15 July 2008

Where's the brain? From what I can tell, Luskin doesn't have one.

Das dürft Ihr Euch nicht entgehen lassen: Casey Luskin, Mitarbeiter des ID-verbreitetenden DiscoInstitute, hat gerade mal wieder in bewundernswerter Weise demonstriert, warum es manchmal angebracht ist, IDler als IDioten zu bezeichnen (siehe ERV: 'What makes an IDiot?').
In einem Post über Tiktaalik* (ein Fisch mit einer ganzen Reihe von Tetrapodenmerkmalen, aus der Zeit des Überganges von Wirbeltieren an Land: Wikipedia, Tiktaalik Home) beschwert er sich über den "Fachwort-überladenen" wissenschaftlichen Artikel** von Neil Shubin, dem Entdecker von Tiktaalik. Obwohl von Shubin behauptet würde, die Flossen von Tiktaalik hätten schon einen Tetrapodenartigen Knochenbau und würden insbesondere auch schon ein "Handgelenk" aufweisen, zeige er kein vergleichendes Diagramm der Titktaalik-Flosse und eines typischen Tetrapodenhandgelenks und würde auch im Text nicht angeben, welche die homologen Knochen seien. Dies, so schließt er am Ende, läge ganz einfach daran, dass Tiktaalik, entgegen Shubins Behauptung, gar kein Handgelenk habe.

In the end, it’s no wonder Shubin chose not to provide a diagram comparing Tiktaalik's fin-bones to the bones of a real tetrapod limb. Where’s the wrist? From what I can tell, Tiktaalik doesn't have one.
[Hervorhebung im Original]

Tatsächlich ist Luskin aber nur sprachlich überfordert und ist auch nicht in der Lage, ein paar Begriffe, die er nicht kennt, nachzuschauen. Luskin zitiert zunächst Shubin, um es nachfolgend zu "übersetzen":
1. Shubin et al.: "The intermedium and ulnare of Tiktaalik have homologues to eponymous wrist bones of tetrapods with which they share similar positions and articular relations." (Note: I have labeled the intermedium and ulnare of Tiktaalik in the diagram below.)

Translation: OK, then exactly which "wrist bones of tetrapods" are Tiktaalik’s bones homologous to? Shubin doesn’t say. This is a technical scientific paper, so a few corresponding "wrist bone"-names from tetrapods would seem appropriate. But Shubin never gives any.

Meine Übersetzung des Shubin-Zitats:
1. Shubin et al.: Intermedium und Ulnare von Tiktaalik zeigen Übereinstimmungen mit den namensgebenden [Anm.: D. h. den Knochen von Tiktaalik wurde der gleiche Name gegeben wie die der entsprechenden] Handgelenkknochen der Tetrapoden, mit denen sie die gleiche Position und Gelenkverbindungen teilen.

Übersetzung: OK, genau zu welchen "Handgelenkknochen der Tetrapoden" sind Tiktaaliks Knochen nun homolog? Shubin sagt es nicht. Dies ist ein technischer wissenschaftlicher Artikel, es scheint, die Nennung ein paar der entsprechenden "Handgelenk"-Knochen von Tetrapoden wäre angebracht. Aber Shubin nennt nie einen.
*facepalm*

Roentgenbild einer menschlichen HandIntermedium und Ulnare sind zwei HANDGELENKSKNOCHEN. Sie gehören zur "ersten" Reihe der Handwurzelknochen (Radiale ist der dritte), die direkt an Elle (Ulna; links in dem Röntgenbild (menschl. Hand)) und Speiche (Radius; rechts, auf der "Daumenseite") anschließen. Die lateinische Bezeichnung für Elle ist Ulna und Ulnare heißt soviel wie "der Ulna zugewandt/nahe der Ulna"; dementsprechend ist Ulnare der Handwurzelknochen, der der Elle am nächsten liegt (= 3.). Intermedium ist der mittlere (ebenfalls wie der Name sagt; 2.) und Radiale (der bei Tiktaalik nicht identifiziert werden kann; 1.), man glaubt es kaum, ist der Knochen nahe des Radius, also der Speiche!!! Diese trickreichen Anatomen.

Nun werden diese drei Knochen *von Medizinern* anders benannt (1. Radiale = Kahnbein (Os scaphoideum), 2. Intermedium = Mondbein (Os lunatum) und 3. Ulnare = Dreiecksbein (Os triquetrum)), aber in der Paläontologie sind die von Shubin verwendeten Bezeichnungen der Standard. Aus einem "Glossary of vertebrate paleontology terms":
mesopodials n. the ankle or wrist bone - fibulare, intermedium, and tibiale [Fußgelenkknochen; Schien- und Wadenbein heißen Tibia und Fibula] or ulnare, intermedium, and radiale, and all centralia.
Das alles muss natürlich nicht jeder wissen. Ich hatte sowohl Zoologie (mit Spezialisierung auf Anatomie und Evolution der Wirbeltiere) als auch Paläontologie als Diplomfächer, darum war das für mich nicht ganz neu. Aber auch ohne solche Vorkenntnisse kann man das durch ein bisschen Internetrecherche herausfinden*** und man sollte das auch tun, wenn man vorhat, einem Paläontologen vorzuwerfen, er hätte es nicht geschafft, in seinem Nature-Artikel mit dem Titel 'The pectoral fin of Tiktaalik roseae and the origin of the tetrapod limb' die Homologien zwischen Tiktaalikflosse und Tetrapodenarm und -handgelenk aufzuzeigen!

So. Und jetzt geht rüber zu The Loom und lest Euch Carl Zimmers genüßliche Sektion von Casey Luskin durch ('Missing the wrist'; darin stellt er auch wunderbar den Zusammenhang zur neuen Gesetzgebung in Louisiana her, die die neueste Erfindung von IDlern und Konsorten ist, "Evolutionskritik" in den Unterricht zu bekommen).

Nicht weniger "tödlich" ist PZ Myers Analyse: 'I guess 'eponymous' wasn't on the LSAT'. Dort gibt es auch ein paar schöne Diagramme, in denen die entsprechenden Knochen in verschiedenen Tetrapoden und einigen Übergangsformen gekennzeichnet sind.

MfG,
JLT


[Nachtrag: Mann, der Empfänger des heute vergebenen Casey Luskin Graduate Awards muss so stolz sein. Luskin ist aber auch ein leuchtendes Beispiel für die excellence in student advocacy of intelligent design...]

* Ein schönes Post zu Tiktaalik gibt's von Carl Zimmer auf The Loom: 'Walking towards land'. Ich habe Tiktaalik auch schon mehrfach erwähnt, beispielsweise in 'Übergangsformen: Zu Lande, zu Wasser und in der Luft' und in 'Der Ursprung der landlebenden Wirbeltiere: Ventastega'.

**
So we are left to decipher his jargon-filled written comparison in the following sentence by sentence analysis.
Das allein ist schon zum Schreien. Ein wissenschaftlicher Artikel, der die lateinischen Bezeichnungen für Knochen verwendet? Kann ja nicht angehen...

*** Ich musste z. B. nachschauen, was eponymous [Leo Deutsch-Englisches Wörterbuch] bzw. eponym [Wikipedia] heißt. RIESENAUFWAND!

4 Kommentare:

Anonymous said...

Dummheit als Waffe gegen Wissen. Kenn ich zur Genüge.

Ist das jetzt ein Symptom der vielbeschworenen Anti-Intellektualität? Ist derjenige sympatischer, der sagt, ich weiß nichts und das ist mir auch egal? Ich hab trotzdem eine Meinung?

Warum sonst ist "Besserwisser" ein Schimpfwort? Ja, mein Gott, ich weiß bestimmte Dinge besser als viele andere Menschen. Wofür sonst wohl hab ich studiert?

JLT said...

@ Ludmila:
Bei Luskin ist es eher ein Symptom seiner maßlosen Arroganz: Er versteht den Text nicht, also macht der Text keinen Sinn. Er kommt gar nicht auf die Idee, dass ihm einfach etwas Hintergrundwissen fehlen könnte. Er selbst empfindet sich wahrscheinlich durchaus als "intellektuell" – auch wenn er sich über den Fachwörtergebrauch ärgert ("jargon-filled"). Aber als Anwalt sollte ihm die Verwendung lateinischer Fremdwörter eigentlich nicht fern sein und "Anwaltsprech" wird im englischsprachigen Raum sicher nicht umsonst als "legalese" bezeichnet.
Was sicher viele Leute anspricht, ist die Idee, dass ihr "gesunder Menschenverstand" ausreicht, um sich eine Meinung über irgendein Thema zu bilden und jede Meinung gleich viel "wert" ist. Die Vorstellung, sich erst mit einem Gebiet vertraut machen zu müssen, bevor man eine (fundierte) Meinung äußern kann, widerspricht ihrem Gefühl für Gerechtigkeit. Ob das tatsächlich ein Ausdruck von Anti-Intellektualismus ist und nicht nur einfach wishful thinking + Faulheit, weiß ich nicht zu sagen.
Was ich besonders unverständlich finde, ist, dass doch die meisten Menschen irgendein Gebiet haben, auf dem sie mehr Bescheid wissen als der Durchschnitt, beispielsweise ihr Berufsfeld. Die meisten würden sich wahrscheinlich sehr gegen die Behauptung verwahren, dass jeder andere mit ein bisschen gesundem Menschenverstand ihren Job nach ein, zwei Tagen genau so gut erledigen könnte wie sie selbst.
Die meisten Leute sind auch gerne bereit, viele Stunden in das "Studium" verschiedener Mobiltelefon-, Computer- oder Automodelle zu investieren, bevor sie sich für eines entscheiden und würden sich bei ihrer Entscheidung beispielsweise für ein bestimmtes Automodell nicht von jemanden beraten lassen, dessen Hauptkriterium bei der Bewertung von Autos ihre Farbe ist. Aber bei wissenschaftlichen Themen ist (im übertragenen Sinne) die Empfehlung eines Freundes, der selber noch nicht mal einen Führerschein hat, genauso wichtig wie die Empfehlung eines Automechanikers (und der Automechaniker ist ein Elitist, wenn er seine Meinung als fundierter darstellt)?

Ist mir alles völlig unverständlich...

Cavon said...

Ich denke, hier wird einfach Ignoranz zur Tugend erhoben. "Ich habe meinen festen Glauben, der steht auf einem festen Fundament (Bibel) - mehr brauche ich nicht" Beweise stehen nun mal im Widerspruch zum Glauben, daher wird sich (neuem) Wissen ganz einfach verweigert.

-Selig sind die Armen im Geiste, den ihnen gehört das Himmelreich-

JLT said...

@ Cavon:

"Ich denke, hier wird einfach Ignoranz zur "Wissenschaft" erhoben."

So ist's richtig ;)