Gerade hat sich Marcel von Eight Minutes Old auch noch in der Diskussion zu Wort gemeldet, die schon seit einiger Zeit auf verschiedenen Blogs stattfindet.
Die Diskussion dreht sich um diese Frage [S472Q03] aus der PISA-Studie:
Welche der folgenden Aussagen trifft am besten auf die Evolutionstheorie zu?Die offiziell als richtig angegebene Antwort ist C, aber einige der Diskutanten sind der Meinung, D wäre zutreffender. Alle sind sich einig und ich stimme zu, dass die Antworten selten dämlich formuliert sind, was möglicherweise nicht zuletzt daran liegt, dass der Übersetzer der Antworten aus dem Englischen nicht gerade den besten Job abgeliefert hat. Antwort C sieht im englischen Original so aus:
A Die Theorie ist unglaubwürdig, da Veränderungen der Arten nicht beobachtet werden können.
B Die Evolutionstheorie gilt für Tiere, nicht aber für den Menschen.
C Die Evolution ist eine wissenschaftliche Theorie, die sich gegenwärtig auf zahlreiche Beobachtungen stützt.
D Die Evolution ist eine Theorie, die durch Forschung bewiesen worden ist.
C Evolution is a scientific theory that is currently based on extensive evidence."Extensive evidence" ist eine viel stärkere Aussage als "zahlreiche Beobachtungen". Dass die Antwort C vor allem im Deutschen so schwach formuliert ist, war sicher der Auslöser für viele, sie als nicht wirklich zutreffend abzulehnen. Ich denke, diese Diskussion würde nicht stattfinden, wäre die Antwort beispielsweise so formuliert gewesen:
Die Evolution ist eine wissenschaftliche Theorie, die sich gegenwärtig auf umfangreiche Nachweise stützt.Was mich aber ganz besonders an beiden Antworten, C und D, stört und woran mich Marcels Post wieder erinnert hat, ist die fehlende Unterscheidung zwischen der Tatsache Evolution und der Evolutionstheorie. Ich brauche das gar nicht selbst noch einmal schreiben, Stephen Gould hat das schon viel besser getan als ich das könnte:
Well, evolution is a theory. It is also a fact. And facts and theories are different things, not rungs in a hierarchy of increasing certainty. Facts are the world's data. Theories are structures of ideas that explain and interpret facts. Facts do not go away when scientists debate rival theories to explain them. Einstein's theory of gravitation replaced Newton's, but apples did not suspend themselves in mid-air, pending the outcome. And humans evolved from apelike ancestors whether they did so by Darwin's proposed mechanism or by some other, yet to be discovered.Douglas Futuyma definiert Evolution so:
Moreover, "fact" does not mean "absolute certainty." The final proofs of logic and mathematics flow deductively from stated premises and achieve certainty only because they are not about the empirical world. Evolutionists make no claim for perpetual truth, though creationists often do (and then attack us for a style of argument that they themselves favor). In science, "fact" can only mean "confirmed to such a degree that it would be perverse to withhold provisional assent." I suppose that apples might start to rise tomorrow, but the possibility does not merit equal time in physics classrooms.
Evolutionists have been clear about this distinction between fact and theory from the very beginning, if only because we have always acknowledged how far we are from completely understanding the mechanisms (theory) by which evolution (fact) occurred. Darwin continually emphasized the difference between his two great and separate accomplishments: establishing the fact of evolution, and proposing a theory—natural selection—to explain the mechanism of evolution. He wrote in The Descent of Man: "I had two distinct objects in view; firstly, to show that species had not been separately created, and secondly, that natural selection had been the chief agent of change. . . . Hence if I have erred in . . . having exaggerated its [natural selection's] power . . . I have at least, as I hope, done good service in aiding to overthrow the dogma of separate creations."
Biological (or organic) evolution is change in the properties of populations of organisms or groups of such populations, over the course of generations.*Auch eine bekannte Formulierung der Definition von Evolution gleichen Inhalts: Evolution ist die Veränderung von Allelfrequenzen in einem Genpool**.
Evolution ist eine beobachtbare Tatsache und so findet so sicher statt wie die von Marcel angesprochene gegenseitige Anziehung von Massen. Warum sich "die Eigenschaften einer Population von Organismen über mehrere Generationen hinweg verändern", erklärt die Evolutionstheorie. Jede andere Theorie, die die Evolutionstheorie in ihrer heutigen Form ablösen soll, muss genau dies erklären können und zwar besser als die aktuelle Evolutionstheorie.
Die Antworten sind also gleich doppelt scheiße formuliert, wenn ich das mal so deutlich sagen darf.
Evolution ist meiner Meinung nach über jeden vernünftigen Zweifel hinaus belegt bzw. bewiesen.
Die Evolutionstheorie ist wie jede wissenschaftliche Theorie immer "nur" die gegenwärtig bestmögliche Erklärung der Fakten. Zweifelsohne sind die Kernaussagen der Evolutionstheorie außergewöhnlich gut belegt und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass diese Kernaussagen noch umgestoßen werden. Aber genauso trifft es auch immer noch zu, was Gould vor beinahe 30 Jahren schrieb: Wir sind noch immer weit davon entfernt, Evolution in allen Einzelheiten komplett zu verstehen.
Wie
Zusammengefasst ist also meine Meinung zu der ganzen Geschichte: Alle Antworten sind falsch, aber wenn ich die vermutliche Intention des Fragestellers mit berücksichtige, sehe ich C als die am wenigsten danebenliegende Antwort an.
MfG,
JLT
* Douglas J. Futuyma (1998) Evolutionary Biology 3rd ed., Sinauer Associates Inc. Sunderland MA p.4
** z. B. hier: Helena Curtis and N. Sue Barnes, Biology, 5th ed. 1989 Worth Publishers, p.974
42 Kommentare:
@JLT
ich würde noch etwas weiter unterscheiden: 'Evolutionstheorie' in Deinem Sinn ist eine der vielen Evolutionstheorien, also mechanismischen Vorstellungen, wie die Evolution verursacht wurde (also ausgehend vom Fakt einer abgelaufenen Evolution über die sehr plausible Annahme einer Deszendenz). Mit dem Singular gehst Du vermutlich davon aus, dass es eine Art Konsens gibt. Das scheint mir aber nicht der Fall zu sein, wenn man genauer hinschaut, wer nun welche Mechanismen vertritt oder auch nicht.
'Evolutionstheorie' im Singular hingegen meint das Weltbild, das etliche Menschen auf der Basis einer der vielen Evolutionstheorien formulieren: ein durchgängig naturalistisches Weltbild. Letztendlich dient eine der Evolutionstheorien dazu, ein 'intellectually fulfilled atheist' sein zu können.
Das ist dann der eigentliche Knackpunkt, denn es gibt durchaus auch Evolutionstheorien mit supranaturalistischen Komponenten, die vom direkten Eingreifen eines Schöpfers (ID) bis hin zu einem Gott, der nur die Materie und Naturgesetze gebastelt hat (Deismus). Irgendwo dazwischen ist die RKK mit einer Evolution durch Zweitursachen, in die Gott, falls er es für erforderlich hält, auch mal eingreift.
So gesehen kann man problemlos einer Evolutionstheorie anhängen, ohne Naturalist zu sein.
Das Zitat Stephen Gould ist wirklich sehr schön und auf diese Unterscheidung wird tatsächlich viel zu selten hingewisen.
Eine weitere Unterscheidung in verschiedenen Evolutionstheorien ist hier meiner Meinung nach aber unnötig, da dies nicht der Punkt ist. Außerdem widersprechen supranaturalistische Elemente der Wissenschaftlichkeit, so dass man wohl gut von Evolutionstheorie im Singular sprechen kann, wenn man von der wissenschaftlichen Theorie spricht. Aber da ich kein Biologe bin, kann ich nichts zu möglicherweise existierenden, konkurrierenden Ansätzen innerhalb der Wissenschaft sagen.
Ich denke,
Evolution kann man tatsächlich für bestimmte mathematische Systeme beweisen, also auch beweisen im mathematischen Sinn. Vielleicht sollte man eher von definieren sprechen.
Bestimmte stochastische Systeme haben unter bestimmten Randbedingung einfach diese Eigenschaft.
beste Grüße,
Eike
@EL Schwamlo
Als die Evolutionstheorie würde ich einen mathematischen Oberbau bezeichnen, der von allen konkreten Mechanismen abstrahiert. Mir ist zwar nichts bekannt aber das hat bestimmt schon ein interessierter Mathematiker formalisiert.
Ein Weltbild ist das noch nicht alleine.
@ El Schwalmo:
Natürlich gibt es einen Konsens zur Evolutionstheorie, sonst wäre sie keine anerkannte Theorie. Sicher gibt es Bereiche, in denen die Meinungen auseinander gehen. Wenn es beispielsweise um Gruppenselektion geht, oder um die Gewichtung Gendrift vs. Selektion oder um Kontingenz. Das ändert aber nichts daran, dass Gendrift, natürliche Selektion und Kontingenz anerkannte Bestandteile der Evolutionstheorie sind; wie gesagt, die Diskussionen werden darüber geführt, wie stark verschiedene Elemente gewichtet werden, nicht darüber, ob sie überhaupt eine Rolle spielen. Es ist gängige Sprachregelung, von "der" Evolutionstheorie zu sprechen, genauso wie es gängige Sprachregelung ist, von "der" Endosymbiontentheorie zu sprechen, auch wenn da über die Einzelheiten mit Sicherheit genauso diskutiert wird wie über verschiedene Aspekte der Evolutionstheorie. Jede wissenschaftliche Theorie ist ein dynamisches Gebilde und jedem, der sich mit Wissenschaft beschäftigt, sollte das auch klar sein.
Solange nicht plötzlich der allgemeine Sprachgebrauch dahin geht, alle wissenschaftlichen Theorien nur noch in der Mehrzahl zu benennen (die Gravitationstheorien, die Stringtheorien etc.), weil über Teilbereiche diskutiert wird, rede ich auch nicht von Evolutionstheorien.
Was Du allerdings als Beispiele bringst, hat mit Evolutionstheorie(n) nun gar nichts zu tun. Wenn Atheisten behaupten, Evolution ist alles, was da ist, dann steht das mit der Evolutionstheorie in Einklang, ist aber keine wissenschaftliche Aussage und erst recht nicht eine weitere "Evolutionstheorie", die eine Verwendung des Plurals rechtfertigen würde. Genausowenig ist die Haltung der katholischen Kirche (Evolution + Gott) eine wissenschaftliche Aussage und ist mit Sicherheit ebenfalls keine wissenschaftliche "Evolutionstheorie".
Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass Dir der Unterschied nicht klar zu sein scheint.
Und natürlich kann man die Evolutionstheorie auch akzeptieren, ohne Naturalist zu sein. Das ist in etwa eine so tiefsinnige Erkenntnis wie die, dass man Neurologe sein und an die Existenz einer Seele glauben kann.
@JLT
=== schnipp ===
Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass Dir der Unterschied nicht klar zu sein scheint.
=== schnapp ===
bist Du sicher, dass ich hier ein Defizit habe? Vergiss nicht, es ist ein Thread, ob man von der Warte eines aktiven Wissenschaftlers, sozusagen 'von innen' argumentiert, oder von einer anderen Warte aus, die die einzelnen Theorien vergleichend betrachtet.
@ Eike:
Wenn man durch manche evolutionsbiologische Journals blättert, kann man feststellen, welch große Rolle mathematische Modelle in der Evolutionsbiologie spielen. Gerade habe ich mir die aktuelle Ausgabe vom Journal of Evolutionary Biology angeschaut. In fast jedem Artikel werden beobachtete Daten mit den Voraussagen aus verschiedenen mathematischen Modellen verglichen und geschaut, welches Modell die größte Übereinstimmung aufweist, so dass beispielsweise entschieden werden kann, welcher Faktor (oder Faktoren) den größten Einfluss auf beispielsweise eine Merkmalsverteilung hat; einzelne Artikel beschäftigen sich auch mit der Entwicklung besserer Modelle, ein Artikel beschäftigt sich z. B. mit der (Weiter-)Entwicklung eines Modells zur kin selection.
Passend zu dem, was ich an El Schwalmo schrieb, habe ich diesen Artikel gefunden: Demont et al (2008). Molecular and quantitative genetic differentiation across Europe in yellow dung flies. Volume 21, Issue 6, Pages 1492-1503
Aus der Einleitung:
The partitioning of genetic variation across a species range can be the result of diversifying or directional selection, genetic drift, or some combination of the two. There is continued debate about the relative importance of each for population differentiation (e.g. Turelli et al., 1988; Merilä & Crnokrak, 2001; McKay & Latta, 2002; O'Hara, 2005; Roff & Mousseau, 2005; Whitehead & Crawford, 2006; Leinonen et al., 2008), and beyond dispute, determining what proportion of observed genetic variation can be attributed to selection or neutral processes lies at the heart of evolutionary biology. Direct comparisons of the genetic differentiation of quantitative traits (QST) to that observed at neutral loci (FST) is one very useful approach for evaluating the relative importance of natural selection vs. genetic drift in nature (but see Gockel et al., 2001). Studies comparing these two measures of genetic differentiation have shown that QST typically exceeds FST, suggesting a strong role for diversifying or directional natural selection in shaping genetic heterogeneity (reviewed by Merilä & Crnokrak, 2001; McKay & Latta, 2002; Leinonen et al., 2008). For example, Spitze's (1993) pioneering comparison of body size and allozyme variation among populations of Daphnia obtusa revealed that natural selection was responsible for diversification of body size among populations. Nevertheless, in several cases the reverse pattern has been detected, with FST values exceeding QST values (Petit et al., 2001; Edmands & Harrison, 2003; Koch et al., 2004).
Die haben mit Hilfe mathematischer Modelle zu entscheiden versucht, welche Faktoren die Merkmalsverteilung in verschiedenen dung beetle Populationen in Europa am Besten zu erklären ist, welche Merkmale mehr/überwiegend durch genetische Drift und welche mehr/überwiegend durch natürliche Selektion zustande gekommen sind; gleichzeitig dienen Untersuchungen wie diese natürlich auch immer dazu, bestehende mathematische Modelle zu verfeinern.
Immer bessere mathematische Modelle zu entwickeln, um komplexe Wechselwirkungen und den Einfluss verschiedener Faktoren immer treffender beschreiben zu können, ist definitiv ein wichtiger Bereich der Evolutionsbiologie.
Von einem mathematischen Beweis würde ich trotzdem nicht sprechen, da ja keine formal-logischen Beweise geführt werden, an deren Ende q.e.d. steht; das Modell ist immer nur so gut wie die Daten und auch wenn sich ein mathematisches Modell immer wieder bewährt hat, kann es sich immer noch als falsch/zu ungenau herausstellen, obwohl es vom mathematischen Standpunkt her fehlerlos ist.
Biologie ist einfach viel unordentlicher als Mathe ;)
"@JLT
=== schnipp ===
Ich finde es schon sehr erstaunlich, dass Dir der Unterschied nicht klar zu sein scheint.
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bist Du sicher, dass ich hier ein Defizit habe? Vergiss nicht, es ist ein Thread, ob man von der Warte eines aktiven Wissenschaftlers, sozusagen 'von innen' argumentiert, oder von einer anderen Warte aus, die die einzelnen Theorien vergleichend betrachtet."
Nun, ich glaube, dass Du den Unterschied sehr wohl kennst, es Dir aber aus irgendeinem Grund nicht passt, dass damit wissenschaftlichen Theorien eine Sonderstellung eingeräumt wird. Ich glaube, dass es Dir nicht passt, wenn die Evolutionstheorie als "Beweis" für Naturalismus verwendet wird und ich glaube, dass es Dich ärgert, wenn Atheisten so tun, als würde ihrem Weltbild durch die Evolutionstheorie der Stempel der Wissenschaftlichkeit verliehen. Ich glaube, dass Du aus diesen Gründen gerne kontra gehst, wenn Du denkst, jemand würde diesen Fehler begehen oder auch einfach prophylaktisch, im Hinblick auf andere Leser.
Das ist aber natürlich pure Spekulation ;)
Ich finde, man tut keinem einen Gefallen, wenn man den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Theorie und Weltbildern verwischt.
Egal von welcher Richtung man draufschaut, eine wissenschaftliche Theorie ist nicht das Gleiche wie ein Weltbild, schon alleine aus dem Grund nicht, weil wissenschaftliche Theorien einen begrenzten Gültigkeitsbereich haben und eben nicht das Leben, das Universum und den ganzen Rest erklären.
Meines Erachtens beruht ein Großteil der Ablehnung der Evolutionstheorie gerade darauf, dass die Leute den Unterschied nicht kapieren und ich werde mich hüten, zu dieser Verwirrung noch beizutragen, in dem ich eine wissenschaftliche Theorie mit verschiedenen "Ich erkläre mir die Welt, wie es mir gefällt"-Geschichten in einen Topf werfe.
Dass mir von den verschiedenen Geschichten die atheistische am plausibelsten erscheint und ich auch vom Rest einige plausibler finde als andere, ändert daran nichts.
Letzteres hat noch nicht mal viel mit der Evolutionstheorie zu tun, die Religionen machen selbst schon einen ziemlich guten Job, ihre Geschichten unplausibel erscheinen zu lassen. Und ich kann auch gut damit leben, dass ich für manches einfach keine Erklärung weiß, ich muss da keinen Gott erfinden, um die Lücke zu füllen.
Beispielsweise gibt es Menschen, die akzeptieren, dass ein Urknall stattgefunden hat und dann sagen, Gott habe ihn "ausgelöst", um zu erklären, warum er stattfand.
Ich habe auch keine Ahnung, warum ein Urknall stattgefunden hat und nicht einfach gar nichts passiert ist und ich denke, die Chancen stehen schlecht, dass mir das in nächster Zeit jemand erklären kann - und ich glaube trotzdem nicht an einen Gott am Auslöseknopf. Warum sollte es dann für meinen Atheismus ausschlaggebend sein, dass es die Evolutionstheorie gibt?
Mal ganz abgesehen davon, dass es vor 200 Jahren auch schon Atheisten gab.
@JLT
=== schnipp ===
Ich finde, man tut keinem einen Gefallen, wenn man den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Theorie und Weltbildern verwischt.
=== schnapp ===
exakt.
Nun müsste man sich noch darüber unterhalten, was man unter 'Theorie' verstehen möchte, und welcher wissenschaftstheoretische Status dem zukommt, was Du als 'Evolutionstheorie' bezeichnest.
Das ist keine triviale Frage, wird ziemlich komplex, falls man das untersucht, beispielsweise
Wassermann, G.D. (1981) 'On the nature of the theory of evolution' Philos. Sci. 48:416-437
Mit Deinen Vermutungen liegst Du nur teilweise richtig. Ich habe beispielsweise kein Problem damit, dass bestimmte Theorien einen 'höheren Status' haben als andere. Intelligent Design beispielsweise scheint mir weit davon entfernt zu sein, als 'Theorie' in dem Sinne von 'Theorie' wie beispielsweise in die 'Synthetische Theorie der Evolution' bezeichnet werden zu können.
=== schnipp ===
Warum sollte es dann für meinen Atheismus ausschlaggebend sein, dass es die Evolutionstheorie gibt?
=== schnapp ===
Ich meinte damit nicht Dich, sondern Dawkins. Der hat allerdings expressis verbis erklärt, warum das einen Ausschlag macht. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das, was Du als 'Evolutionstheorie' bezeichnest, das meint, was Dawkins unter 'Evolution' versteht.
=== schnipp ===
Mal ganz abgesehen davon, dass es vor 200 Jahren auch schon Atheisten gab.
=== schnapp ===
Eben. Aber die konnten, nach Dawkins, nicht 'intellectually fulfilled' sein. Wenn ich es richtig sehe, hat auch nach Deiner Auffassung Evolution nichts daran geändert.
Die 'Evolutionstheorie' in Deinem Sinn kann man, wie Du auch geschrieben hast, als Atheist oder Theist anerkennen. Wir sind uns auch einig darin, dass sie besser mit einem Atheismus harmoniert als mit einem Theismus, und mit bestimmten Gottesvorstellungen nicht kompatibel ist.
@JLT
Hm, Danke für die quellen angaben. Wenn sich die Deadline für meine Diplomarbeit(en) nicht wild knurrend in meinem Hintern verbissen hätte, würde ich auch dazu kommen das weiter nachzulesen.
Ich dachte das man den Begriff Evolution mathematisch - in der strenge der Definition - "analog" zu dem Begriffs Entropie(*) definieren kann.
Das ist sozusagen unabhängig von den konkreten Mathematischen Modellen. Oder die Definitionen sind nur scheinbar unterschiedlich aber auf abstrakter ebene das Gleiche Konzept. Das macht dann Begrifflichkeiten sehr klar und ordentlich auch für die Biologie. Dürfte praktisch nur kaum helfen. ;-)
Ich halte es sowieso für recht klar was darunter verstanden wird.
(*) Nicht unbedingt das beste Beispiel. Mir fällt aber momentan nichts ein was ähnlich bekannt und allgemein ist.
@cptcarlos
=== schnipp ===
Das macht dann Begrifflichkeiten sehr klar und ordentlich auch für die Biologie.
Dürfte praktisch nur kaum helfen. ;-)
=== schnapp ===
klare Begriffe helfen immer.
Das Problem ist nur, dass der Gegenstand ein Problem macht. Biologie ist die Wissenschaft von den Ausnahmen.
Unnachahmlich hat das Ernst Mayr klargemacht, der versuchte, Pauli (dem Physiker, nach dem das 'Pauli-Prinzip' benannt) ist, klarzumachen, was Evolution ausmacht. Mayr prägte hier den Begriff 'individuales Gas' (im Gegensatz zum 'idealen Gas' der Physiker, das aus identischen Partikeln besteht, sind Organismen Populationen aus genetisch meist einzigartigen Individuen). Das ist dann genau der Grund, warum Überlegungen wie die zur Entropie Evolution, so wie sie 'da draußen' abläuft, nicht fassen können. Denn diese statistischen Gesetzmäßigkeiten beruhen darauf, dass entweder die Elemente gleich sind oder sich zumindest so verhalten, dass das Gesamt durch einen Wert beschrieben werden kann.
Wenn zuviel Individualität auftritt, wird die Modellierung in dem Sinn problematisch, dass sie nicht universal ist.
@JLT
=== schnipp ===
Ich finde, man tut keinem einen Gefallen, wenn man den Unterschied zwischen wissenschaftlicher Theorie und Weltbildern verwischt.
=== schnapp ===
exakt.
Nun müsste man sich noch darüber unterhalten, was man unter 'Theorie' verstehen möchte, und welcher wissenschaftstheoretische Status dem zukommt, was Du als 'Evolutionstheorie' bezeichnest.
Das ist keine triviale Frage, wird ziemlich komplex, falls man das untersucht, beispielsweise
Wassermann, G.D. (1981) 'On the nature of the theory of evolution' Philos. Sci. 48:416-437
Was ich unter einer Theorie verstehe? Z. B. dies: "Theories are structures of ideas that explain and interpret facts". Oder wie ich in meinem Post schrieb: "die gegenwärtig bestmögliche Erklärung der Fakten". Theorien müssen Voraussagen ermöglichen und müssen Anlass für neue (überprüfbare) Hypothesen geben.
Ich bezeichne den Konsens, der unter Evolutionsbiologen über die grundlegenden "Mechanismen" von Evolution besteht, als Evolutionstheorie.
Spaßeshalber würde mich ja mal interessieren, was DU unter Theorie und Evolutionstheorie verstehst; mal sehen, wie Du den Inhalt einer halben Bibliothek in ein paar Sätzen in einem Blogkommentar unterbringst. ;)
"Ich meinte damit nicht Dich, sondern Dawkins. Der hat allerdings expressis verbis erklärt, warum das einen Ausschlag macht. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das, was Du als 'Evolutionstheorie' bezeichnest, das meint, was Dawkins unter 'Evolution' versteht."
Ich habe von Dawkins genau ein Buch gelesen, The God Delusion. Meine Auffassung von Evolutionstheorie und Evolution stammen sicher nicht von Dawkins und ich bin mir auch nicht sicher, was genau Dawkins unter Evolution versteht. Als aktiver Evolutionsbiologe hat er, soviel ich weiß, eine streng adaptionistische Sichtweise vertreten, mit starker Betonung auf die Bedeutung von natürlicher Selektion für die Evolution. Ich persönlich glaube, dass z. B. Gendrift und andere "chance events" eine viel größere Rolle spielen, als diese Sichtweise zulässt.
"=== schnipp ===
Mal ganz abgesehen davon, dass es vor 200 Jahren auch schon Atheisten gab.
=== schnapp ===
Eben. Aber die konnten, nach Dawkins, nicht 'intellectually fulfilled' sein. Wenn ich es richtig sehe, hat auch nach Deiner Auffassung Evolution nichts daran geändert.
Die 'Evolutionstheorie' in Deinem Sinn kann man, wie Du auch geschrieben hast, als Atheist oder Theist anerkennen. Wir sind uns auch einig darin, dass sie besser mit einem Atheismus harmoniert als mit einem Theismus, und mit bestimmten Gottesvorstellungen nicht kompatibel ist."
Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob Du da Dawkins richtig wiedergibst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er "intellectually fulfilled" ausschließlich und allein auf die Evolutionstheorie bezieht. Ich bin mir im Übrigen auch nicht sicher, ob Dawkins wirklich argumentiert, die Evolutionstheorie schließt alle Vorstellungen von Gott aus.
Pantheistische oder deistische Gottesbilder sind mit Evolution vereinbar und so viel ich weiß, sagt er zu Beginn des Buches, dass er sich nicht um diese kümmert, sondern nur um die Vorstellung eines persönlichen, direkt eingreifenden Gottes. Und auch da argumentiert er, wenn ich mich recht erinnere, eher mit dem fehlenden Nachweis für das Eingreifen eines Gottes. Meiner Meinung nach reagiert er, wenn er die Evolutionstheorie anführt, eher auf religiöse Argumente für die Existenz Gottes, die nach dem Schema: "Schau, die schönen Blumen, es muss einen Gott geben" funktionieren. Dass wir eine plausible Erklärung haben, wie die "schönen Blumen" entstanden sein könnten, die nicht ein direktes Eingreifen eines Gottes notwendig macht, ist ein offensichtliches Gegenargument zu dieser Art Aussage, aber nicht notwendigerweise ein positives Argument für Atheismus.
Aber ich bin sicherlich kein Experte für Dawkins, mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht in allem mit Dawkins übereinstimmen muss, nur weil er zufällig auch Atheist ist. Ich habe mein Leben lang erfolgreich nicht an Gott geglaubt, ganz ohne Dawkins Hilfe ;)
Was die Bedeutung der Evolutionstheorie für Atheisten im Allgemeinen und mich im Besonderen angeht:
Ich wusste bis vor 4-5 Jahren gar nicht, dass Menschen die Evolutionstheorie aus religiösen Gründen ablehnen, in meinem Umfeld gab es, so weit ich weiß, niemand, der eine solche Haltung eingenommen hätte. Darum bin ich wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, dass die Evolutionstheorie eine besondere Bedeutung für Atheisten haben könnte.
Ich persönlich finde, dass die Evolutionstheorie intellektuell befriedigend für *alle* Menschen ist (oder sein sollte), Nicht-Gläubige und Gläubige gleichermaßen. Selbst, wenn ich an einen Schöpfergott glaubte: God did it ist keine intellektuell befriedigende Antwort. WIE hat Gott es denn gemacht? Die Evolutionstheorie erklärt vieles, für das wir ohne sie keine befriedigende Antwort hätten, auch gläubige Menschen nicht.
@El Schwalmo
Du schriebst: "Wenn zuviel Individualität auftritt, wird die Modellierung in dem Sinn problematisch, dass sie nicht universal ist."
Ja. Oder die Modellierung ist so Universell, dass sie Individualität nicht berücksichtigen kann. Allgemeine Statistische Modelle haben ja meistens den Ihhalt, das nach diesen so gut wie alles passieren kann wenn auch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit.
Die Klarheit der Mathematik in ihrer heutigen Strenge ist nicht immer hilfreich. Eben aus dem von dir genanten Grund, dass einem der dargestellte Sachverhalt gar nicht so klar bekannt ist, wie es nötig wäre für eine mathematisch strenge Beschreibung.
Naja was Evolution angeht, habe ich eingentlich eine recht klare Forstellung wie ich das formalisieren würde ganz allgemein mit mitteln aus Informatik, Funktionalanalysis und Mathematischen Statistik. Das aufzuschreiben dauert lange und hat bestimmt schon jemand anders mit einem ähnlichen Gedanken gang gemacht. Meine ideen sind nicht besonders Kreativ nur das "zusammen stöpseln" von höherer Mathematik.
Aber ich denke, dass man eine art mathematische (Meta-)Sprache entwickeln kann, die alle Prozesse beschreiben kann welche man als Evolutionär bezeichen kann. Inklusive Epigenetik- "Krams", drift und allen anderen auch nur denkbaren modifizierenden Faktoren.
Falls überbordendes Interesse besteht, fragt mich in einem halben Jahr nochmal.
Dann habe ich meine Dipl fertig und kann versuchen das aufzuschreiben.
Fragt sich nur ob Biologen noch wieder erkennen was mein Mathematiker-Hirn dann aus der Evolutionstheorie gemacht hat ;-)
@ Eike:
"Hm, Danke für die quellen angaben. Wenn sich die Deadline für meine Diplomarbeit(en) nicht wild knurrend in meinem Hintern verbissen hätte, würde ich auch dazu kommen das weiter nachzulesen."
Da gibt es sicherlich noch bessere Artikel, das war nur einer, den ich gerade in meinem Feedreader hatte und nur auf einen Link klicken musste, um ein Beispiel zu haben ...
Oh und viel Erfolg bei den Diplomarbeiten!
@JLT
=== schnipp ===
Was ich unter einer Theorie verstehe? Z. B. dies: "Theories are structures of ideas that explain and interpret facts". Oder wie ich in meinem Post schrieb: "die gegenwärtig bestmögliche Erklärung der Fakten". Theorien müssen Voraussagen ermöglichen und müssen Anlass für neue (überprüfbare) Hypothesen geben.
=== schnapp ===
darauf können wir uns gerne einigen. Das ist dann genau das, was ich unter einer der Evolutionstheorieen verstehe.
=== schnipp ===
Ich bezeichne den Konsens, der unter Evolutionsbiologen über die grundlegenden "Mechanismen" von Evolution besteht, als Evolutionstheorie.
=== schnapp ===
Eben. Und ich habe geschrieben, was ich darunter verstehe. Dass schon das, was Darwin vertrat, mehr als eine Theorie war, ist Konsens, beispielsweise
Mayr, E. (1985) 'Darwin's five theories of evolution' in: Kohn, D.; (ed.) 'The Darwinian Heritage' Princeton, Princeton University Press S. 755-772
Je nach Wissenschaftshistoriker sind es mehr oder weniger. Mayr hat beispielsweise nur die Theorien Darwins aufgelistet, die heute noch vertretbar sind und beispielseise Darwins Pangenesis-Theorie, die ja genuin 'lamarckistisch' ist, weggelassen.
=== schnipp ===
Spaßeshalber würde mich ja mal interessieren, was DU unter Theorie und Evolutionstheorie verstehst; mal sehen, wie Du den Inhalt einer halben Bibliothek in ein paar Sätzen in einem Blogkommentar unterbringst. ;)
=== schnapp ===
Über 'Theorie' sind wir uns einig. Das mit Evolution habe ich beispielsweise in
Waschke, T. (2008) 'Moderne Evolutionsgegner - Kreationismus und Intelligentes Design' in: Antweiler, C.; Lammers, C.; Thies, N.; (Hrsg.) 'Die unerschöpfte Theorie. Evolution und Kreationismus in Wissenschaft und Gesellschaft' Aschaffenburg, Alibri S. 75-97
oder auf meiner Site kurz
http://www.waschke.de/evolutionsbegriff.htm
oder auch längelang
http://www.waschke.de/evolutionsglaube.htm
dargestellt.
In dem Buchbeitrag habe ich übrigens auf einen anderen, sehr guten, Text von Gould zum Thema verwiesen:
Gould, S.J. (2002) 'What Does the Dreaded 'E' Word Mean Anyway?' in: Gould, S.J. 'I Have Landed. The End of a Beginning in Natural History' London, Jonathan Cape S. 241-256
Wenn Du es mehr wissenschaftshistorisch haben willst, ist
Bowler, P.J. (1975) 'The changing meaning of 'evolution'' J. Hist. Ideas 36:95-114
sehr gut. Dort wird sehr klar, warum Darwin den Begriff 'Evolution' für seine Theorie ablehnte.
=== schnipp ===
Ich habe von Dawkins genau ein Buch gelesen, The God Delusion.
=== schnapp ===
Schade, dann kennst Du nur sein schwächstes Buch.
=== schnipp ===
Meine Auffassung von Evolutionstheorie und Evolution stammen sicher nicht von Dawkins und ich bin mir auch nicht sicher, was genau Dawkins unter Evolution versteht. Als aktiver Evolutionsbiologe hat er, soviel ich weiß, eine streng adaptionistische Sichtweise vertreten, mit starker Betonung auf die Bedeutung von natürlicher Selektion für die Evolution.
=== schnapp ===
Am klarsten kommt das, was er vertritt (und auch warum das der Fall ist), in
Dawkins, R. (1995) 'River Out of Eden. A Darwinian View of Life' London, Phoenix
=== schnipp S. 97 f ===
Do good by stealth. A key feature of evolution is its gradualness. This is a matter of principle rather than fact. It may or may not be the case that some episodes of evolution take a sudden turn. There may be punctuations of rapid evolution, or even abrupt macromutations-major changes dividing a child from both its parents. There certainly are sudden extinctions - perhaps caused by great natural catastrophes such as comets striking the Earth - and these leave vacuums to be filled by rapidly improving understudies, as the mammals replaced the dinosaurs. Evolution is very possibly not, in actual fact, always gradual. But it must be gradual when it is being used to explain the coming into existence of complicated, apparently designed objects, like eyes. For if it is not gradual in these cases, it ceases to have any explanatory power at all. Without gradualness in these cases, we are back to miracle, which is simply a synonym for the total absence of explanation.
The reason eyes and wasp-pollinated orchids impress us so is that they are improbable. The odds against their spontaneously assembling by luck are odds too great to be borne in the real world. Gradual evolution by small steps, each step being lucky but not too lucky, is the solution to the riddle. But if it is not gradual, it is no solution to the riddle: it is just a restatement of the riddle. [Hervorhebung von mir, T.W.]
There will be times when it is hard to think of what the gradual intermediates may have been. These will be challenges to our ingenuity, but if our ingenuity fails, so much the worse for our ingenuity. It does not constitute evidence that there were no gradual intermediates.
=== schnapp ===
Die von mir fett hervorgehobene Stelle ist überdeutlich. Dass Dawkins eine so offensichtliche petitio principii formuliert, lässt sich nur erklären, wenn man berücksichtigt, dass für ihn 'Evolution' eben nicht nur eine naturwissenschaftliche Theorie ist,
Ich könnte das auch durch andere Stellen belegen.
=== schnipp ===
Ich persönlich glaube, dass z. B. Gendrift und andere "chance events" eine viel größere Rolle spielen, als diese Sichtweise zulässt.
=== schnapp ===
Okay, das eint uns.
=== schnipp ===
"Die 'Evolutionstheorie' in Deinem Sinn kann man, wie Du auch geschrieben hast, als Atheist oder Theist anerkennen. Wir sind uns auch einig darin, dass sie besser mit einem Atheismus harmoniert als mit einem Theismus, und mit bestimmten Gottesvorstellungen nicht kompatibel ist."
Hmm, ich bin mir nicht sicher, ob Du da Dawkins richtig wiedergibst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er "intellectually fulfilled" ausschließlich und allein auf die Evolutionstheorie bezieht. Ich bin mir im Übrigen auch nicht sicher, ob Dawkins wirklich argumentiert, die Evolutionstheorie schließt alle Vorstellungen von Gott aus.
=== schnapp ===
Der locus classicus an prominenter Stelle (Vorwort) in
Dawkins, R. (1986) 'The Blind Watchmaker' Essex, Longman
lautet (Hervorhebung im Original):
=== schnipp S. 6 ===
I can't help feeling that such a position [atheism, T.W.], though logically sound, would have left one feeling pretty unsatisfied, and that although atheism might have been logically tenable before Darwin, Darwin made it possible to be an intellectually fulfilled atheist.
=== schnapp ===
Dawkins stellt das in den Kontext von Humes Wiederlegung von Paleys-Design-Argument.
Dawkins hat in der Vorstellung seiner Person anlässlich der Podiumsdiskussion mit Lennox sehr deutlich gemacht, welche Bedeutung die Evolution für seine Abkehr vom Glauben hatte. Auch sonst findet man in seinen Arbeiten hinreichend Angaben, aus denen hervorgeht, welche Rolle die Auffassung von 'Evolution', die er vertritt ('Ultra-Darwinismus') für seinen Atheismus spielt.
Ich kann Dir Dawkins' Position längelang mit Belegstellen darstellen.
Recht interessant in diesem Kontext auch
Draper, P. (2002) 'Irreducible Complexity and Darwinian Gradualism: A Reply to Michael Behe' Faith and Philosophy 19:3-21
Draper macht sehr deutlich, dass man, in Anlehnung an Sobers Analyse, Paleys Argument durchaus als 'inference to the best explanation' vor Darwin vertreten konnte. Und, falls Behe mehr Recht hat als die Menschen aus unserem Lager einräumen, könnte es sogar sein, dass das heute nicht so abwegig ist, wie das von vielen Menschen dargestellt wird (weder Draper noch Sober halten viel von Behes Ansatz, genauso wenig wie ich).
=== schnipp ===
Pantheistische oder deistische Gottesbilder sind mit Evolution vereinbar
=== schnapp ===
Das schrieb ich auch.
=== schnipp ===
und so viel ich weiß, sagt er zu Beginn des Buches, dass er sich nicht um diese kümmert, sondern nur um die Vorstellung eines persönlichen, direkt eingreifenden Gottes.
=== schnapp ===
Klar. Und die Begründung von Dawkins ist sogar erstklassig. Aber sie macht deutlich, an wen sein Buch gerichtet ist, und vor allem auch, an wen nicht. Das könnte sogar die Mehrzahl der Christen, zumindest in Deutschland, sein.
=== schnipp ===
Und auch da argumentiert er, wenn ich mich recht erinnere, eher mit dem fehlenden Nachweis für das Eingreifen eines Gottes. Meiner Meinung nach reagiert er, wenn er die Evolutionstheorie anführt, eher auf religiöse Argumente für die Existenz Gottes, die nach dem Schema: "Schau, die schönen Blumen, es muss einen Gott geben" funktionieren. Dass wir eine plausible Erklärung haben, wie die "schönen Blumen" entstanden sein könnten, die nicht ein direktes Eingreifen eines Gottes notwendig macht, ist ein offensichtliches Gegenargument zu dieser Art Aussage, aber nicht notwendigerweise ein positives Argument für Atheismus.
=== schnapp ===
So sehe ich das auch. Allerdings sehe ich kein Argument gegen das Eingreifen eines Gottes, der die Merkmalskombination allmächtig, allwissend und allgütig nicht aufweist. Mir wäre auch nicht bekannt, wie man ein Eingreifen eines Gottes beweisen oder widerlegen könnte, der nur ab und an eingreift oder sich im 'Zufallsrauschen' versteckt.
Aber okay, so ein 'Gott' ist nicht der Daddy vom herzallerliebsten Jesulein.
=== schnipp ===
Aber ich bin sicherlich kein Experte für Dawkins, mal ganz abgesehen davon, dass ich nicht in allem mit Dawkins übereinstimmen muss, nur weil er zufällig auch Atheist ist. Ich habe mein Leben lang erfolgreich nicht an Gott geglaubt, ganz ohne Dawkins Hilfe ;)
=== schnapp ===
Das eint uns. Ich war Atheist, bevor Dawkins sein erstes Buch schrieb. Dawkins war aber nicht unmaßgeblich daran beteiligt, dass ich Agnostiker wurde.
=== schnipp ===
Was die Bedeutung der Evolutionstheorie für Atheisten im Allgemeinen und mich im Besonderen angeht:
Ich wusste bis vor 4-5 Jahren gar nicht, dass Menschen die Evolutionstheorie aus religiösen Gründen ablehnen, in meinem Umfeld gab es, so weit ich weiß, niemand, der eine solche Haltung eingenommen hätte. Darum bin ich wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen, dass die Evolutionstheorie eine besondere Bedeutung für Atheisten haben könnte.
=== schnapp ===
Wie gesagt, ich habe das nicht Dir unterstellt.
=== schnipp ===
Ich persönlich finde, dass die Evolutionstheorie intellektuell befriedigend für *alle* Menschen ist (oder sein sollte), Nicht-Gläubige und Gläubige gleichermaßen. Selbst, wenn ich an einen Schöpfergott glaubte: God did it ist keine intellektuell befriedigende Antwort. WIE hat Gott es denn gemacht? Die Evolutionstheorie erklärt vieles, für das wir ohne sie keine befriedigende Antwort hätten, auch gläubige Menschen nicht.
=== schnapp ===
Hier sind wir bei dem Problem, was 'Evolutionstheorie' bedeuten soll. Wenn Du anstelle von 'Evolutionstheorie' in dem Sinn, wie ich das tue, nur 'Evolution' sagst, sind wir uns einig. Übrigens auch mit der RKK, die den Darwinismus als Möglichkeit zur Lösung der Theodizeefrage verwendet (kannst Du bei Ayala nachlesen:
Ayala, F.J. (2007) 'Darwin's Gift to Science and Religion' Washington, Joseph Henry Press)
was auch sehr schön erklärt, warum die RKK, Schönborn mal ausgenommen, nichts mit ID anfangen kann (denn der Designer würde das zunichte machen, Gott würde dann nicht mehr durch Sekundärursachen wirken). Auch wenn es verblüffend klingt: Es gibt sogar katholische Theologen, die die STE als 'Gottesbeweis' (über Aquins 'via quinta') sehen
Rhonheimer, M. (2007) 'Neodarwinistische Evolutionstheorie, Intelligent Design und die Frage nach dem Schöpfer. Aus einem Schreiben an Kardinal Christoph Schönborn' IMABE 14 (1):47-81
verbreiteter ist aber Teilhardianismus, wie ihn beispielsweise
Kummer, C. (2006) 'Evolution und Schöpfung. Zur Auseinandersetzung mit der neokreationistischen Kritik an Darwins Theorie'
URL: http://www.stimmen-der-zeit.de/StdZ_01_06_Kummer.pdf, letzter Zugriff: 29.04.2007
vertritt.
Was Dawkins mit seiner Bemerkung über intellektuell abgerundeten Atheismus meint, ist einfach die Tatsache, dass man durch die Evolutionstheorie erklären kann, wie das Leben seine offensichtliche Komplexität erreichen konnte, ganz ohne göttlichen Eingriff. Vorher hatte halt niemand eine wirkliche Antwort auf die beliebte Religiösen-Frage "Und wie ist dann der Mensch entstanden? Zufall?"
Im Grunde sind es die Religiösen, die da aus einer wissenschaftlichen Lücke ein Weltbild basteln: "Die Wissenschaft weiß es nicht, es muss Gott gemacht haben." und damit den Atheismus als intellektuell ungenügend dargestellt haben, weil er nicht mal die eine Frage beantworten konnte.
Braucht schon etwas Mühe, dass im Umkehrschluss auf die bösen Atheisten zu projizieren, aber klar, kann man machen.
Dieselbe Schiene wird heute halt mit der noch nicht geklärten Entstehung des Lebens versucht, und wenn die Frage geklärt wird, wird es wahrscheinlich auch heißen, dass die bösen Atheisten das nur aus weltanschaulichen Gründen wissenschaftlich erklären wollen oder sich gar noch, als Gegenargument gegen Gläubige, furchtbar weltanschaulich darauf berufen. Böse, böse Atheisten.
Auch wenn es verblüffend klingt: Es gibt sogar katholische Theologen, die die STE als 'Gottesbeweis' (über Aquins 'via quinta') sehen
Klar, es gibt nichts, woraus Theologen nicht auf die Existenz Gottes schließen können. Das ist ja das schöne an einem leeren Begriff. Und damit man auch für jede These einen Theologen findet, hat Gott ja so viele davon geschaffen.
ps. welcome back! ;-)
@kamenin
=== schnipp ===
Was Dawkins mit seiner Bemerkung über intellektuell abgerundeten Atheismus meint, ist einfach die Tatsache, dass man durch die Evolutionstheorie erklären kann, wie das Leben seine offensichtliche Komplexität erreichen konnte, ganz ohne göttlichen Eingriff.
=== schnapp ===
habe ich das nicht geschrieben?
=== schnipp ===
Vorher hatte halt niemand eine wirkliche Antwort auf die beliebte Religiösen-Frage "Und wie ist dann der Mensch entstanden? Zufall?"
=== schnapp ===
Das war mein Punkt. Allerdings einen Tick weiter: Dawkins braucht dafür nicht 'Evolution', sondern eine bestimmte mechanismische Auffassung von Evolution. Nun zeigt sich aber, dass er mit diesem Mechanismus eben nicht Recht hat. Dass es Alternativen gibt hat JLT ja explizit (wenn auch nicht erschöpfend) angeführt und auch dazu geschrieben, dass das mit Dawkins nicht kompatibel ist.
Dann gibt es für Dawkins eben keine 'wirkliche Antwort' mehr.
Nur zur Sicherheit: die Notwendigkeit eines Designers folgt daraus natürlich nicht.
Allerdings geht die Intelligibilität der Evolution verloren, eben genau das, was dieses Weltbild für viele Menschen so attraktiv macht(e).
@ Schwalmo
Dawkins braucht dafür nicht 'Evolution', sondern eine bestimmte mechanismische Auffassung von Evolution. Nun zeigt sich aber, dass er mit diesem Mechanismus eben nicht Recht hat. Dass es Alternativen gibt hat JLT ja explizit (wenn auch nicht erschöpfend) angeführt und auch dazu geschrieben, dass das mit Dawkins nicht kompatibel ist.
JLT hat "genetic drift" und "chance events" genannt.
Und was sagt Dawkins über "genetic drift"?
"Even on an evolutionary model, there doesn't have to be any natural selection. Biologists acknowledge that a gene may spread
through a population not because it is a good gene but simply because it is a lucky one. We call this genetic drift. How important it is vis-a-vis natural selection has been controversial. But it is now widely accepted in the form of the so-called neutral theory of
molecular genetics."
(TGD, p.189)
Vielleicht sollte man Dawkins mal erklären, dass er da das falsche glaubt, weil er ja was anderes glauben muss, oder er selbst nicht beurteilen kann, was mit seinen eigenen Auffassungen kompatibel ist und was nicht.
"Mechanismische Auffassungen" klingt mir aber mehr danach, als würdest Du Dir da Deine eigene wissenschaftsphilosophische Atheismustheorie zusammenbasteln und die jemand anders unterschieben, damit Du dann was zum Widerlegen hast.
Allerdings geht die Intelligibilität der Evolution verloren, eben genau das, was dieses Weltbild für viele Menschen so attraktiv macht(e).
Die einzigen die damit weltanschauliche Probleme haben könnten, sind Vertreter von theistischer Evolution, die an den großen göttlichen Plan zur Erschaffung des Menschen glauben. Oder Leute, die sonst irgendeine Teleologie in ihrer Herkunft brauchen, damit sie sich besser fühlen.
Atheisten sollten mit Zufall und Gendrift die wenigstens Probleme haben.
@ Schwalmo
"Dawkins braucht dafür nicht 'Evolution', sondern eine bestimmte mechanismische Auffassung von Evolution."
Ist ja sehr interessant. Würde mich mal interssieren, was es denn so alles an nicht mechanismischen Auffassungen von Evolution gibt.
mfg georg
PS
wurde auch Zeit, dass es auf diesem blog mal wieder was neues zu lesen gibt.
@georg
=== schnipp ===
"Dawkins braucht dafür nicht 'Evolution', sondern eine bestimmte mechanismische Auffassung von Evolution."
Ist ja sehr interessant.
=== schnapp ===
es gibt viele mechanismische Auffassungen von 'Evolution', die sich teilweise widersprechen (eben die Evolutionstheorien im Plural, vergleiche einfach mal die STE mit der FET, dann weißt Du, was ich meine). Dawkins vertritt eine bestimmte dieser Theorien, die man als adaptationistisch, externalistisch, gradualistisch und extrapolationistisch charakterisieren könnte (wenn Du die jeweiligen Gegensätze bzw. diese Begriffen permutierst und zusätzlich noch 'mehr oder weniger' einführst, hast Du eine recht umfangreiche Liste mechanismischer Auffassungen von 'Evolution', die Du in den meisten Fällen mit dem konkreten Begriff einer Evolutionstheorie oder dem Namen eines Autors belegen kannst).
=== schnipp ===
Würde mich mal interssieren, was es denn so alles an nicht mechanismischen Auffassungen von Evolution gibt.
=== schnapp ===
Die Lehren, die sich eher mit Deszendenz als mit Mechanismen befassen, beispielsweise die Typostrophenlehre Schindewolfs, in gewissem Sinn auch die Kladistik, aber auch beispielsweise Urzeugungslehren. Streng genommen sogar Darwin, wenn man unter 'Evolution' auch die Entstehung des Lebens fasst.
@kamenin
=== schnipp ===
Dawkins braucht dafür nicht 'Evolution', sondern eine bestimmte mechanismische Auffassung von Evolution. Nun zeigt sich aber, dass er mit diesem Mechanismus eben nicht Recht hat. Dass es Alternativen gibt hat JLT ja explizit (wenn auch nicht erschöpfend) angeführt und auch dazu geschrieben, dass das mit Dawkins nicht kompatibel ist.
JLT hat "genetic drift" und "chance events" genannt.
Und was sagt Dawkins über "genetic drift"?
"Even on an evolutionary model, there doesn't have to be any natural selection. Biologists acknowledge that a gene may spread through a population not because it is a good gene but simply because it is a lucky one. We call this genetic drift. How important it is vis-a-vis natural selection has been controversial. But it is now widely accepted in the form of the so-called neutral theory of molecular genetics."
(TGD, p.189)
=== schnapp ===
was sagt Dawkins in dieser Passage zu seiner Auffassung von 'genetic drift'? Mein Argument war, dass Dawkins für seinen Atheismus, wenn er 'intellectually fulfilled' sein will, eine bestimmte Auffassung von Evolution ('Ultra-Darwinismus') benötigt, die er sehr klar in seinen anderen (vor allem frühen) Büchern darstellt. Schau mal, welche Rolle Drift dort spielt.
=== schnipp ===
Vielleicht sollte man Dawkins mal erklären, dass er da das falsche glaubt, weil er ja was anderes glauben muss, oder er selbst nicht beurteilen kann, was mit seinen eigenen Auffassungen kompatibel ist und was nicht.
=== schnapp ===
Wir können uns gerne in der Evolutionsliteratur anschauen, welche Kritik an welchen Auffassungen Dawkins vorgebracht wurde (Dawkins hat schon lange nichts Fachwissenschaftliches mehr publiziert, ist ja nicht sein Job). Wir können auch gerne checken, welche Aussagen Dawkins wo zu Schöpfung gemacht hat, und wie er in diesem Kontext Evolution mit seinem Glauben verbindet. Eine sehr deutliche Passage habe ich zitiert, ich kenne noch andere, obwohl ich bisher noch gar nicht systematisch gesucht habe.
=== schnipp ===
"Mechanismische Auffassungen" klingt mir aber mehr danach, als würdest Du Dir da Deine eigene wissenschaftsphilosophische Atheismustheorie zusammenbasteln und die jemand anders unterschieben, damit Du dann was zum Widerlegen hast.
=== schnapp ===
Nein, ich habe nur so ziemlich alle Bücher (und noch etwas mehr) von Dawkins gelesen, dazu noch sehr viel Evolutionsliteratur, in der auch über Dawkins geschrieben wurde. Ich glaube nicht, dass ich Dawkins etwas unterstelle. Eine Atheismustheorie benötige ich nicht. Ich wende mich nur dagegen, dass man aus 'Evolution' ein Weltbild macht, weil das für die Evolution als Wissenschaft nicht unbedingt sinnvoll ist.
=== schnipp ===
Allerdings geht die Intelligibilität der Evolution verloren, eben genau das, was dieses Weltbild für viele Menschen so attraktiv macht(e).
Die einzigen die damit weltanschauliche Probleme haben könnten, sind Vertreter von theistischer Evolution, die an den großen göttlichen Plan zur Erschaffung des Menschen glauben. Oder Leute, die sonst irgendeine Teleologie in ihrer Herkunft brauchen, damit sie sich besser fühlen.
Atheisten sollten mit Zufall und Gendrift die wenigstens Probleme haben.
=== schnapp ===
Dann lies noch einmal, was ich oben aus Dawkins zitiert habe. Dawkins bezieht sich übrigens in ähnlichen Kontexten auf Darwin, der seine Origins implizit als Replik auf Paley schrieb. Das, im Kontext mit der Analyse Sobers, gibt ein durchaus stimmiges Bild, warum Dawkins genau das vertritt, was er vertritt.
Dazu kommt noch, dass Dawkins wirklich umfassend informiert ist (zumindest, was Biologie anbelangt, in Theologie sieht das etwas anders aus, aber er hat ja auch erklärt, warum er sich mit bestimmten Positionen nicht befasst). Er schreibt in seinen Büchern genug Nebensätze, die seine Position so qualifizieren, dass man ihm nicht unterstellen kann, dass er die Gegenposition nicht wenigstens kennen würde. Diese Feinheiten kommen bei seinen Anhängern meist nicht so deutlich an. Etliche Kritiker haben allerdings auch schon angemerkt, dass von Dawkins Inhalten nicht viel übrig bleibt, wenn man seine 'catchy phrases' in die übliche Terminologie überträgt.
Versteh' mich nicht falsch, mir geht es nicht um 'Dawkins-Bashing'. Aber gut 30 Jahre Diskussion mit Evolutionsgegnern haben mich zu der Auffassung gebracht, dass es effektiver sein kann, sein Blatt nicht zu überreizen.
@cptchaos
=== schnipp ===
Du schriebst: "Wenn zuviel Individualität auftritt, wird die Modellierung in dem Sinn problematisch, dass sie nicht universal ist."
Ja. Oder die Modellierung ist so Universell, dass sie Individualität nicht berücksichtigen kann. Allgemeine Statistische Modelle haben ja meistens den Ihhalt, das nach diesen so gut wie alles passieren kann wenn auch nur mit geringer Wahrscheinlichkeit.
=== schnapp ===
eben. Bei aller Nützlichkeit, die mathematischer Modellierung zukommt, gab und gibt es in der Evolutionsliteratur auch immer Kritik an derartigen Modellen.
Als jemand, der in Mathematik bestenfalls dilettiert kann ich mit den wenigsten derartigen Modellen etwas anfangen. Mir ist aber aufgefallen, dass es immer wieder vorkommt, dass Modellierer so froh sind, dass sie ihr Modell verstehen, dass sie gar nicht mehr checken, ob das Modell überhaupt etwas 'da draußen' modelliert.
=== schnipp ===
Die Klarheit der Mathematik in ihrer heutigen Strenge ist nicht immer hilfreich. Eben aus dem von dir genanten Grund, dass einem der dargestellte Sachverhalt gar nicht so klar bekannt ist, wie es nötig wäre für eine mathematisch strenge Beschreibung.
=== schnapp ===
Genau. Das bedeutet doch im Klartext, dass man den Sachverhalt kennen muss, bevor man ihn modelliert. Ein Knaller wäre, falls diese Modelle so etwas wie 'synthetische Urteile a priori' wären. Dafür sehe ich aber noch keinen Anhaltspunkt.
=== schnipp ===
Naja was Evolution angeht, habe ich eingentlich eine recht klare Forstellung wie ich das formalisieren würde ganz allgemein mit mitteln aus Informatik, Funktionalanalysis und Mathematischen Statistik. Das aufzuschreiben dauert lange und hat bestimmt schon jemand anders mit einem ähnlichen Gedanken gang gemacht. Meine ideen sind nicht besonders Kreativ nur das "zusammen stöpseln" von höherer Mathematik.
=== schnapp ===
Vermutlich. Aber der hat dann wohl die Fachwelt nicht so überzeugt, dass sich das herumgesprochen hätte.
=== schnipp ===
Aber ich denke, dass man eine art mathematische (Meta-)Sprache entwickeln kann, die alle Prozesse beschreiben kann welche man als Evolutionär bezeichen kann. Inklusive Epigenetik- "Krams", drift und allen anderen auch nur denkbaren modifizierenden Faktoren.
=== schnapp ===
Ich vermute, dass das nicht das Problem ist. Nur ist die Beschreibung halt nur die halbe Miete, wenn man einen historischen Prozess untersuchen möchte.
Viel Erfolg bei Deinem Diplom.
@ Schwalmo
was sagt Dawkins in dieser Passage zu seiner Auffassung von 'genetic drift'?
Siehst Du, das ist Dein Problem: Du nimmst seinen Atheismus und seine Auffassung über genetic drift und denkst Dir, das eine folgt aus dem anderen. Du vermischt Weltbilder und wissenschaftliche Kontroverse, damit Du dann diese Überschreitung Dawkins anlasten kannst.
Wie stark genetischer Drift die Evolution prägt, ist mitnichten geklärt. Das hängt auch sehr stark von der Umwelt und den darin wirkenden Selektionsdrücken zusammen. In meinem Amateurbild (ich arbeite hier und da mit pseudoevolutionären Fits, aber bin kein Evolutionsbiologe) kann bei niedrigem Adaptionsdruck natürlich genetic drift bedeutende Auswirkungen haben; bei hohem Adaptionsdruck entsprechend weniger. Gleichzeitig kommt auch das Ergebnis von Drift wieder unter Selektionsdruck, wenn sich die Umwelt entsprechend verändert. Welche Umwelten in welchen Zeiträumen für welche Lebewesen in ihrer evolutionären Geschichte gewirkt haben, ist eine offene Frage.
An keiner Stelle sehe ich dabei meinen Atheismus in irgendeiner Weise davon betroffen, wie diese wissenschaftliche Frage beantwortet wird. Auch bei Dawkins sehe ich das nicht, sonst müsste ihm das ja irgendwie auffallen, wenn er genetischen Drift inzwischen als allgemein anerkannt ansieht und ihn sogar in seiner Diskussion positiv verwendet. Allerdings legt er mehr Wert auf adaptive Prozesse; aber eben weil ihn vor allem die Frage interessiert, wie Komplexität entsteht: und dafür sind die adaptiven Prozesse direkt verantwortlich, der genetische Drift vegrößert nur die Ausgangsbasis (was allerdings für das Entstehen komplexerer Strukturen indirekt auch ganz wesentlich sein kann).
Daraus zu schließen, dass Dawkins genetischen Drift ablehnen oder runterreden müsste, weil sonst sein Atheismus in Gefahr sei, ist Deine eigene sozialwissenschaftlich verschwurbelte Theoriebildung.
Eine sehr deutliche Passage habe ich zitiert, ich kenne noch andere, obwohl ich bisher noch gar nicht systematisch gesucht habe.
Welche Aussage, die über die Notwendigkeit einer graduellen Evolution? Graduell meint, dass adaptive Merkmale kleinschrittig entstehen. Du meinst nicht ehrlich, dass genetischer Drift der Aussage entgegen steht, oder? Der verbreitet zwar die Zufallsspanne zwischen den Adaptionsschritten, aber ändert überhaupt nichts an der Unwahrscheinlichkeit, komplexe Funktionalität nicht-adaptiv entstehen zu lassen.
Ich wende mich nur dagegen, dass man aus 'Evolution' ein Weltbild macht, weil das für die Evolution als Wissenschaft nicht unbedingt sinnvoll ist.
Ich weiß nicht, an wievielen Stellen Dawkins schon geschrieben hat, dass wir unser Weltbild auf keinen Fall am Ablauf der Evolution ausrichten dürften. Das kann ja wohl nicht gemeint sein.
Das Sinnvollste für die Wissenschaft ist, dass der Mensch wissen will und neugierig ist. Und warum ist er das? Auch weil er nach seinem Platz in der Welt, somit nach einem "Weltbild" sucht. Solange er keinen vorläufigen Stand dogmatisiert und den Anspruch vergisst, dass sein Weltbild möglichst wahr und überprüfbar sein muss, ist da überhaupt gar kein Hinderungsgrund für Wissenschaft, im Gegenteil, das ist eine ihrer grundsätzlichen Quellen.
Dass Vertreter vor- und antiwissenschaftlicher Weltbilder aber auch gerne ihren Zorn gegen die Wissenschaft richten, weil die Welt offenbar einen leicht atheistischen Bias hat, kann nicht bedeuten, dass rationalere Menschen deshalb die wissenschaftlichen Funde relativieren oder nicht mehr ganz so entschieden für die eigene Argumentation verwenden sollten.
ps. Da Du Dich doch offensichtlich mit HTML-Tags auskennst: kannst Du vielleicht irgendeine andere Art des Zitierens finden? Dieses Schnipp-Schnapp finde ich gerade extremst unübersichtlich, vor allem wenn das mehrere Absätze umfasst.
pps. Mit "Platz in der Welt" ist natürlich der geschichtliche gemeint, keinesfalls der Wert; der ist grundsätzlich menschliche Zuschreibung und von Wissenschaft nicht setzbar.
@kamenin
Mit "Platz in der Welt" ist natürlich der geschichtliche gemeint, keinesfalls der Wert; der ist grundsätzlich menschliche Zuschreibung und von Wissenschaft nicht setzbar.
klar, das sehe ich auch so.
Zu Deinem anderen Posting müsste ich entweder sehr viel schreiben, oder kann mich ganz kurz fassen.
Ich mach' mal die kurze Variante: wir reden aneinander vorbei. Ich bilde mir ein, recht ausführlich den Hintergrund meiner Kritik an Dawkins ausgebreitet zu haben (nicht nur in dem Posting an Dich). Ich könnte natürlich noch längelang 'nachlegen', aber ich weiß nicht, ob Dich das wirklich interessiert.
@ Schwalmo
Gegen Deine Kritik an Dawkins, dass er wissenschaftlich vielleicht den Einfluss von Gendrift unterschätzt hat oder es vielleicht auch immer noch tut, habe ich auch nichts. Ist eine wissenschaftliche Diskussion.
Dass aber aus seiner Sicht im Zentrum seines Atheismus und als dessen Voraussetzung eine stark adaptionistische Evolutionsauffassung liegen muss (und nur die), nur weil er in einer wissenschaftlichen Debatte gerade die vertritt (in Deinem Zitat: Erklärung komplexer Funktionalität geht nicht über Zufall/Gendrift allein), hast Du, soweit ich das sehe, bisher nur ziemlich unbelegt behauptet.
@kamenin
Gegen Deine Kritik an Dawkins, dass er wissenschaftlich vielleicht den Einfluss von Gendrift unterschätzt hat oder es vielleicht auch immer noch tut, habe ich auch nichts. Ist eine wissenschaftliche Diskussion.
okay. Ich habe nicht geschrieben, dass JLT eine komplette Liste der wissenschaftlichen Kritik an Dawkins geliefert hat. Wesentlicher als Drift und Zufallselemente ist, dass er 'bookkeeping' mit Mechanismen verwechselt (also die Transmissionsgenetik in den Vordergrund stellt und die 'physiologische Genetik' nicht hinreichend beachtet), was indirekt auch darin zum Ausdruck kommt, dass Dawkins mit EvoDevo nicht wirklich etwas anzufangen weiß. Das geht dann in Richtung dessen, was ich unten noch schreibe. Dawkins benötigt aus nachvollziehbaren Gründen eine bestimmte mechanismische Auffassung von Evolution und ich habe eine Verbindung zwischen seinem persönlichen Weltbild und seiner wissenschaftlichen Auffassung hergestellt.
Du hast Recht, das muss ich natürlich ausführlich begründen. Die meisten Gedanken, die ich hier äußere, habe ich zwar irgendwo gelesen, aber ich vermute, dass ich einen zusammenfassenden Artikel dann doch selber schreiben müsste.
Dass aber aus seiner Sicht im Zentrum seines Atheismus und als dessen Voraussetzung eine stark adaptionistische Evolutionsauffassung liegen muss (und nur die), nur weil er in einer wissenschaftlichen Debatte gerade die vertritt (in Deinem Zitat: Erklärung komplexer Funktionalität geht nicht über Zufall/Gendrift allein), hast Du, soweit ich das sehe, bisher nur ziemlich unbelegt behauptet.
Ich fürchte, ich habe den Fehler gemacht, nicht gleich darauf hingewiesen zu haben, dass Drift das kleinste Problem für Dawkins Ansatz ist (gewichtigere Einwände habe ich oben benannt, ich könnte noch ein paar hinzufügen). Ich formuliere mal ganz kurz, ohne Belege. Wenn Dir das nicht reicht, kann ich gerne Zitate nachliefern (einige sind aber im Thread schon angeführt).
Dawkins schreibt expressis verbis unter Bezug auf Darwin, dass ein Sprung im Prinzip ein Einfallstor für Schöpfung ist. Die Linie über Hume gegen Paley lässt sich nur durchhalten, wenn man eine Erklärung für die Komplexität in der Organismenwelt hat. Eine derartige Erklärung kann nur gradualistisch sein oder sie ist für Dawkins keine. Daher muss Dawkins bestimmte Phänomene in den Vordergrund rücken, während er andere nur schwer in sein Weltbild einbauen kann.
Selbstverständlich könnte Dawkins immer noch Atheist sein, wenn seine Auffassung von Evolution falsch wäre, aber eben nicht mehr intellectually fulfilled. Er würde dann hinter Darwin auf Hume (und ältere Philosophen) zurückfallen.
Ich weiß nicht, ob ich Dir das klarmachen kann. Vielleicht mal ganz 'von hinten'. Einer der schärfsten Gegner von Dawkins war Gould. In einer Rezension von Goulds magnum opus schreibt
Flannery, T. (2002) 'A New Darwinism?' URL: [http://www.nybooks.com/articles/15410]
I could not help but feel that the diverse matter fails to gel into a cohesive theory; yet remarkably Gould leaves us with a self-acknowledged paradox that may explain why this is so. He says that one of his principal themes has been the importance of nonadaptational features of evolution such as spandrels, and of the effects of accidents such as asteroid-induced mass extinctions on the course of evolution. By their very nature such phenomena resist being part of an inclusive evolutionary theory, yet they remain central to Gould's view. If he is correct, then evolution may be one field of science that is not amenable to the application of a grand, overarching theory. This seems an entirely plausible if disconcerting possibility.
Das, was Gould vorschlägt, ist durch und durch naturalistisch, aber die Rolle des Zufalls ist so groß, dass das, was Dawkins benötigt, nicht mehr funktioniert (in der Evolutionstheorie von Dawkins muss die Variation isotrop, in bestimmter Häufigkeit und bestimmtem Ausmaß erfolgen, es ist, wie so oft, kein 'Entweder-Oder' sondern geht nach dem 'Goldilock-Prinzip'). Wenn Gould Recht hat, kann Dawkins kein 'intellectually fulfilled atheist' nach den eigenen Kriterien mehr sein.
Euch ist aber schon klar, dass das eine Frage an 15Jährige war?
Dort liegt doch der Hase im Pfeffer begraben.
@ Schwalmo
Die Linie über Hume gegen Paley lässt sich nur durchhalten, wenn man eine Erklärung für die Komplexität in der Organismenwelt hat.
Klar, das ist eben gemeint.
Eine derartige Erklärung kann nur gradualistisch sein oder sie ist für Dawkins keine.
Das ist eben der Knackpunkt. Und bevor wir uns im endgültig Kreis drehen, noch mal: meiner Meinung nach vermischt Du ohne Beleg bisher zwei Ebenen bei Dawkins. Weltanschauliche Ebene: intellektuell abgerundeter Atheismus braucht eine naturalistische Evolution. Wissenschaftliche Ebene: der Mechanismus der Evolution zur Erzeugung von Komplexität ist graduell und adaptiv.
Du verkürzt das auf: intellektuell abgerundeter Atheismus braucht zwingend eine graduelle und adaptive Evolution.
Zeig mir bitte Zitate, die das unterscheiden können; das ist nicht erledigt mit Zitaten, in denen Dawkins die Wichtigkeit der Evolution betont und die Evolution dann aus adaptionistischer Sicht darstellt.
Er würde dann hinter Darwin auf Hume (und ältere Philosophen) zurückfallen.
Warum sollte er bis zu Humes vorevolutionärer Anschauung zurückfallen, wenn sich andere naturalistische Mechanismen für die Evolution als bedeutsam herausstellen sollten? Was ist denn für Dawkins das mythische Ding an Gradualität und Adaption, dass nur das allein die Evolution voranbringen darf? Dass er die These vertritt, Evolution funktioniere nun mal so, ist doch nicht dasselbe. Versteh ich nicht. Bisher sprichst Du es auch nicht klar aus.
Das, was Gould vorschlägt, ist durch und durch naturalistisch, aber die Rolle des Zufalls ist so groß, dass das, was Dawkins benötigt, nicht mehr funktioniert
Okay: Gendrift, evolutionäre Beiprodukte und Einschlagstheorie kommen alle sogar in Dawkins unwissenschaftlichstem und atheistischen Buch vor. Artikel zu EvoDevo werden immer mal wieder von seiner Webseite aus verlinkt, und PZ Myers scheint er wegen seiner Vorliebe für EvoDevo auch nicht für einen schlechten Atheisten zu halten. An keiner Stelle scheint irgendwo durch, dass andere naturalistische Erweiterungen Dawkins im geringsten in seinem intellektuell abgerundeten Atheismus beeinträchtigen.
Es kann aber nicht sein, dass Du "intellectual fulfilled" irgendwie anders verstehst und auf Dawkins Auffassung von Evolution überträgst: dass er eine fast deterministische, detailliert und ohne Kontingenzen nachvollziehbare, eine "intellektuell vollständige" Evolutionstheorie für seinen Atheismus braucht?
Wenn Gould Recht hat, kann Dawkins kein 'intellectually fulfilled atheist' nach den eigenen Kriterien mehr sein.
Wie gesagt, solange Dawkins selber Goulds Annahmen sogar teilt und verbreitet und sich trotzdem kein bisschen in seinem Atheismus gefährdet sieht, sieht mir das eher so aus, als würde deine Literaturtheorie impliziter Ableitungen über Dawkins' Weltbild dadurch widerlegt.
@kamenin
Eine derartige Erklärung kann nur gradualistisch sein oder sie ist für Dawkins keine.
Das ist eben der Knackpunkt. Und bevor wir uns im endgültig Kreis drehen, noch mal: meiner Meinung nach vermischt Du ohne Beleg bisher zwei Ebenen bei Dawkins. Weltanschauliche Ebene: intellektuell abgerundeter Atheismus braucht eine naturalistische Evolution. Wissenschaftliche Ebene: der Mechanismus der Evolution zur Erzeugung von Komplexität ist graduell und adaptiv.
Du verkürzt das auf: intellektuell abgerundeter Atheismus braucht zwingend eine graduelle und adaptive Evolution.
damit wir uns nicht im Kreis drehen: ich beziehe mich auf Dawkins. Und nur zur Sicherheit: ein derartiges Urteil kann man nicht durch ein paar Zitate aus einem Buch vertreten. Geh' davon aus, dass ich alle Bücher von Dawkins kenne, und noch viel mehr von und über ihn. Ein Autor kann auch zu verschiedenen Zeiten andere Ideen vertreten. Er kann auch in sich widersprüchlich sein. Er kann auch selber gar nicht merken, dass er sich widerspricht. Ein Autor kann auch das, was ihn widerlegt, kennen und zitieren, ohne zu bemerken, dass das mit seinem Ansatz nicht kompatibel ist.
Zeig mir bitte Zitate, die das unterscheiden können; das ist nicht erledigt mit Zitaten, in denen Dawkins die Wichtigkeit der Evolution betont und die Evolution dann aus adaptionistischer Sicht darstellt.
Da es sich um ein komplexes Phänomen handelt, reicht es wirklich nicht, nur ein paar Zitate zu posten. Ich mache Dir einen Vorschlag: ich nenne Dir nun ein paar ausgewählte Texte, die Du bitte liest. Vielleicht gelingt es mir dann, Dir im Kontext zu zeigen, was ich meine. Es sind ältere Texte, Du kannst mir natürlich auch gerne an neueren zeigen, dass Dawkins seine Position geändert hat.
Dawkins, R. (1985) 'What was all the fuss about' Nature 316:683-684
Das ist eine Art Schlüsselarbeit. Dawkins rezensiert hier
Eldredge, N. (1985) 'Time Frames. The Evolution of Punctuated Equilibria' Princeton, New Jersey, Princeton University Press
(diese Arbeit brauchst Du nicht zu kennen, Eldredge war einer der beiden Autoren, die PunkEek in die Diskussion einführten, das Buch ist aus der Rückschau und recht 'zahm' geschrieben, aber Dawkins erkennt genau das Problem für seinen Ansatz).
Ausführlicher stellt er das in
Dawkins, R. (1986) 'The Blind Watchmaker' Essex, Longman
dar. Wesentlich wäre, hier das Vorwort und das Kapitel Puncturing Punctionalism zu lesen. Dann verstehst Du, was Dawkins in der oben zitierten Arbeit vertritt, und warum er es vertritt.
Ich habe schon aus
Dawkins, R. (1995) 'River Out of Eden. A Darwinian View of Life' London, Phoenix
zititert. Hier wären die Kapitel
Do Good by Stealth
und
God's Utility Function
wichtig.
Meine These ist: wenn Dawkins nach seinen eigenen Kriterien ein 'intellectually fulfilled atheist' sein will, geht das nur, wenn Evolution so funktioniert, wie Dawkins sich das vorstellt ('Ultradarwinismus'). Und das ist dann auch eine (psychologische) Erklärung dafür, warum Dawkins eine bestimmte fachwissenschaftliche Position vertrat oder auch noch vertritt, wobei man sagen muss, dass Dawkins schon lange nicht mehr fachwissenschaftlich publiziert, ist ja auch nicht sein Job.
Damit ist nicht gemeint, dass es für andere Menschen nicht möglich sei, aus anderen Gründen 'intellectually fulfilled atheists' zu sein.
@ Schwalmo
Doch, es reichte völlig ein paar Zitate zu posten, wenn es eben solche gäbe, in denen Dawkins sagt, dass er nur die eine Theorie für atheistisch brauchbar hält und alle anderen naturalistischen Mechanismen dafür für ihn aus weltanschaulichen Gründen nicht in Frage kommen (und nicht, weil er sie wissenschaftlich für nicht plausibel hält). Genau das behauptest Du ja, ganz explizit.
Also soll ich jetzt Deine Texte durchgehen und schauen, ob ich in denen irgendwas finden kann, was ich so deuten könnte, dass es Deine Interpretation stützt? Sicher...
Greifbar habe ich nur den Watchmaker (River out of eden habe ich gelesen, werd's mir aber heute nicht wieder besorgen). Daraus bin ich das vorgeschlagene Kapitel durchgegangen. Und was ist es? Eine populärwissenschaftliche Abwägung über evolutionäre Mechanismen; aus welchen wissenschaftlichen Gründen Evolution in den wichtigen Schritten graduell ablaufen sollte.
Große Sprünge (im Phänotyp!) zwischen zwei Generationen sieht Dawkins nicht als brauchbare wissenschaftliche Hypothese, weil sie für die Erzeugung funktionaler Komplexität extrem unwahrscheinlich seien und von einem lebensfähigen Vorfahr ausgehend so gut wie immer schädlich verliefen. Der Unterschied zwischen "Gradualisten" und Elredge und Gould sei vor allem ein inszenierter; Gradualisten vertreten nicht das Zerrbild einer kontinuierlich sich in eine Richtung fortschleichender Evolution, und die Thesen des Punktualismus stehen nach Dawkins' Lesart in keinem Widerspruch zur Synthetischen ET.
Darein soll ich jetzt also interpretieren, wo Dawkins da weltanschaulich getrieben ist, Gradualist zu sein?
Ich gebe Dir zwei Zitate aus dem Watchmaker, die das Gegenteil andeuten.
"For Darwin, any evolution that had to be helped over the jumps by God was not evolution at all. It made a nonsense of the central point of evolution. In the light of this, it is easy to see why Darwin constantly reiterated the gradualness of evolution." (p. 249)
Wie ich im letzten Kommentar schon schrieb: a) Weltanschauung: Evolution und die vermeintlich darin auftretenden Sprünge müssen naturalistisch erklärbar sein. b) Wissenschaft: den Mechanismus müssen wir als graduellen annehmen, solange das die einzige plausible, naturalistische Erklärung dafür ist.
Nirgendwo im Kapitel sagt er aber irgendwas darüber aus, warum er eine plausible, naturalistische Erklärung von Sprüngen ablehnen würde, nur, dass er eine solche nicht sieht.
In der Einleitung versucht er in einem Satz zu beschreiben, was für ihn den Kern der Evolutionstheorie ausmacht:
In essence, it amounts simply to the idea that non-random reproduction where there is hereditary variation, has consequences that are far-reaching if there is time for them to be cumulative. (p. xix)
Das scheint alles zu sein, was für Dawkins eine befriedigende Evolutionstheorie ausmacht. Kein Wort hier, dass eine es eine einer konstant wirkenden, gleichmäßigen Variation und einer konstant vor sich gehenden graduellen Veränderung braucht -- später füllt er das, grob, als sein Verständnis des wissenschaftlichen Inhalt der Evolution ein; aber eben nicht als Kernpunkt dessen, was Evolution an sich für ihn ausmachen muss.
Solange Du nicht nahelegen willst, dass moderne Auffassungen evolutionärer Mechanismen nicht doch behaupten, dass es naturalistisch nicht mehr plausible Sprünge in der Evolutionsgeschichte gegeben hat, sehe ich nicht mal, was Dawkins dagegen schreibt. Bisher zündest Du aber nur ein Andeutungs- und "ich bin Experte"-Feuerwerk nach dem anderen.
Das Buch ist übrigens 22 Jahre alt, und Dawkins war da ja schon etwas länger dabei. Ihm vorzuwerfen, dass er da nicht alle Einzelheiten heutiger Evolutionsbiologie richtig gewichtet oder darstellt, ist auf dem Niveau einer Grundseminars-Literaturtheorie, warum Mark Twain manchmal rassistisch und Bertrand Russell manchmal etwas unreflektiert über "die Juden" schreibt.
Dass er heutige Erweiterungen der ET mit in seine Darstellungen übernommen hat, ohne dass ihn das weltanschaulich zu stören scheint, habe ich Dir schon an Beispielen dargelegt.
Die These, dass Du besser als Dawkins darüber Bescheid weißt, was Dawkins denkt und woraus sich sein Weltbild zusammensetzt, weil Du es in seinen Büchern zu erahnen vermeinst, halte ich für Zeitverschwendung. Bring die passenden Zitate, dann können wir gerne drüber reden. Ansonsten liest Du da nur irgendwas in die Texte hinein, nicht heraus, und kannst es nicht mal belegen; was Dich offensichtlich nicht daran hindert, Deine kleine Spekulation als tiefe faktische Einsicht in das Wesen von Dawkins' Unterbewusstsein zu verkaufen.
@kamenin
ich fürchte, wir reden aneinander vorbei.
Bring die passenden Zitate, dann können wir gerne drüber reden. Ansonsten liest Du da nur irgendwas in die Texte hinein, nicht heraus, und kannst es nicht mal belegen; was Dich offensichtlich nicht daran hindert, Deine kleine Spekulation als tiefe faktische Einsicht in das Wesen von Dawkins' Unterbewusstsein zu verkaufen.
Ich versuch's mal anders herum. ID-ler versuchen, mit IC zu argumentieren. Es gibt zwei Klassen von IC-Systemen: Strukturen, die durch 'direkten Kontakt' funktionieren (wie die Flagelle), und andere, die über Moleküle verkettet sind (beispielsweise das Blutgerinngungssystem).
Nun kann man die These vertreten, dass das IC-Argument anhand der Strukturen präziser formuliert werden kann, unter anderem, weil man hier Maschinenanalogien verwenden kann. Und via Maschinenanalogie ist man schnell beim Maschinenbauer. Man kann nun vertreten, dass der Grund für das Verwenden von Strukturen weniger auf der Präzision der Argumentation basiert, sondern an der Analogie mit dem Maschinenbauer. Unter diesem Aspekt kann man die Arbeiten eines Autors analysieren und schauen, ob er mehr mit Strukturen oder anderen Systemen arbeitet und wie er das macht.
Wenn Du von mir nun verlangst, ich müsse ein konkretes Zitat finden, in dem ein ID-Vertreter schreibt, dass er mit IC-Strukturen argumentiert, weil er so über die Maschinenanalogie leichter einen Designer einführen kann, habe ich Probleme, denn so was sagt so ein Mensch möglicherweise in der Strategiediskussion mit Gleichgesinnten, wird das aber kaum publizieren. Dennoch wage ich, zu vertreten, dass ID-Vertreter aus den genannten Gründen genauso argumentieren, wie ich das angedeutet habe.
Meinen Punkt hinsichtlich Dawkins habe ich ebenfalls benannt. Man findet bei Dawkins Stellen, in denen er expressis verbis Sprünge als Einfallstor für Schöpfung bezeichnet. Dawkins erklärt genau, was er unter einer 'Erklärung' versteht, und warum ein Sprung keine Erklärung in diesem Sinn sein kann. Dawkins sagte auch explizit coram publico, dass Evolution dafür verantwortlich war, dass er seinen Glauben aufgab. Er schrieb auch explizit, warum Darwin (und in diesem Kontext ist damit 'my theory' gemeint, und das ist exakt das, was Dawkins genetisch aufgehübscht vertritt) über Hume hinausging. Und genau in diesem Kontext schreibt er das mit dem 'intellectually fulfilled atheist'. Ich habe das durch Sobers Analyse von Paleys Argument noch in einen größeren Zusammenhang gestellt. Dazu schrieb ich noch, dass das psychologisch erklären könnte, warum Dawkins fachwissenschaftlich so argumentiert wie er argumentiert. Für mich ist diese Kette schlüssig.
Das wird mir zu absurd. Alles, was Dawkins Deiner Meinung nach nicht vertreten dürfte, vertritt er inzwischen, teilweise im selben Abschnitt, in dem er seinen Atheismus beschreibt oder sich gegen Religion und god did it wendet. In A Devil's Chaplain schreibt er sogar, dass die eine Sache, die ihn auf jeden Fall mit Gould eint, sei, dass Evolution eine rein naturalistische Erklärung verdient habe. Auch wenn er auch da wissenschaftlich die Position vertritt, dass graduelle Änderungen vermutlich den einzigen Weg darstellen, funktionale Komplexität zu erzeugen. In Unweaving The Rainbow bezieht er sich sogar explizit darauf, was ihm als "Gradualist" alles für absonderliche Positionen zugeschrieben werden: darf nicht an Zufälle glauben, keine Kometeneinschläge formen den historischen Ablauf Evolution etc.
Und natürlich sind Sprünge da ein "Einfallstor" für Schöpfungstheorie; das sind sie in jeder Theorie, die sie nicht naturalistisch erklären kann, ganz egal wie oft Du das noch als Punkt für Deine viel spezielleren Thesen heranziehen willst.
An keiner Stelle wird in dem "fulfilled atheist"-Gedankengang der Gradualismus hervorgehoben; nur, dass man als Atheist eine Erklärung für scheinbares Design braucht und dass das Fehlen dieser ein Problem darstellt. Du unterscheidest doch noch zwischen naturalistischen und nicht-naturalistischen Modellen, oder?
Wenn Dir das nicht reicht und lieber an Deine Literaturdeutungs-Theorie glauben willst, nach der Du Dawkins besser kennst als er selbst... bitte. Ich würde ja sagen, Du überschätzt da ein wenig die Beweiskraft Deiner Annahmenkette. Aber gut, ich muss nicht spekulieren oder bewerten, warum das so sein könnte.
Beste Grüße und nichts für ungut,
k.
@kamenin
Ich würde ja sagen, Du überschätzt da ein wenig die Beweiskraft Deiner Annahmenkette.
mag sein. Vielleicht habe ich zu viel über Dawkins gelesen.
Okay, ich habe ja schon weiter oben geschrieben, dass ich meine Gedanken umfangreicher ausführen müsste. Das ist dann aber zu lang für einen Blog.
@ Kamenin:
Sehr interessant zu lesen, wie Du als Dawkins-Kenner seine Positionen beschreibst. Ich habe vermutlich nicht annähernd so viel von ihm gelesen, wie Du, habe aber auch oft den Eindruck, dass er vorschnell in eine "Schublade" gesteckt und scheinbare Widersprüche und Probleme konstruiert werden, ohne hinreichend das zu berücksichtigen, was er expressis verbis vertritt. Vielen Dank für die Ausführungen.
Vielleicht noch eine Ergänzung zur "Gradualismus"-Debatte:
Ich habe schon viel über "Evo-Devo" gelesen, wo ja auch in gewissem Maß evolutionäre "Sprünge" diskutiert werden. Keiner der Protagonisten von Evo Devo wäre aber so weit gegangen, zu sagen, die Sprünge nähmen ein solches Ausmaß an, dass sich konstatieren ließe, der Gradualismus wäre widerlegt. Im Gegenteil, die meisten behaupten, größere Sprünge seien fast ausnahmslos letal. Worum es Evo Devo letztlich geht, ist der System-Aspekt, der aber einer gradualistischen Sicht nicht widerspricht, allenfalls einen naiven "Adaptationismus", den Gould & Lewontin schon kritisiert haben.
@ Kamenin:
Was mich interessieren würde, ist, ob es irgendwo Anhaltspunkte dafür gibt, dass Dawkins eben diesem naiven Adaptationismus (bzw. Selektionismus) das Wort redet und sich nicht vorstellen kann, dass auch "epigenetische" Aspekte, z. B. developmental constraints in der Evolution eine Rolle spielen.
@Darwin Upheaval
=== schnipp ===
Was mich interessieren würde,
=== schnapp ===
bisher hast Du Dich als aufrechter Riedlianer immer in Richtung Deines geistigen Ziehvaters hinsichtlich Dawkins geäußert.
Woher nun dieser Sinneswandel?
@ Schwalmo
ich habe immer noch nicht verstanden, worin Dein Problem mit Dawkins' Interpretation der synthetischen Evolutionstheorie besteht.
Dass es Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Gewichtung der verschiedenen Evoluionsmechanismen gibt, ist doch kein Grund daraus eine weltanschauliche Auseinandersetzung zu machen.
Außer, man möchte den Eindruck erwecken, es gäbe innerhalb der Evoöutionstheorie entsprechende weltanschauliche Auseinandersetzungen.
mfg georg
@Georg
ich habe kein Problem mit dem, was Dawkins schreibt. Seine Bücher habe ich gerne gelesen, er ist ein Meister der Formulierung. Einiges von dem, was er fachwissenschaftlich vertritt, halte ich für falsch. Weniger gut gefällt mir, dass er Weltanschauung und Evolution vermascht. Aber das ist wirklich kein Problem, das geht mir mit vielen Autoren so.
=== schnipp ===
Außer, man möchte den Eindruck erwecken, es gäbe innerhalb der Evoöutionstheorie entsprechende weltanschauliche Auseinandersetzungen.
=== schnapp ===
Kommt darauf an, wie man 'Evolutionstheorie' definiert. Wenn man das so macht, wie ich das tue, nicht. Dann gibt es zwar Auseinandersetzungen mit Supranaturalisten, aber innerhalb der Evolutionstheorie gibt es dann nur fachwissenschaftliche Dispute.
Allerdings kommt dabei das zu tragen, was ich dargestellt habe: man kann sich fragen, warum ein Forscher eine bestimmte Auffassung vertritt. Das hat oft außerwissenschaftliche Gründe.
@ d. u.
Ich bin kein so großer Dawkins-Experte (oder gar Biologie-, was das angeht). Ich habe ein paar seiner Bücher gelesen, und die genuin wissenschaftlichen waren vor allem die älteren.
Offensichtlich spricht Dawkins in The Ancestor's Tale über developmental constraints im Sinne Conway Morris'. Da kann ich aber wenig zu sagen, weil ich es nicht gelesen habe. Google Book Search ist dafür verfügbar, aber halt auch recht begrenzt ("I must admit I was impressed by SCM's parallel case for the predictability of the evolution if insects", p.596). Anderswo zieht Dawkins zumindest in Betracht, dass die neuen epigenetischen Zusammenhänge auch das Verständnis des "egoistischen" Replikators verändern und dieser vielleicht anders aufgefasst werden muss.
Dawkins ist auch sicher Adaptionist. Ob im Sinne eines "naiven Adaptionismus" kann ich nicht sagen, dazu kenne ich Goulds Position zu wenig. Dawkins Verteidingung ist aber immer wieder, dass beide seiner Meinung nach in allen wichtigen Fragen übereinstimmen und die Differenzen nur aus anderer Gewichtung und vor allem anderer Sprache und Kommunikation herrühren.
@ El Schwalmo:
"bisher hast Du Dich als aufrechter Riedlianer immer in Richtung Deines geistigen Ziehvaters hinsichtlich Dawkins geäußert.
Woher nun dieser Sinneswandel?"
Seine "Memetik" ist halt daneben, ebenso wie sein Gen-Reduktionismus. Ob der "Gradualismus" gescheitert ist, ist wieder eine andere Frage.
Außerdem ist nicht ganz klar geworden, ob Dawkins tatsächlich einem "ontologischen" Reduktionismus das Wort redet (wie Du AFAIK behauptest) oder nur einem "methodologischen" Reduktionismus, der auch gegenüber "Epigenetik" aufgeschlossen ist.
@ El Schwalmo:
"Meinen Punkt hinsichtlich Dawkins habe ich ebenfalls benannt. Man findet bei Dawkins Stellen, in denen er expressis verbis Sprünge als Einfallstor für Schöpfung bezeichnet. Dawkins erklärt genau, was er unter einer 'Erklärung' versteht, und warum ein Sprung keine Erklärung in diesem Sinn sein kann..."
"Okay, ich habe ja schon weiter oben geschrieben, dass ich meine Gedanken umfangreicher ausführen müsste. Das ist dann aber zu lang für einen Blog."
Vermutlich solltest Du zu diesem Thema wirklich mal einen längeren Text schreiben und das anhand von Zitaten im Gesamtzusammenhang seiner Äußerungen belegen. Der wäre sicher sehr interessant zu lesen, wenn Du Deine Thesen ordentlich begründen kannst. Vielleicht würde dann auch anderen Menschen klarer, dass Dawkins tatsächlich einen ontologischen Gen-Reduktionismus vertritt, der mit epigenetischen Erklärungsansätzen crasht.
Dabei müsste man vermutlich auch sehr genau darauf achten, was Dawkins unter einem "Sprung" versteht. Wenn damit eine "Saltation" Goldschmidtschen Typs gemeint ist, würde auch ich das unterschreiben, was Dawkins sagt. Auch die Evo-Devo-Vertreter scheinen sich weitgehend darin einig zu sein, dass "große Sprünge" nicht erfolgversprechend sind.
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