29 January 2008

Gastbeitrag von Martin Neukamm.

Kreationismus und Grundtypmodell: Über die Irrungen und Wirrungen der Evolutionskritik

Es gibt Momente, da wird besonders deutlich, dass viele Evolutionsgegner offenbar nicht so recht wissen, worüber sie reden. Nicht, dass es ihnen nur schwer fiele, den Inhalt von Begriffen wie "Schöpfung", "Design", "specified complexity" oder "Dreifaltigkeit" in angemessener semantischer Klarheit zu explizieren. Nein, auch die logischen Konsequenzen ihrer Modelle sind ihnen offenbar nicht gegenwärtig. Ein beredetes Beispiel liefert wieder mal Heiligs Blog, der sich vor einiger Zeit zur Kritik am kreationistischen "Grundtypmodell" wie folgt äußerte:
…NEUKAMM (2005) charakterisiert dieses Modell schlicht als auf der Vorstellung beruhend, 'dass der Schöpfer eine Reihe von Stammarten erschaffen habe…' (Fette Hervorhebung nicht im Original). Neukamm liegt sicherlich falsch, wenn er das Grundtypenmodell damit prinzipiell als 'kreationistisch' charakterisiert... Selbstverständlich kann das Grundtypenmodell auch in einem Schöpfungsrahmen interpretiert werden – das Konzept selbst gibt dies jedoch nicht notwendigerweise vor (und ist selbstverständlich auch von seiner Methodik her rein naturalistisch).

Nun ist es mit Prinzipien und Notwendigkeiten so eine Sache. Hätte Heilig die Kritik am Grundtypmodell prinzipiell verstanden, dann wäre ihm notwendigerweise aufgefallen, dass er Bastionen verteidigt, die niemand anzugreifen gedenkt. Entgegen Heiligs Darstellung gestehen die Kritiker ja durchaus zu, dass eine naturalistisch-wissenschaftliche Grundtypforschung in gewissem Rahmen durchaus möglich sein könnte. Dass sich einige Hypothesen, wie beispielsweise das Konzept der "genetischen Polyvalenz", testen lassen, wird explizit zugestanden, wovon sich Heilig mühelos hätte überzeugen können, hätte er die von ihm kritisierte Arbeit nur gelesen:
Wie aber sieht es … mit dem Kreationismus und seinem Grundtypmodell aus? Auch hier gilt, dass die allgemeine Schöpfungshypothese … zunächst spezifiziert, d.h. mit Zusatzannahmen angereichert werden muss, damit sich aus ihr prüfbare Folgerungen ergeben. Im Rahmen entsprechender Hilfshypothesen wird dann eben behauptet, der Schöpfer habe genetisch polyvalente Stammarten erschaffen, sie gemäß eines 'Baukastenprinzips' einander ähnlich gemacht und Mikroevolution innerhalb abgrenzbarer Grundtypen zugelassen. Daraus resultieren dann die oben bereits genannten Folgerungen, die sich empirisch prüfen lassen, sodass eine Grundtyp-Forschung in gewissem Umfange tatsächlich möglich sein mag. (Hervorhebung nicht im Original).
Nun wird sich der aufmerksame Leser zu Recht fragen, worin denn eigentlich der Unterschied zwischen evolutionären Modellen und dem Grundtypmodell bestehen soll, wenn alle supranaturalistischen Komponenten aus dem Grundtypmodell entfernt werden und man sich rein auf die erforschbaren Aspekte zurück zieht. In gewisser Weise schießt sich Heilig mit seiner Immunisierungstaktik selbst ins Knie: Ein Modell über die Entwicklung der Arten, das keinerlei schöpfungstheoretische (Zusatz-) Annahmen enthält, geht über evolutionäre Aspekte nicht hinaus. Die wesentlichen Teilstücke des Grundtypmodells, wie die "genetische Polyvalenz", sind ohnehin essentielle Folgerungen moderner evolutionärer Theorien, wenn man sie beispielsweise mit prüfbaren entwicklungsbiologischen Zusatzannahmen anreichert (Neukamm 2005).

Mit anderen Worten: Ein Grundtypmodell, das sich an evolutionäre Mechanismen, Axiome und Folgerungen anlehnt, zur Klärung der eigentlichen "Ursprungsfrage" aber keine eigenständige Erklärung beisteuert, ist wissenschaftlich völlig bedeutungslos. Das Grundtypmodell kann – wenn es überhaupt einen Wert für die Kreationisten haben soll - nur ein abhängiges Modell einer Schöpfungstheorie sein, so wie evolutionäre Modelle immer nur abhängige Modelle der Evolutionstheorie sein können – ansonsten fielen die Aussagen des Grundtypmodells mit den Aussagen der Evolutionstheorie zusammen.

Natürlich kann man das Grundtypmodell, befreit von allen supranaturalistischen Komponenten, im Kostüm des "zahnlosen Tigers" präsentieren, damit man alle Vorteile der Kritikimmunisierung auf seiner Seite hat. Evolutionsgegner geben sich damit aber nicht zufrieden, ist es doch gerade ihr eigentliches Ziel, irgendwie den Kraftschluss zwischen Empirie und dem Schöpfungsparadigma zu bewerkstelligen (also so etwas wie eine logische Brücke zu einer "empirisch-wissenschaftlichen Schöpfungsforschung" zu bauen), und genau dazu dient – als Trojanisches Pferd – eben das Grundtypmodell! Sobald im Rahmen einer religiösen Deutung Bezüge zum Schöpfungsparadigma hergestellt werden, fließen unprüfbare Zusatzannahmen (wie z.B. in Gestalt der These, Gott habe die Arten benachbarter Grundtypen nach einem "Baukastenprinzip" einander ähnlich erschaffen) in das Grundtypmodell ein – ob man es nun wahrhaben möchte oder nicht. Und die Moral an der Geschichte noch einmal so formuliert, dass es auch C. Heilig versteht: Grundtypforschung ohne schöpfungstheoretische Zusatzannahmen geht klar! Aber nix wissenschaftliche Schöpfungsforschung!
Wie soll dieser Kraftschluss zwischen Empirie und Schöpfung eigentlich bewerkstelligt werden? Was uns Reinhard Junker dazu erklärt, ist ein wahrhafter Kalauer:
A.: Es "… wird gezeigt, dass sich die Existenz abgrenzbarer Grundtypen aus dem biblischen Schöpfungsparadigma ergibt (jedenfalls dass ihre Existenz mindestens sehr nahe liegt)".

B: "Wenn also das Grundtypkonzept getestet wird, wird damit auch das Schöpfungsparadigma auf Plausibilität getestet“ (S. 4).
Die bemerkenswerte Logik muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Im Grunde sagt Junker doch nichts anderes als dies: Die Hypothese, Gott habe polyvalente, abgrenzbare Grundtypen erschaffen, lässt sich mithilfe der Bibel plausibel begründen (jedenfalls legt sie deren Existenz sehr nahe). Wodurch aber wird den biblischen Aussagen Plausibilität verliehen, die genau dies nahe legen? Antwort: Durch das Grundtypmodell bzw. durch die Hilfshypothese, polyvalente Grundtypen seien erschaffen worden.

Unter Rückgriff auf diese Logik könnte Junker auch folgendermaßen argumentieren:
Die Existenz rosaroter Dämonen, die Sterne zum Explodieren bringen, folgt aus dem gleichnamigen Roman von Asimov (jedenfalls legt er ihre Existenz sehr nahe). Wenn also die Existenz explodierender Sterne auf Plausibilität getestet wird, wird damit auch das Paradigma von der Existenz rosaroter Dämonen, die Sterne zum Explodieren bringen, getestet.
Kurz: Es liegt ein fataler Zirkel wechselseitiger Selbstbestätigung (eine so genannte "petitio principii") vor! In beiden Fällen wird Hypothese A durch Hypothese B begründet, die aber implizit wiederum die Richtigkeit von Hypothese A und damit genau das voraussetzt, was doch begründet werden soll! Und das ist nicht nur logischer Unsinn, sondern – unter dem Deckmantel der Grundtypforschung – auch Pseudowissenschaft, solange es sich bei den Dämonen/Schöpfern und ihrer Interaktion mit der Materie um völlig unbekannte Faktoren handelt.

Der Versuch, innerbiblisch konsistent zu bleiben und trotzdem wissenschaftlich stringent zu argumentieren, ist die eigentliche Tragödie an der Geschichte: Entweder, man glaubt an die wörtliche Lesart der Bibel und lässt die Wissenschaft ihres Weges ziehen. Oder man bemüht sich, wissenschaftlich konsistent zu bleiben – dann lässt sich mit solcherart biblischen Glaubensannahmen kein Blumentopf gewinnen. Aber die Annahme einer Schöpfung genetisch-polyvalenter Stammarten, die in Gestalt des Grundtypmodells wissenschaftlich plausibel zu machen sein soll, ist absurd: Weder kann man mithilfe wissenschaftlicher Methoden etwas plausibel machen, was wissenschaftlichen Methoden per definitionem (!) unzugänglich ist, noch kann man mit wissenschaftlichen Methoden die Tragweite wissenschaftlicher Methoden selbst in Frage stellen. Was soll man, dies alles im Hinterkopf behaltend, nur von Heiligs folgender Aussage halten?
Interessanterweise hat es Neukamm auch nicht nötig, einmal aus der Originalmonographie 'Typen des Lebens' zu zitieren oder auch nur auf sie hinzuweisen … So erstaunt es wenig, dass ihm die eigentliche Natur des Konzepts nicht verständlich war.
Das Gebot der Höflichkeit verbietet es, diesen Satz in angemessener Weise zu kommentieren.


M. Neukamm


Martin Neukamm ist Mitglied der AG Evolutionsbiologie. Auf seiner Homepage finden sich viele Beiträge rund um Evolution, Kreationismus, Schöpfung und Evolutionskritik, von denen nicht alle immer auf Gegenliebe stoßen. Martin hat mich gefragt, ob er gelegentlich seine Antworten auf Kritik auf meinem Blog veröffentlichen kann, da ein Blog dafür das geeignetere Format ist. Aber klar doch! Das heißt natürlich nicht, dass ich notwendigerweise in allen Einzelheiten mit dem Geschriebenen übereinstimme. JLT

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