17 March 2008

Ich mische mich ein.

Kamenin hat sich in einer dreiteilige Besprechung (Einleitung, Teil 1, Teil 2) eines Artikels von Thomas Schärtl ('Neuer Atheismus: Zwischen Argument, Anklage und Anmaßung' [.pdf]) in Stimmen der Zeit: Die Zeitschrift für christliche Kultur gewidmet. Sehr lesenswert.

Jetzt hat sich in einem der Kommentare auch Herr Schärtl selbst zu Wort gemeldet.

Darin beschwert Herr Schärtl sich darüber, dass Kamenin den Gottesbegriff des Herrn Schärtls als irrelevant für das abtut, was die Gläubigen tatsächlich glauben, wenn sie nicht gerade hochtheologische Artikel schreiben.
Drum habe ich mich mal daran gemacht, das Gottesbild des Herrn Schärtl, wie es sich in dem Artikel darstellt (insbesondere im Abschnitt 'Die theologische Aufgabenstellung' ab S. 156), zu untersuchen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass er seine Auffassung vornehmlich dem entgegesetzt, was Dawkins und andere an Religion kritisieren, weshalb es wohl nicht sein vollständiges Gottesbild wiedergibt.

Schärtl fragt sich (S. 156), ob ein Atheismus à la Dawkins

"nicht in Teilen ein Resultat der Tatsache sei, dass sich der "personale Gott" in einer Krise befindet, dass Gott viel zu leichtfertig personale Attribute zugeschrieben werden, daß er zum Sachwalter fragwürdiger Sexualtabus oder einer sehr bürgerlichen, spießigen und verklemmten viktorianischen Sexualmoral gemacht wurde, daß der Name Gottes mißbraucht wurde, um Gebiete zu annektieren, Kulturen zu erodieren, Rassen zu diskriminieren?"
Weiter unten auf der gleichen Seite fügt er hinzu:
"Wir sollten weitaus wachsamer sein, wann immer wir dazu neigen, Gott allzu menschliche Prädikate zuzuschreiben oder vollmundig von Schöpfung, Erlösung, von Offenbarungs- und Heilsgeschichte zu sprechen, damit wir am Ende nicht auf unsere eigenen anthropomorphen Begriffe hereinfallen".
Er räumt ein (S. 156), dass
"der Gott der Intelligent-Design-Theorie und der Kreationisten, daß der Gott der Fundamentalisten und der Supranaturalisten nur wenig mit dem absoluten Urgrund allen Seins gemein hat, der sich in der Geschichte des sich entwickelnden Lebens in einem Universum der Vielfalt und Vielgestalt geheimnisvoll zuspricht und sich von materiell konstituiertem Leben, in dem Bewußtsein und Selbstbewußtsein aufflackert, langsam finden lässt. [...]
Der Gott, den Dawkins und Hitchens attackieren, ist in der Tat eine Witzfigur".
Was Herr Schärtl unter Gott versteht, ist vielleicht in diesem Absatz (S. 157) kondensiert:
"Ein als Grund allen Seins, als „esse subsistens“, als absoluter Geist, als unbedingte Freiheit gedachter Gott ist größer als der in laue Anthropomorphismen versunkene personale Gott mancher fundamentalistischen Kreise in den christlichen Kirchen und anderen monotheistischen Religionen."
Schärtls Gottesbegriff ist maximal deistisch. Gerade auch aufgrund des letzten Zitats üwrde ich sogar behaupten, dass er, gemessen an diesem Artikel, sogar eher zwischen Pantheismus und Deismus steht als zwischen Deismus und Theismus. Seine Haltung kommt also dem nahe, was Dawkins in 'The God Delusion' als "Einsteinian religion" bezeichnet, die er gar nicht kritisiert.

Gleich in dem allerersten Kapitel von "The God Delusion" trifft Dawkins eine Unterscheidung zwischen einer "Religiösität" wie der von Einstein (im Unterkapitel "Deserved Respect") und der Vorstellung von "supernatural gods" (im Unterkapitel "Undeserved Respect").

Letzteres Unterkapitel beginnt mit den Worten:
"My title, The God Delusion, does not refer to the God of Einstein and the other enlightened scientists of the previous section [Anm.: Das Unterkapitel "Deserved Respect"]. That is why I needed to get Einsteinian religion out of the way to begin with: it has proven capacity to confuse. In the rest of this book I am talking only about supranatural gods, of which the most familiar to the majority of my readers will be Yahweh, the God of the Old testament."
Dawkins kritisiert, dass Aussagen, die sich auf Religion begründen, nicht genauso kritisiert werden "dürfen", wie andere Aussagen, dass eine Einstellung, die religiös begründet wird, einen besonderen Schutz erhält, der diese gegen Kritik immunisiert. Als ein Beispiel nennt er den Fall eines 12-jährigen in Ohio, der in der Schule ein T-Shirt mit der Aufschrift trug: "Homosexuality is a sin, Islam is a lie, abortion is murder. Some issues are just black and white". Die Schule hat ihn angewiesen, dieses T-Shirt nicht mehr anzuziehen, worauf seine Eltern die Schule verklagt haben. Nicht wegen "Freedom of Speech" (davon wird "hate speech" bewusst ausgenommen), sondern wegen "Freedom of Religion".

Und sie haben gewonnen.

Das ist auch genau das, was Schärtl selbst kritisiert, wenn er sagt: "[...] daß er zum Sachwalter fragwürdiger Sexualtabus oder einer sehr bürgerlichen, spießigen und verklemmten viktorianischen Sexualmoral gemacht wurde, daß der Name Gottes mißbraucht wurde, um Gebiete zu annektieren, Kulturen zu erodieren, Rassen zu diskriminieren".

Zu "Einsteinian religion" schreibt Dawkins in "Deserved Respect":
"Let's remind ourselves of the terminology. A theist believes in a supernatural intelligence who, in addition to his main work of creating the universe in the first place, is still around to oversee and influence the subsequent fate of his initial creation. In many theistic belief systems, the deity is intimately involved in human affairs. He answers prayers; forgives or punishes sins; intervenes in the world by performing miracles; frets about good or bad deeds, and knows when we do them (or even think of doing them). A deist, too, believes in a supernatural intelligence, but one whose activities were confined to setting up the laws that govern the universe in the first place. The deist God never intervenes thereafter, and certainly has no specific interest in human affairs. Pantheists don't believe in a supernatural God at all, but use the word God as a non-supernatural synonym for Nature, or the Universe, or for the lawfullness that governs its workings. Deists differ from theists in that their God does not answers prayers, is not interested in sins or confessions, does not read our thoughts and does not intervene with capricious miracles. Deists differ from pantheists, in that the deist God is some kind of cosmic intelligence, rather than the pantheist's metaphoric or poetic synonym for the laws of the universe. Pantheism is sexed-up atheism. Deism is watered-down theism."
Um die "Einsteinian religion" darin einzuordnen, bringt er ein Zitat von Einstein:
To sense that behind anything that can be experienced there is something that our mind can not grasp and whose beauty and sublimity reaches us only indirectly and as a feeble reflection, this is religiousness. In this sense I am religious.
Zusammen mit einem anderen von Dawkins angeführten Einstein Zitat (das ich hier noch weiter abkürze),
"I have never imputed to Nature a purpose or a goal, or anything that could be understood as anthropomorphic. [...] The idea of a personal God is quite alien to me and seems even naive",
ergibt sich ein ganz gutes Bild von dem, was Dawkins unter der "Einsteinschen" Religion versteht.

Meine Einschätzung, dass Herr Schärtl aufgrund seiner Aussagen in dem Artikel ein ähnliches Gottesbild vertritt, wird meiner Meinung nach auch im folgenden Zitat (S. 159) noch einmal besonders deutlich:
"Es ist schlicht einseitig, Religionen nur als Residuen für repressive Sexualmoral und lebensfeindliche Normen zu verstehen. Die Sehnsucht nach dem Heiligen, die spirituelle Transformation des Lebens, der „Kontakt“ mit dem Transzendenten stehen im Kern jeder religiösen Praxis. Doktrinale Gehalte und moralische Normen sind demgegenüber sekundäre Phänomene, deren konkrete Ausgestaltung immer kulturell bedingt ist. Kulturelle Imprägnierung ist ein Problem – sie läßt sich nicht abstreifen. Aber dies gilt nicht nur für Religion; auch Vernunft und Wissenschaft sind kulturell imprägniert."
Kein personaler Gott, Gott als Grund allen Seins, Gott als etwas "Transzendentes", religiöse Normen sekundäre, kulturelle Phänomene, die damit nicht "Gottgegeben" und ewig gültig, sondern diskutier- und veränderbar sind - Wie viel hat denn das mit der Realität von Glauben (auch) in Europa zu tun?

Man schaue sich meine Diskussion mit Josef über die Stammzellforschung an. Ich glaube, dass Josef als Dr. phil. sicherlich nicht den "einfachen Gläubigen" (Zitat Schärtl im Kommentar) zuzurechnen ist, die die Hochtheologie nicht verstehen. Trotzdem ist er davon überzeugt, dass es absolute, von Gott gegebene Normen gibt, die nicht diskutierbar sind (nicht etwa kulturell geprägte Phänomene) und der eine Anpassung der Normen an den "Zeitgeist" ablehnt. Und der sicherlich auch an einen persönlichen Gott glaubt.

Das letzte Mal, als ich in einer Kirche war, wurde da auch gebetet. Welchen Sinn macht das, wenn man nicht glaubt, dass es einen personalen Gott gibt, der sich das auch anhört?

Und was ist der Glaube an Jesus anderes als der Glaube an einen personalen Gott? Folgt Herr Schärtl seiner eigenen Argumentation, dann war Jesus nur ein Theologe, der die Religion seiner Zeit weiterentwickelt hat. Jesus (wenn man dem biblischen Berichten Glauben schenken wollte) hat ja auch manche "Gesetze" des alten Testaments abgelehnt und durch Neue ersetzt, oder modernisiert, wenn man so will – so gesehen hätte Jesus mit Herrn Schärtl gemein, dass auch er offenbar religiöse Normen nur für sekundäre, kulturelle Phänomene gehalten hat, die angepasst werden können. Zufällig entspricht das auch genau meiner Meinung, aber ich bezweifle doch stark, dass Herr Schärtl mit dieser Folgerung aus seinem eigenen Argument übereinstimmt, oder wenn doch, dass es außer ihm noch viele andere Gläubige tun.

Während für Herrn Schärtl die akademische Frage des Gottesbegriffs im Vordergrund stehen mag, ist für einen Atheisten diese Fragestellung doch völlig irrelevant – er glaubt von vorneherein nicht dran, um es mal ganz platt auszudrücken. Warum sollte ich mir als Atheist erst noch ein Bild von einem Gott machen, dessen Existenz ich für unwahrscheinlich halte und an die ich nicht glaube? Das ist doch total abstrus! Um mal im Dawkinschen Jargon zu bleiben, muss ich mir erst genau ausmalen, wie eine Fee aussehen könnte, damit mir erlaubt ist, ihre Existenz für eine Ausgeburt der Fantasie zu halten?
*Gläubige* machen sich ein Bild von dem Gott, an den sie glauben, nicht Atheisten von einem Gott, an den sie *nicht* glauben. Oder muss ich mich jetzt erst noch mit der Theologie jeder einzelnen Religion auseinandersetzen, bevor ich sie alle nicht glauben darf?

Atheisten kritisieren *natürlich* das Gottesbild, dass sich *Gläubige* machen. Eine Aussage von Herrn Schärtl wie in dem Kommentar gemacht,

"Es sieht so aus, als muessten sich Atheisten ihren Gott zurechtlegen, um ihn dann abfertigen zu koennen. Offenbar ist ist ein spekulativ durchgeklaerter Gottesbegriff fuer plumpe Annaehrungsversuche nicht zu haben",

ist daher meiner Meinung nach völliger Unfug.

MfG,
JLT

1 Kommentare:

Po8 said...

Ein bisschen erinnert mich das an diesen Artikel von Volker Dittmar, speziell die Grafik in der Mitte der Seite. Der variable Gott wird immer so definiert, wie man ihn gerade braucht.

Und weiters noch an einen Spruch (von Dawkins oder Hitchens?), der etwa so lautete: Muss man erst Modedesign studiert haben um sagen zu können dass der Kaiser nackt ist?