3 July 2008

Die richtige Antwort.

The verse “And God said, let the NA precursors link together into a short noncoding kinetically favored chain and pseudoreplicate approximately statistically after their kind” just doesn’t have the same ring to it.

Nick Matzke

Ein häufig gehörter Wortwechsel zwischen Befürwortern der Evolutionstheorie und Kreationisten geht ungefähr so:
Kreationist: HA, die Evolutionstheorie kann überhaupt nicht erklären, ihr wisst ja noch nicht mal, wie das Leben entstanden ist, dazu habt ihr überhaupt keine Ahnung.

Befürworter der ETh: Für die Gültigkeit der Evolutionstheorie ist es irrelevant, wie das Leben entstanden ist. Die ETh beschreibt die Entstehung der *Arten*, nicht die Entstehung des Lebens.

Kreationist: Ohne Leben hätten auch keine Arten entstehen können und Leben kann nicht aus Nichts (Stein/Schleim/...) entstehen, das verhindert das 2. Gesetz der Thermodynamik. Also ist die ETh falsch.

Befürworter der ETh: Du bist ein Trottel.
Das mag ja ganz amüsant sein, jedenfalls die ersten Hundert Male, die man diesen Wortwechsel hört (oder liest), aber tatsächlich ist es eine relativ unbefriedigende Anwort (nicht der Trottel-Teil, sondern der Abiogenese ist nicht gleich Evolution-Teil). Besser wäre, man würde kurz darlegen, was schon alles zur Abiogenese bekannt ist, um aufzuzeigen, dass man sehr wohl eine begründete "Ahnung" dazu hat.
Das "Problem" ist, dass zur Abiogenese natürlich auch sehr intensiv geforscht wird und man, um im Einzelnen und sinnvoll beschreiben zu können, was der Stand der Forschung ist, sich erst in einen riesigen Berg von Literatur einlesen muss, sollte das nicht sein Fachgebiet sein. Erschwert wird dies Unterfangen noch weiter dadurch, dass die Forschung zum Ursprung des Lebens in so vielen verschiedenen Fachgebieten stattfindet. Neben Biologen und Biochemikern jeglicher Couleur tummeln sich in diesem Feld auch Geologen, Astronomen, Physiker und Chemiker. Gerade sind zwei Artikel erschienen, die beide auf ihre Weise für dieses Forschungsfeld wichtig sind (und auf die ich zufällig gestoßen bin - waren sicher nicht die Einzigen), die unterschiedlicher nicht sein könnten und diesen Punkt wunderbar illustrieren:

Zum einen dieser:
Mansy SS, Schrum JP, Krishnamurthy M, Tobé S, Treco DA, Szostak JW. Template-directed synthesis of a genetic polymer in a model protocell. Nature. Published online 4 June 2008 [.pdf gibt's hier]

Der Artikel beschäftigt sich mit dem möglichen Aufbau der Membran einer hypothetischen Protozelle. Es gibt zwei Denkmodelle: Das eine besagt, dass zunächst eine Art "Stoffwechsel" entstand (beispielsweise an katalytisch wirkenden Oberflächen/in kleinsten "Reaktionsräumen" in porösem Gestein), der erst später von einer Membran umschlossen wurde, die ähnlich wie die Membranen heutiger Zellen relativ undurchlässig für viele Moleküle ist; in diesem Modell können Nährstoffe (im weitesten Sinne) nicht einfach von "außen" aufgenommen werden, sondern müssten aktiv durch die Membran transportiert worden sein bzw. die Protozelle muss fähig gewesen sein, diese Bestandteile selbst zu synthetisieren. Eine solche Protozelle wäre autotroph ("selbsternährend").

Das Modell einer heterotrophen Protozelle [Abb. links aus dem Artikel] sieht vor, dass relativ durchlässige Membranen vorhanden waren, die beispielsweise die Aufnahme von aktivierten Nukleotiden zuließen, so dass kein interner Stoffwechselweg vorhanden gewesen sein muss.
Der Artikel untersucht u. a. verschiedene Membranzusammensetzungen darauf, ob sie einerseits die Aufnahme dieser Nukleotide zulässt, aber gleichzeitig undurchlässig für Nukleotidstränge ist, die sich in der Protozelle bilden. Tatsächlich gab es verschiedene einfache Kombinationen von Fettsäuren, aus denen die Membran solcher Protozellen zusammengesetzt gewesen sein könnte und diese Voraussetzungen erfüllt. Zudem konnten sie zeigen, dass innerhalb von aus diesen Fettsäuren gebildeten Protozellen eine (nicht-enzymatische) Replikation von Nukleotidsträngen, mit den aktivierten Nukelotiden als Substrat, möglich war.

Aus dem Abstract:
Here we show that such membranes allow the passage of charged molecules such as nucleotides, so that activated nucleotides added to the outside of a model protocell spontaneously cross the membrane and take part in efficient template copying in the protocell interior. The permeability properties of prebiotically plausible membranes suggest that primitive protocells could have acquired complex nutrients from their environment in the absence of any macromolecular transport machinery; that is, they could have been obligate heterotrophs.
[Eine Pressemitteilung der National Science Foundation zu diesem Artikel mit Videos zu Protozellen gibt's hier; noch mehr Videos zu dem Thema bei Exploring Life's Origins]


Der zweite Artikel wurde ziemlich durch die Medien geschleift, einen ganz guten Bericht dazu gibt es bei Scientific American 'Were Meteorites the Origin of Life on Earth?' (auch wenn die Überschrift nicht besonders glücklich gewählt ist):

Martins et al. Extraterrestrial nucleobases in the Murchison meteorite. Earth and Planetary Science Letters, Volume 270, Issues 1-2, 15 June 2008, Pages 130-136

Die Gruppe bestätigte, dass Nukleobasen, die in einem Meteoriten gefunden wurden, höchstwahrscheinlich außerirdischen Ursprungs sind - das soll nicht heißen, sie wurden von kleinen, grünen Männchen produziert, sondern sie haben sich irgendwo außerhalb der Erde spontan gebildet. Die Annahme, zu einem Zeitpunkt in der Erdgeschichte hätten sich auch auf der Erde Nukleobasen spontan bilden können, bekommt damit noch mehr Unterstützung. Und, darum beispielsweise auch der SciAm-Titel, selbst, wenn es auf der Erde nicht möglich gewesen wäre, hätten Meteoriten Nukleobasen als Rohmaterial liefern können.
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Beide Artikel sind aus völlig unterschiedlichen Fachrichtungen und beziehen sich auf unterschiedliche Aspekte des Ursprungs des Lebens auf der Erde, aber beide (zusammen mit einer Tonne anderer Artikel) könnte man nennen, wollte man sinnvoll auf das "Ihr habt keine Ahnung, wie Leben entstanden ist"-Argument antworten; die beste Antwort auf diese Aussage ist natürlich, durch Hinweise auf den Stand der Forschung zu zeigen, wie grundlegend falsch diese Behauptung ist.

Nick Matzke hat ein Post geschrieben, indem er auf einen Artikel im "The Scientist" ('What neo-creationists get right' von Gordy Slack) und einige Kritik, die dieser Artikel geerntet hat, antwortet: 'What critics of critics of neo-creationists get wrong: a reply to Gordy Slack'.

Darin macht Nick Matzke vor, wie eine angemessene Antwort aussieht und fasst dazu kurz und übersichtlich einiges von dem zusammen, was heute den Stand der Forschung zum Origin of Life (OOL) darstellt. Besonders auch dieser Abschnitt hat mit gefallen:
If we lived in a world where it actually looked like the first living things were as complex or more complex than life today, or where the last common ancestor contained absolutely no evidence of an evolutionary history, or where big obvious puzzles like the interdependency of DNA/RNA/protein had no hint of solution, or where the building blocks of life were completely unrelated to those produced in prebiotic experiments – all of these things would be true, say, on a robotic planet without microscopic life, where robots were replicated by macroscopic assembly performed by other robots, and powered by hooking up to a grid of fusion-fueled power plants – then we could say “science is still in the dark” on the origin of this robotic biosphere. But instead, we have numerous lines of evidence all pointing towards the notion that current life descends from a relatively simple ancestor, and that ancestor descends from a series of even simpler ancestors. Why should any of this evidence exist, if life was poofed into existence all in one step, which is what the creationists/IDers think happened even when they won’t admit it, because they are not brave enough to defend what they actually think? Additionally, why should the remaining puzzles, particularly about the origin of the first replicator, cause any unusual amount of discomfort for scientists? Whether or not that puzzle is solved, the gap between prebiotic experiments and the first replicators (or better yet, pseudoreplicators with statistical inheritance) is a drastically reduced vestige of a gap compared to what the gap looked like in, say, 1950. When you think about it, the creationists’ attempt to insert miraculous divine intervention into this tight little gap which is left is actually pitiful, and a pretty sad commentary on the state that creationism/ID has been reduced to. The verse “And God said, let the NA precursors link together into a short noncoding kinetically favored chain and pseudoreplicate approximately statistically after their kind” just doesn’t have the same ring to it.


Nett!

MfG,
JLT


5 Kommentare:

Argent23 said...

Eine ähnliche Hypothese wie Mansy et al. stellt auch Eugene Koonin vom NCBI in einem Artikel in Trends in Genetics auf. Koonin ist überhaupt mit vielen Artikeln zur Abiogenese vertreten, hauptsächlich aber Hypothesen statt eigene Daten. Trotzdem sind seine Paper immer schön zu lesen und haben ausgezeichnete Abbildungen!
Kleine Trivia am Rande: Jack Szostak (der lead author des ersten Papers) ist der Erstautor von einem der klassischen Paper der DNA-Reparatur und -Rekombination über das Doppelstrangbruch-Reparaturmodell DSBR.

JLT said...

@ Argent23:
Dein Link geht leider zu den Physics letters. Meintest Du diesen Artikel?
Zu OOL lese ich relativ selten Artikel, aber Koonin ist mir schon mehrfach untergekommen, allerdings eher im Zusammenhang mit der ersten Zelle als direkt mit OOL. Ich mag seine Artikel auch (die paar, die ich gelesen habe). Er hat eine Begabung dafür, sich allgemeinverständlich auszudrücken, ohne wischiwaschi zu werden.

Argent23 said...

Ups, keine Ahnung wie das passieren konnte...Der Intronartikel ist auch gut, aber ich meinte Koonin EV und Martin W (2005): On the origin of genomes and cells within inorganic compartments.

JLT said...

@ Argent23:

Interessanter Artikel. Erinnert mich an dies ;)

Argent23 said...

Hehe, den kannte ich noch nicht!