26 November 2006

Mutantenzahl-Berechnung Oder METHINKS IT IS LIKE A WEASEL

Eins von vielen Kreationisten-Argumenten (hier eine schöne Liste mit den All-time-favorites, jeweils zusammen mit einer Widerlegung) ist die Behauptung, Evolution sei statistisch "unmöglich". Dieses Argument basiert auf einer fundamentalen Unkenntnis der Evolutionstheorie, der Abwesenheit logischen Denkens und in den meisten Fällen auch auf der Unfähigkeit, mit statistischen Aussagen irgendetwas anzufangen. Ich habe eine schönes Beispiel, welches dies illustriert.

Zahl der Mutanten - eine Rechnung als Beweis der realen Existenz Gottes [von Georg Todoroff]

Aus zehn Ziffern (0,1,2,...,8,9) lassen sich 100 = 10^2 zweistelligen Zahlen bilden. Die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten wird also berechnet mit

(Zahl der Ziffern = 10) ^ (Zahl der Stellen = 2)

Die DNS des Menschen ist ein langkettiges Molekül (weshalb es unmöglich in Wasser entstehen kann, was jeder Chemiker weiß), die sogenannte Doppelhelix, vorzustellen als verdrillte Strickleiter mit ca. 3 Milliarden Leitersprossen. Jeder dieser Leitersprossen besteht aus drei „Ziffern“ von vier möglichen (A,C,G,T). Wie viel Möglichkeiten der Anordnung gibt es?

(Zahl der „Ziffern“ = 4) ^ (Zahl der Stellen = 3) = 4^3 = 64

Woah. Da stellen sich mir wahrhaftig die Nackenhaare auf.

Die "Leitersprossen" der DNA bestehen nicht aus drei "Ziffern". Einzelsträngige DNA besteht aus einem "Rückgrat" aus Desoxyribose-Molekülen und Phosphatresten. An die Desoxyribose-Moleküle kann eine von vier Basen gebunden sein (Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin). Im Genom liegt DNA doppelsträngig vor, wobei jede der Basen mit der komplementären Base gepaart vorliegt. Adenin bindet an Thymin, Guanin an Cytosin. D. h. die "Leitersprossen" bestehen entweder aus A-T oder C-G.

(Bild-Quelle)

Ein Gen besteht aus einer Abfolge von Nukleotiden (eine der vier Basen + Desoxyribose + Phosphatrest). Wird es abgelesen, wird es zunächst in RNA "umgeschrieben" (transkribiert) und dann in eine Reihe von Aminosäuren (= Protein) "übersetzt" (translatiert).
RNA ist ein einzelsträngiges Molekül, das ähnlich wie einzelsträngige DNA aufgebaut ist. Anstelle von Desoxyribose enthält das "Rückgrat" aber Ribosemoleküle und Thymin ist durch Uracil ersetzt. Bei der Transkription wird eine Negativ-Kopie des kodierenden DNA-Strang aus RNA erstellt (messengerRNA), wobei jeweils die komplementären Basen verwendet werden, d. h. A wird zu U, T zu A, G zu C, C zu G.
Bei der Translation wird die mRNA-Sequenz schließlich in eine Aminosäure-Sequenz umgesetzt. Dabei entsprechen jeweils drei aufeinander folgende Basen (ein Codon) einer bestimmten Aminosäure. Es sind 64 verschiedene Codons möglich (an drei Stellen kann jeweils ein von vier Basen stehen: 43 = 64), die jeweils eine bestimmte Aminosäure kodieren, bzw. Start- (ein Codon) und Endpunkt (zwei Codons) der Translation bestimmen. Es gibt nur 20 direkt kodierte proteinogene Aminosäuren (nachträgliche Modifikationen dieser Aminosäuren kommen vor), d. h. viele der Aminosäuren werden durch zwei oder mehrere verschiedene Codons kodiert.
Was der Autor hier also berechnet, ist nicht die Zahl der möglichen "Leitersprossen", die ist und bleibt 4, sondern die Zahl möglicher Basen-Tripletts oder Codons.

Weiter geht's:

Wir stellen uns also jetzt eine Strickleiter mit 64 Leitersprossen vor, die alle eine andere Farbe haben. Wie viel Möglichkeiten gibt es, diese64 Leitersprossen anzuordnen.

64-Fakultät = 64! = 1*2*3*...*62*63*64

64! kann ein Taschenrechner gerade noch berechnen. Wir erhalten rund10^89, eine 1 mit 89 Nullen. Das ist etwa die geschätzte Zahl der Atome des Weltalls, vielleicht ist sie es ja auch, wer weiß das schon.

Seufz.

Nehmen wir mal an, ich hätte 64 Karten mit verschiedenen Symbolen darauf und würde die in einen Sack stecken. Jetzt ziehe ich blind eine Karte heraus und lege sie auf den Tisch. Darauf kann eins von 64 Symbolen sein. Nun ziehe ich eine zweite Karte. Da ich ja schon eine Karte aus dem Sack gezogen habe, kann ich nun nur noch eine von 63 Karten ziehen. Die gezogene Karte lege ich auf den Tisch und ziehe erneut eine Karte. Eine aus 62 Karten. Dann eine aus 61 Karten, 60, 59, ... 1. Um die Anzahl verschiedener Anordnungen, die ich ziehen könnte, zu erhalten, müsste ich also 64 x 63 x 62 x 61 x 60 x ... x 1 oder in Kurzform 64! berechnen.

Aber a) gibt es nur 4 verschiedene Basen und nicht 64, b) gibt es von jeder Base so viele wie man will, darum berechnet man die Anzahl möglicher Tripletts auch mit 4 x 4 x 4 und nicht 4 x 3 x 2 und c) was soll der Unsinn? Es gibt 6464 Möglichkeiten, wie Codons in einer 64 Codon-langen Sequenz angeordnet sein könnten. UND?

Wir wollen nun wissen, wie lange göttin Evolution bräuchte, alle diese Möglichkeiten (Lebewesen) zu erzeugen und auszutesten (welche nur 64 Leitersprossen in der DNS haben; schon ein Parasit ohne Zellwand- Mycoplasma genitalium - hat 580 070 Leitersprossen, Basenpaare). Wir billigen jedem Lebewesen eine Sekunde Lebenszeit und eine Lebensraum von 1mm² zu.

Die Oberfläche der Erde beträgt grob 500 Millionen = 5*10^8 km², wir sind großzügig und sagen 10^9 km².

1 km² = 10^6 * 10^6 mm². Folglich besteht die Oberfläche unsere Planeten aus weniger als 10^21 mm².

Ein Jahr in Sekunden: 365 * 24 * 60 * 60 ergibt rund 31 Millionen. Wir sind großzügig und sagen 100 Millionen = 10^8 Sekunden.

In einer Sekunde können also (in unserer gewählten Methode) 10^21Mutanten erzeugt und ausgetestet werden, folglich in einem Jahr 10^21 * 10^8 = 10^29.

Das Weltall soll ein Alter von 10-20 Milliarden Jahren haben. Wir sind großzügig und sagen 100 Milliarden = 10^11 Jahre.

Werden nun in einem Jahr 10^29 Mutanten erzeugt und ausgetestet, so in 10^11 Jahren

10^11 * 10^29 = 10^40.

Wäre also das Weltall 100 Milliarden Jahre alt und wären in jeder Sekunde so viel Mutanten erzeugt und ausgetestet worden, wie auf jedem Quadratmillimeter unseres Planeten passen, dann wären erst 10^40 von 10^89 Mutanten getestet worden, also der 10^89 / 10^40 = 10^49 -ste Teil (auch für diese Zahl haben wir kein Wort).

Und wäre das Weltall so viel Jahre alt wie es Sekunden alt ist, es wäre noch immer nicht die Hälfte erreicht. Ein Bakterium aber hat nicht bloß die 64 hier vorgerechneten Leitersprossen, sondern über eine Million. q.e.d.

Mann, muss das Leben einfach sein, wenn man so ein beschränktes Denkvermögen hat.

Die tatsächliche Anzahl möglicher Kombinationen von vier Basen in einer 3 Milliarden langen Sequenz (wie das menschliche Genom) beträgt 43.000.000.000. Das ist eine riesige, RIESIGE Zahl. Nicht so popelig wie 1089. Warum ist das trotzdem egal?

Weil keiner behauptet, 3 Milliarden Nukleotide hätten sich einfach so aneinandergelagert und *plopp*, plötzlich war da ein Mensch (außer den Kreationisten, die behaupten, Gott hätte es genau so gemacht).

Das Problem mit dieser Betrachtungsweise ist zweifach.
Zum einen ist sie sozusagen "von hinten". Es wird eine einzige Sequenz betrachtet, so getan, als wäre diese eine Sequenz von Anfang an das Ziel gewesen und dann die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der diese einzelne Sequenz zufällig in einem einzigen Schritt entstanden sein könnte.
Ich habe keine Ahnung, wie viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten, Bakterien und Pilze es seit der Entstehung der Erde gegeben hat. Alle haben eine andere Genomsequenz. Die Individuen einer Art haben (fast) alle unterschiedliche Sequenzen. So zu tun als wäre nur eine einzige Sequenz möglich, ist einfach falsch. Die Evolutionstheorie behauptet ja eben gerade nicht, dass von Anfang an z. B. der Mensch das Ziel der Evolution gewesen sei, die Evolutionstheorie besagt, dass Evolution ungerichtet verläuft. Es ist eben keine Lotterie, bei der nur eine Zahlenkombination gewinnt.

Der zweite grundlegende Fehler besteht in der Kleinigkeit der fehlenden Einbeziehung von natürlicher Selektion. Die "Kurzformel" der Evolutionstheorie ist random mutation + natural selection. Man kann doch nicht die eine Hälfte der Rechnung weglassen und sich dann beschweren, dass das Ergebnis nicht stimmt!
[Bringen Leute, die solche "Berechungen" anstellen, auch einen neuen Fön zurück in den Laden, weil er nicht funktioniert, wenn sie den Stecker nicht in die Steckdose gesteckt haben?]

Den Unterschied, den die Einbeziehung von natürlicher Selektion auf solche Berechnungen hat, demonstrierte Richard Dawkins, ein britischer Evolutionsbiologe, mit dem "Weasel Program".
Er wählte die Hamlet-Zeile "METHINKS IT IS LIKE A WEASEL" als Zielsequenz. Es gibt 2728 (~ 1040) Kombinationen einer 28 Zeichen lange Kette, die aus 27 (26 Buchstaben + Leerstelle) möglichen Zeichen aufgebaut sein kann. Wie Herr T. in seiner "Berechnung" ja schon demonstriert hat, würde es sehr, sehr lange dauern, durch reines Ausprobieren auf diese bestimmte Kombination "METHINKS IT IS LIKE A WEASEL" zu kommen, selbst wenn pro Sekunde Millionen von Kombinationen generiert würden.

Das Weasel-Programm beinhaltet aber einen entscheidenden Unterschied. Es wird eine Zufallskombination aus Buchstaben/Zeichen generiert. Diese wird immer wieder verdoppelt und bei jeder Vervielfältigung kommt es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu einem Fehler, einer "Mutation". Das Computerprogramm wählt nach jeder Generation diejenige mutierte Buchstabenkombination aus, die der Zielphrase am ähnlichsten ist, und vervielfältigt nun diese. In Dawkins Worten (The Blind Watchmaker, 1986):
We again use our computer monkey [Anm.: Dies bezieht sich auf das Unendlich-viele-Affen-Theorem, nachdem ein Affe, der unendlich lange zufällig auf einer Tastatur herumtippt, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit irgendwann z. B. die Werke Shakespeares getippt haben wird], but with a crucial difference in its program. It again begins by choosing a random sequence of 28 letters, just as before ... it duplicates it repeatedly, but with a certain chance of random error – 'mutation' – in the copying. The computer examines the mutant nonsense phrases, the 'progeny' of the original phrase, and chooses the one which, however slightly, most resembles the target phrase, METHINKS IT IS LIKE A WEASEL.
In dem die Zeichen beibehalten werden, die der Zielphrase entsprechen, und die restlichen Zeichen immer wieder zufällig durch andere Zeichen ausgetauscht, wird die Zeichenfolge mit jeder "Generation" der Zielphrase immer ähnlicher ("cumulative multi-step-selection"):
Generation 01: WDL MNLT DTJBKWIRZREZLMQCO P
Generation 02: WDLTMNLT DTJBSWIRZREZLMQCO P
Generation 10: MDLDMNLS ITJISWHRZREZ MECS P
Generation 20: MELDINLS IT ISWPRKE Z WECSEL
Generation 30: METHINGS IT ISWLIKE B WECSEL
Generation 40: METHINKS IT IS LIKE I WEASEL
Generation 43: METHINKS IT IS LIKE A WEASEL
Während ein Computerprogramm, das zufällig Zeichen-Reihen erstellt, diese dann mit der Zielsequenz vergleicht und bei nicht 100 %-iger Übereinstimmung wieder verwirft, um eine neue zufällige Zeichen-Reihe zu generieren ("single-step-selection"), möglicherweise heute noch nicht bei der Zielphrase angekommen wäre, selbst wenn es gleichzeitig mit der Entstehung des Universums gestartet wurde, brauchte Dawkins Weasel-Programm nach seiner Aussage das erste Mal etwa eine halbe Stunde und 43 Generationen, um "METHINKS IT IS LIKE A WEASEL" zu generieren (als er das Programm später von BASIC in PASCAL umgeschrieben hatte, brauchte es nur noch 11 Sekunden).

Dieses Computer-Programm ist insofern natürlich kein gutes Modell für Evolution, als dass es eine bestimmte Zielphrase gibt. Aber es zeigt sehr gut den ausgeprägten Effekt, den natürliche Selektion hat (was auch genau das ist, was Dawkins mit diesem Programm demonstrieren wollte) und ist mit Sicherheit ein besseres Modell für Evolution als die "Berechnungen", die Herr T. oder andere Kreationisten anstellen.

Dawkins selbst zu den Limitationen des Programms:
Although the monkey/Shakespeare model is useful for explaining the distinction between single-step selection and cumulative selection, it is misleading in important ways. One of these is that, in each generation of selective 'breeding', the mutant 'progeny' phrases were judged according to the criterion of resemblance to a distant ideal target, the phrase METHINKS IT IS LIKE A WEASEL. Life isn't like that. Evolution has no long-term goal. There is no long-distance target, no final perfection to serve as a criterion for selection, although human vanity cherishes the absurd notion that our species is the final goal of evolution. In real life, the criterion for selection is always short-term, either simple survival or, more generally, reproductive success.
Ich hatte etwas ähnliches auch in dem Forum geantwortet, in dem Herr T. sein Mutantenzahl-Berechnung gepostet hatte, mittlerweile existiert aber interessanterweise nur noch das Ausgangspost, die Antworten sind weg (vielleicht im Archiv gelandet? Interessiert mich nicht genug, um nachzuschauen.). Ich kann aber verraten, dass Herr T. sich nicht überzeugen ließ. Wie überraschend.

MfG,
JLT

4 Kommentare:

Anonymous said...

Oh man! Dieser Todoroff ist aber echt ne Kuriosität für sich. Weißt du, ob der Typ wirklich existiert oder ist der ne Kunstfigur, mit der sihc irgendjemand nen Spas macht? Wenn es den echt geben sollte, dann ist der definitiv ernsthaft geistegestört.

JLT said...

Leider, leider gibt es den in echt. Wenn Du mal eine besonders masochistische Ader in Dir fühlst, kannst Du ja versuchen, mit ihm in seinem Forum zu diskutieren.

Oh, Korrektur, ich habe gerade gesehen, dass Du Dich da schon vergnügst. Na, viel Spass. Ich bin ja gebannt worden, aber ab und an findet man mich im Freien Bereich (biologe2), wenn meine masochistischen Gelüste überhand nehmen.

Seine Homepage ist übrigens www.wahrheit.tv, wenn Du mal *wirklich* was krankes sehen willst.

MfG, JLT

Anonymous said...

ich find es gut, dass sich jemand diesem leidigen Thema annimmt, aber ignorante Leute wie Herrn T. wollen plausible wissenschaftliche Begründungen gar nicht erst anhören, sondern beharren auf ihre eigen konstruierte Wahrheit.

Ich denke die Existenz solcher Bewegungen wie beispielsweise die Kreationisten hat etwas mit Psychologie zu tun.
Der Mensch muss weg von der Illusion er sei etwas besonderes in dieser Welt. Ich find es nicht so schlimm zu akzeptieren, einfach ein Zufallsprodukt zu sein. Andere haben scheinbar Probleme damit.
In habe in dem Forum von Herrn T. bislang noch nichts geschrieben, weil es nichts bringt mit solchen Leuten zu diskutieren.
Ich betreibe einfach seriöse freie wohlbegründete Wissenschaft.
Solange niemand eine wirklich besser funktionierende und besser erklärende Alternative zur Evolutionstheorie hat, sehe ich sie als allgemein gültig an, zumal sie keines Wegs mehr eine Theorie im Sinne einer Hypothese ist.
Die Relativitätstheorie hat sich auch schon genügend oft bestätigt.

Ich bin ja froh, dass ich in einer Zeit lebe in der man nicht gleich verhaftet wird, nur weil man ein heliozentrisches Weltbild hat.

In Amerika dagegen scheint sogar in der heutigen Zeit immer häufiger mittelalterliches Gedankengut vertreten zu werden.

JLT said...

Hi anonymus!

Was Herrn T. angeht, bei dem kommt tatsächlich jede Hilfe zu spät.

Wenn man in öffentlichen Foren mit Todi und ähnlich Verwirrten "diskutiert", dann sollte man das mMn nicht mit dem Ziel machen, denjenigen welchen zu überzeugen, sondern darauf hoffen, Mitlesern, die sich nicht sicher sind, was an den aufgestellten Behauptungen dran ist, zeigen zu können, dass sie jeglicher Grundlage entbehren.