24 November 2006

Kreationismus in Deutschland?

Ich habe zwei Umfragen zu dem Thema "Kreationismus in Deutschland" ausgegraben. Die erste ist eine von Die Zeit in Autrag gegebene Umfrage (durchgeführt von Infratest; veröffentlicht Januar 2006), die zweite Umfrage wurde von forsa im Autrag von Fowid (Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland; September 2005) durchgeführt.

Zeit-Umfrage

Nach dieser Umfrage glauben fast 50 % der Befragten, dass eine "höhere Macht" die Erde und das Leben geschaffen hat. Auf der anderen Seite akzeptieren 65 %, dass Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren haben. Diese Frage beinhaltet zwar nicht, ob diejenigen, die dieser Aussage zustimmten, einen "göttlichen" Einfluss für möglich halten oder nicht, aber immerhin wird damit eine gleichzeitige Schöpfung abgelehnt und eine "junge" Erde (~ 6000 - 10000 Jahre) ist, jedenfalls wenn man zu grundlegendem logischen Denken fähig ist, damit auch ausgeschlossen.

Die zweite Umfrage von Fowid (Link zu .pdf) ist detaillierter, in soweit, dass sie die Aussagen z. B. nach Alter, Konfession/Konfessionslos, Schulbildung und Alte/Neue Bundesländer aufsplittet.
Fowid wurde Anfang 2005 von der Giordano Bruno Stiftung (Stiftung zur Förderung des evolutionären Humanismus) ins Leben gerufen, die eine ausgesprochen religionskritische Haltung einnimmt, wie man z. B. sehr leicht der Einleitung des Manifest des evolutionären Humanismus, verfasst vom Vorstandssprecher der Stiftung, Michael Schmidt-Salomon, entnehmen kann.

Leider ist die Fragestellung meiner Meinung nach nicht sonderlich gelungen. Die Befragten sollten sich für eine dieser drei Aussagen entscheiden:
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie das Leben auf der Erde entstanden ist und sich weiter entwickelt hat. Ich lese Ihnen nun drei Aussagen dazu vor und Sie sagen mir bitte, welcher der folgenden Aussagen Sie am ehesten zustimmen:
  1. Gott hat das Leben auf der Erde mit sämtlichen Arten direkt erschaffen, so, wie es in der Bibel steht
  2. das Leben auf der Erde wurde von einem höheren Wesen bzw. von Gott erschaffen, durchlief aber einen langwierigen Entwicklungsprozess, der von einem höheren Wesen bzw. von Gott gesteuert wurde
  3. das Leben auf der Erde ist ohne Einwirken einer höheren Macht entstanden und hat sich in einem natürlichen Entwicklungsprozess weiterentwickelt.
Die Anhänger der ersten Auffassung werden in Kurzform Kreationisten genannt, die zweite Auffassung wird als Annahme eines Intelligenten Design (I.D.) verstanden und die dritte Auffassung ist gleichbedeutend mit der Theorie einer Evolution.
Vor allem die daraus abgeleitete Einteilung in Kreationisten, Menschen, die Intelligent Design vertreten und Menschen, die die Evolutionstheorie akzeptieren, ist einigermaßen daneben. Menschen mit einer Auffassung wie in 2. vertreten eher eine Theistische Evolution.
Die 3. Aussage entspricht einer rein naturalistischen Auffassung, d. h. jeglicher übernatürliche Einfluss wird ausgeschlossen, aber sie ist keinesfalls gleichbedeutend mit einer "Theorie der Evolution".

Die Evolutionstheorie hat eine Grundaussage, die Abstammung allen Lebens auf der Erde von einem gemeinsamen Vorfahren (common descent) und nennt die Grundlagen für die beobachtete Diversifikation der Lebensformen ("Entstehung der Arten"). Sie macht keinerlei Aussagen darüber, wie das Leben auf der Erde entstanden ist/sein könnte. Dies wäre (eine Theorie zur) Abiogenese, manche sprechen auch von chemischer Evolution, aber mit der klassischen biologischen Evolutionstheorie hat das nichts zu tun. Was die Evolutionstheorie angeht, könnte die erste Zelle oder was immer die erste Lebensform auf der Erde gewesen sein mag, auch vom Unsichtbaren rosafarbenen Einhorn ausgehustet worden sein. Die Evolutionstheorie bezieht sich ausschließlich darauf, was danach (vermtlich) geschah.

Intelligent Design widerum ist was ganz anderes. Da selbst die Anhänger von ID (von mir im weiteren IDioten genannt) nicht genau wissen, was ID überhaupt aussagt, kann ich hier keine genaue Definition geben. Im Grunde sind IDioten eh nur verkappte Kreationisten, sie haben nur "Gott" durch "Designer" ersetzt.
Der Grund für diese Umbenennung liegt - letztendlich - in der Amerikanischen Verfassung, die eine strikte Trennung von Kirche und Staat vorschreibt und damit jegliche religiösen Lehrinhalte in Schulen verbietet. Da die Kreationisten aber gerne die Schöpfungsgeschichte in der Schule lehren wollen, musste eine nicht-religiöse Schöpfungsgeschichte her, also erfand man den IDiotismus.
Die Grund"idee" dieser IDiotie ist, man könne anhand der Schöpfung Natur erkennen, dass nicht alles in ihr auf "natürliche" Weise entstanden sein könne, bzw. dass die Evolutionstheorie keine ausreichende Erklärung für das Vorhandsein mancher "Dinge" biete, die deswegen designt sein müssen. Dies können Bestandteile von Bakterienzellen sein (Flagellen), oder das Auge oder auch etwas wie die Blutgerinnungskaskade.
Designt ist alles, dessen Entstehung SIE sich nicht erklären können (auch wenn beispielsweise Evolutionsbiologen dazu sehr wohl in der Lage sind, im Einklang mit der Evolutionstheorie). Deswegen muss das Gott der Designer geschaffen gemacht haben, irgendwie (Mechanismen müssen sie ihrer Meinung nach nicht nennen - im Grunde ist es sehr, sehr einfach, IDiot zu sein, man muss nur durch die Gegend laufen, auf etwas zeigen, dessen Evolution man sich nicht vorstellen kann und dazu rufen: DESIGN!).

Die IDioten sind keineswegs alle einer Meinung, weder was Design ist, noch wie umfangreich Gott der Designer eingegriffen hat und ob er auch heute noch eingreift oder damit irgendwann mal aufgehört hat. Manche, wie Behe, akzeptieren common descent und auch weitgehend Evolution, der Einfluss einer "übernatürlichen Macht" ist nur hier und da erkennbar (für sie).
Andere dagegen vertreten tatsächlich eher "Gott der Designer hat das Leben auf der Erde mit sämtlichen Arten direkt erschaffen gemacht, so, wie es in der Bibel steht, obwohl ich mich darauf ja nicht direkt beziehen sollte, wegen diesem blöden Kirche/Staat-Trennungsmist in der Verfassung, und wenn ich will, dass das in der Schule gelehrt wird, dann sollte ich das nicht sagen, ist mir aber so rausgerutscht".

Hups, jetzt habe ich mich ein klein wenig davontragen lassen.

Zurück zu der Fowid-Umfrage. Wie gesagt, ich bin nicht glücklich mit der Zuordnung von Auffassungen zu den Aussagen, aber damit muss ich wohl leben. Eine Zustimmung zur Evolutionstheorie allein wird hier jedenfalls nicht abgefragt.

Von allen Befragten stimmten 12,5 % für die erste Aussage ("Kreationisten"), 25,2 % für die zweite ("ID") und 60,9 % für die dritte ("Evolution"). Die unterschiedliche Verteilung in den Alten und Neuen Bundesländern sieht man links.

Im Vergleich zu Amerika ist eine Zustimmung von über 60 % zu einer Aussage, die jeglichen Einfluss einer wie auch immer gearteten höheren Macht bei der Entstehung der Erde und des Lebens darauf ablehnen, geradezu sensationell. Dort wäre das Verhältnis mindestens umgekehrt.
Ich werde die Tage mal nach einer aufgeschlüsselten amerikansichen Umfrage suchen, aber die Zahlen, die in Artikeln genannt werden, bewegen sich zwischen 20 und maximal 35 % Zustimmung zu einer naturalistischen Weltsicht, abhängig von der Fragestellung. Die Zustimmung zur Evolutionstheorie ist in Amerika geringer, wenn explizit danach gefragt wird, ob Menschen und Affen einen gemeinsamen Vorfahren haben als bei der Frage nach common descent - sagt irgendwie auch was über die zugehörige Geisteshaltung aus, so nach dem Motto "Alles andere kann ja ruhig eine gemeinsame Abstammung haben, aber ICH stamme doch nicht von Affen ab".

In Deutschland haben die Menschen offenbar weniger Probleme damit, mit Schimpansen verwandt zu sein, in jeden Fall weniger als damit, irgendeine "höhere Macht" komplett aus der Entstehungsgeschichte des Lebens auf der Erde rauszulassen, wenn man die beiden Umfragen miteinander vergleicht...

Die Zustimmung zu der ersten Aussage nimmt mit höherer Schulbildung immer weiter ab (Haupt-/Volksschulabschluss: 22,5 %; Realschulabschluss: 10,3 %; Hochschulreife: 6,7 %; Fach-/Hochschulstudium: 5,8 %). Bei der Zustimmung zur zweiten und dritten Aussage gibt es keine einheitlichen Trends.

Beruhigend finde ich aber, dass die jungen (14-29 J.) und nicht mehr ganz so jungen (30-44 J.) Leute übereinstimmend hohe Zustimmung zu der dritten Aussage zeigen (70,8 bzw. 67,4 %). Das lässt doch hoffen!

JLT

1 Kommentare:

Anonymous said...

Hallo,

ich fand deine Auswertung sehr interessant. Ich frage mich jedoch gerade, wofür das "n=1.235" und "n=285" in der zweiten Umfrage (von Forwid) steht. Könntest du mich wohl aufklären?
Danke im Voraus und liebe Grüße!