanding of the evolutionary transition from fish to tetrapod is beginning to close thanks to the discovery of new intermediate forms such as Tiktaalik roseae. Here we narrow it further by presenting the skull, exceptionally preserved braincase, shoulder girdle and partial pelvis of Ventastega curonica from the Late Devonian of Latvia, a transitional intermediate form between the 'elpistostegids' Panderichthys and Tiktaalik and the Devonian tetrapods (limbed vertebrates) Acanthostega and Ichthyostega. Ventastega is the most primitive Devonian tetrapod represented by extensive remains, and casts light on a part of the phylogeny otherwise only represented by fragmentary taxa: it illuminates the origin of principal tetrapod structures and the extent of morphological diversity among the transitional forms.
Auch Ventastega lebte in flachen Ufergewässern. Die Abwesenheit von Seitenlinien auf der Oberfläche des Schädels (das Seitenlinienorgan bei Fischen ist eine Art "Bewegungsmelder", der unter Wasser Druckwellen wahrnehmen kann, aber an der Luft nicht funktioniert) und die an der Oberseite des flachen Schädels lokalisierten Augen deuten darauf hin, dass Ventastega, ähnlich wie heutige Krokodile, mit halb aus dem Wasser ragendem Kopf seine Zeit verbrachte (für mehr Einzelheiten kann man sich diesen Thread auf Talk Rational durchlesen, wo Per Ahlberg selbst Fragen zu seinem Artikel, zu Ventastega und zu Methoden, die zur Analyse eingesetzt wurden, beantwortet. Hochinteressant!).

Das Schlusswort des Artikels ist ein schöner Kommentar zu Übergangsformen:
Because of its phylogenetic position and character complement it is tempting to interpret Ventastega as a straightforward evolutionary intermediate, which represents with reasonable accuracy the character complement of the tetrapod stem lineage at a point on the internode between Tiktaalik and Acanthostega. However, this simple picture should be approached with a degree of caution. ANSP 21350 and Elginerpeton in particular [...] show character combinations that are substantively different from those of Ventastega and Acanthostega without being obviously autapomorphic, and both probably occupy deep positions in the phylogeny. At a minimum this demonstrates the presence of considerable morphological diversification among the earliest tetrapods. More importantly, however, the discovery of articulated material of these or similar forms could have a substantial impact on the tree topology. Ventastega, like Tiktaalik, conforms remarkably well to prior expectations of what a transitional form at that particular point in the phylogeny should be like; whether the same will be true of future discoveries remains to be seen.
Obwohl Ventastega alle Eigenschaften hat, die man von einer "echten" Übergangsform erwarten würde, kann man nicht wissen, ob Ventastega tatsächlich ein direkter Vorfahre heute lebender Tetrapoden ist oder "nur" gemeinsame Vorfahren mit diesen hat.
Aber mit jedem weiteren Fund erweitert sich unser Wissen darüber, wie der Übergang abgelaufen sein muss und die tatsächliche Abstammungslinie aussieht.

Mehr zu diesem Fund bei Talk Rational und Pharyngula.

MfG,
JLT



german.researchblogging.orgPer E. Ahlberg, Jennifer A. Clack, et al. (2008). Ventastega curonica and the origin of tetrapod morphology. Nature 453, 1199-1204.

3 Kommentare:

Anonymous said...

Cooles Paper. Das Vieh stützt offenbar auch die Vorstellung, die man sich von der Entstehung der Beine macht: Irgendwo im Wasser hocken und nur die Augen über der Oberfläche, wie Krokodile.
Die Verteilung des Seitenlinienorgans am Schädel passt jedenfalls zu so einer Lebensweise.

JLT said...

@ Fischer:
"Das Vieh stützt offenbar auch die Vorstellung, die man sich von der Entstehung der Beine macht: Irgendwo im Wasser hocken und nur die Augen über der Oberfläche, wie Krokodile."

Jennifer Clack geht in ihrem Artikel in SciAm ausführlich darauf ein, wie sich die Vorstellungen dazu entwickelt haben. Sehr lesenswert.

Ich find's ziemlich cool, dass mittlerweile so viele Fossile aus der Übergangszeit gefunden wurden und es wird ja auch weiter gezielt gesucht. Viele denken vielleicht, man stolpert zufällig über Fossile, aber tatsächlich wird ja generalstabsmäßig geplant, wo man suchen geht: Gestein aus der richtigen Zeit, der richtigen "Gegend" und an der Oberfläche, das Gebiet darf nicht überbaut sein etc...
Da alle diese Übergangsformen (in dem Sinne, dass sie Merkmale haben, die zeigen, wie der Übergang von rein aquatischen zu landlebenden Formen ausgesehen haben muss) in flachen Ufergewässern gelebt haben, wo die Bedingungen zu einer Fossilierung besonders gut sind, werden sicher über die nächsten Jahre noch einige solcher Funde gemacht werden (wobei Ventastega ja schon länger bekannt ist).

Da fällt mir ein, eins habe ich in dem Post noch zu erwähnen vergessen:

Hey, Kreationisten, keine Übergangsformen, was?
Nä nä nä nääääh nä.

*kicher*

MfG,
JLT

Anonymous said...

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